in

Der Gestank des Bösen

Ich höre die Explosionen unten im Tal. Ich höre die Schreie, die Krakeeler einer weiteren psychotischen Nacht. Ich sehe die verheerenden Feuer. Einst hätte man sie als Freudenfeuer bezeichnet. Doch es gibt keine Freude mehr.

Sie werden wohl wieder die Weiber durchs Dorf treiben, splitternackt, sie werden wohl wieder die Schweine durch den Spiessrutenlauf jagen, bis sie schreien, bis sie bluten, so viel Blut, sie werden wohl wieder die Lämmer erwürgen, um danach in ihren Eingeweiden zu lesen, wo sie nur eine Botschaft vorfinden können: «Es ist schon lange vorbei!»

Dazu Feuerwerk und Gewehrsalven. Als Begleitmusik.

Deshalb habe ich mich, lange ist es her, in die Höhe begeben. Stetig kletternd, Überhänge überwindend, Abgründend trotzend.

Enttäuschung war mein Treibstoff.

Bis ich dann auf dieser Felsplatte angekommen bin. Hoch über dem Tal, knapp unter der Baumgrenze, auf dem halben Weg zu den stolzen, ewig eingeschneiten Gipfeln, die das Tal umringen. Die da unten haben das Klettern längst verlernt – gut für mich.

Einst habe ich die Laute gespielt für die Leute im Tal. Dazu Texte gesungen, die von Ausschweifungen handelten, von Ärschen und wilden Fickereien.

Sie waren noch obszöner als jene berüchtigten altenglischen Balladen, schändlicher gar als die Werke des göttlichen Marquis de Sade.

Provozieren wollte ich, indem ich das Undenkbare sang, mit lauter, fester Stimme, indem ich Pornographie auf Pornographie stapelte, bis eine epische Über-Pornographie erreicht war, die sich am Ende in den Schwanz beissen, zu einer neuen Art der Reinheit führen sollte, einer ganz und gar hemmungslosen, einer befreiten.

Derart habe ich mir die Wirkung meiner Provokation vorgestellt. Ich dachte, dass ich dafür Prügel beziehen würde, darauf war ich eingestellt.

Doch viel schlimmer ist es gekommen.

Ich erhielt dafür nicht als donnernden Applaus. Ich stiess auf schier endlose Zustimmung. Ich löste eine Begeisterung aus, die zur sofortigen Umsetzung meiner Lieder führte – aus geflügelten Worten wurden dabei allerdings tonnenschwere Realitäten des Fleisches.

Und es waren die Stärksten, die dabei den Ton angaben.

Keine neue Reinheit entstand, sondern ein Reigen aus der Hölle, ein hirnloses Toben, in dem die ganze Kunstfertigkeit und die feine Ironie, die ich, so dachte ich wenigstens, in meine Texte eingeflochten hatte, sang- und klanglos untergingen; keine Freiheit, bloss dumpfe, triebgesteuerte Infamie.

Nicht Weib, noch Schwein oder Schaf waren mehr sicher.

Und das Blut floss zunächst in Bächen, bald in Strömen durchs Tal. Die Wolfskinder haben es getrunken, wurden dadurch zu reissenden Bestien, die sich dem bösen Treiben alsdann mit Gusto anschlossen.

Der Gestank des Bösen wehte über dem Tal, vermischt mit dem Rauch der Dummheit, auf deren Altären nun ein Opfer nach dem anderen abgeschlachtet wurde.

Darüber hat mich das Unglück überfallen, ein Unglück, so dunkel, so schwer, dass man es nur als Todeskrankheit bezeichnen kann.

Ich hatte diesen ganzen Dreck ausgelöst. Mit den besten Absichten, die ein Dichter nur haben kann…

Und nun war ich angewidert, wie es ein fühlender Mensch nur sein kann.

So ist sie entstanden, die Enttäuschung, die mich zum Klettern, die mich auf diese Felsplatte hinauf getrieben hat, mutterseelenallein, auf der ich ausharren werde, bis der Sensemann mich niederschlägt.

Ich freue mich auf diesen Tag. Es ist meine einzige Freude.

Vor meinem Aufbruch habe ich noch meine Laute verbrannt.

Gefällt dir dieser Beitrag?

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Autor: Christian Platz

Lebt in Basel. Arbeitet überall. Reist recht viel. Vor allem nach Asien. Und in den Deep South der USA. Verdient sein Geld seit über einem Vierteljahrhundert mit Schreibarbeiten. Vorher hat er als Pfleger in einer Irrenanstalt gewirkt. Hat mehrere Bücher veröffentlicht. Spielt seit 40 Jahren fanatisch Gitarre, zwischendurch singt er auch noch dazu. Schreibt unter anderem für Kult. Ist manchmal gut aufgelegt. Manchmal schlecht. Meistens so mittel. Sammelt Bücher, CDs, Filme, Artefakte. In einem psychisch leicht auffälligen Ausmass. Verfügt, bezüglich der Dinge, die er sammelt, über ein lexikalisches Wissen. Platz ist einerseits ein Wanderer auf dem Pfad zur linken Hand. Andererseits Neofreudianer mit Waffenschein. Liebt Blues und Voodoo, Rock'n'Roll und die schwarze Göttin Kali. Trinkt gerne Single Malt Whisky aus Schottland. Raucht Kette. Ist bereits über 50 Jahre alt. Macht einstweilen weiter. Trotzdem wünscht er nichts sehnlicher herbei als die Apokalypse.

WARNHINWEIS:
Dieser Mann tritt manchmal als katholischer Geistlicher auf, stilecht, mit einem besonders steifen weissen Kragen am Collarhemd. Dies tut er in gänzlich irreführender Art und Weise und ohne jegliche kirchliche Legitimation. Schenken Sie ihm - um Gottes Willen - keinen Glauben. Lassen Sie sich nicht von ihm trauen, ölen oder beerdigen. Lassen Sie sich von ihm keinesfalls Ihre Beichte abnehmen. Geben Sie ihm lieber Ihr Geld.

Facebook Profil

Fünf Feine Feiern Für Basel

«Return Of The Moonrocks»: Tanz mit der Schlange