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Vom Glück im Rahmen der Apokalypse

Eine verheerende Seuche, die den grössten Teil der Erdbevölkerung dahinrafft, eine Zombie-Apokalypse, die nur einige wenige Menschen überleben. Wir alle kennen diese Thematik aus unzähligen Filmen und Büchern. Die Überlebenden raufen sich zusammen und bilden, angesichts des Untergangs – im besten Fall –, den Nukleus einer neuen Gesellschaft.

Eine Art Arche Noah on the road.

Von Romeros „Dawn of the Dead“, bis zu Kings „The Stand“, von Millers „Mad Max“, bis zu Darabonts TV-Serie „The Walking Dead”: Die postapokalyptische Situation als Story-Grundlage zieht massenweise Menschen in ihren Bann, obwohl es in diesen Geschichten augenscheinlich viele Elemente der Hoffnungslosigkeit gibt – die Protagonisten werden gejagt und gehetzt, müssen sich verstecken, müssen mit Verlusten fertig werden.

Doch das ist nur die eine Seite der Medaille…

…die andere Seite der Medaille heisst: Freiheit.

Und wahrscheinlich ist es genau jene andere Seite, die solche Geschichten für viele Menschen derart befriedigend macht.

Wer den Zombies oder dem Virus entrinnt, auf letzteren darf bekanntlich immer nur ein kleiner Teil der Weltbevölkerung immun sein, ist zunächst normalerweise ganz auf sich allein gestellt. Familie, Freunde, Vereinskollegen – alle im Jenseits; alle bereits geborgen, in Abrahams sprichwörtlichem Schoss.

Alle sozialen Bindungen wurden jäh zerrissen.

Das ist natürlich erst mal ein gewaltiger Schock. Erste Reaktion: Verzweiflung, sinnlos durch die Gegend rennen, den eigenen Augen nicht trauen. Und dann: Erlösung, man stösst auf die anderen Überlebenden, man ist doch nicht die/der einzige auf weiter Flur. Fast ekstatisch ist die Freude über diesen Fakt.

Überdies handelt es sich bei diesen neuen Bekannten auch noch um interessante Leute, schliesslich befinden wir uns hier in einem Roman oder in einem Film.

Eine kleine Schicksalsgemeinschaft wird geboren, eine überschaubare Mini-Gesellschaft, deren einziges Ziel das Überleben ist. Das ist ein klares, elegantes, umissverständliches Ziel, das oberste Priorität geniesst.

Ganz anders, als das laue Herumdümpeln im komplexen Soziopfuhl unserer Tage.

Die alte Sozietät mit all ihren Unabwägbarkeiten, Launen, psychologischen Abgründen, ewigen Diskussion und Werweissereien wird also abgelöst. Durch eine neue Gruppe mit klarem Auftrag, eine Gruppe, die durch die Gefahren, welche sie meistern muss, ganz schnell emotional zusammengeschweisst wird. Auf Teufel komm raus.

Da wissen nun alle präzise, wo sie hingehören, da wissen alle plötzlich, was sie zu tun haben. Wer sich dem absoluten Primat des Überlebens nicht unterordnen kann, bleibt einfach auf der Strecke, sad but true. Die Gruppe trauert für einen kurzen Moment – und zieht dann weiter. Der Überlebensdrang besiegt die Trauer schnell. Keine Zeit für Depressionen und Zusammenbrüche.

Denn die Maxime einer zusammenbrechenden Welt heisst: Weiter, immer weiter.

Das ist ja mal eine beneidenswert klare Ausgangslage. Und sie wird erst noch von Mutter Realität selbst ausgelöst, da bleibt kein Platz für das Komplexe, das Symbolische, das Imaginäre. Alle Mitglieder der Schicksalsgemeinschaft folgen dem gleichen Stern.

In dieser Situation werden neue emotionale Bande geknüpft, neue Freundschaften, Liebschaften sogar, die emotional besonders stark geraten – fast möchte ich sagen „pur“ erscheinen -, denn sie werden unter dem unerbittlichen Druck der Realität geformt. Da gibt es keine Langweile in der Partnerschaft, keine Unstimmigkeiten unter Freunden, wegen leidigen Stil- oder Geschmacksfragen, keine verkrusteten Identitäten mehr.

Vorwärts, heisst hier der absolute Imperativ. Egal, ob Du vorher ein Bauer, eine Coiffeuse, eine Managerin oder ein Innenarchitekt warst. Vorwärts Marsch!

Das ist ja alles schon mal verdammt befreiend. Die Sinnfindung spielt keine Rolle mehr. Der Überlebenszwang überschattet alles andere. Die wenige Freizeit, die dabei bleibt, wird mit einem wirklich tiefen emotionalen Austausch gefüllt, schliesslich kann ja jeder Tag der letzte seiner Gattung sein. Solche allerliebste Tatsachen muss man sich in der postapokalyptischen Situation nicht mehr einfach vorsagen oder bewusst machen, der Alltag stösst einem ständig Hals über Kopf in diese Gegebenheiten hinein. Lebe jeden Tag, als ob’s Dein letzter wär’, diese alte Song-Zeile, diese alte Ratgeberweissheit erfüllt sich endlich auf perfekte, ganz unverkrampfte Art und Weise.

Und du musst nix dafür tun, die Welt hat es so angerichtet!

Unser ganzer psychologischer Alltagssumpf wurde mit einem Schlag ausgetrocknet, ohne unser Zutun. Die ganzen belastenden Familiengeschichten, die ganzen vertrackten Beziehungsgeschichten, dieses ganze mehrdeutige freudianische Universum unserer eigenen Historie ist flachgefallen.

Du brauchst – um bei Sigmund F. zu bleiben – nun keine heimlichen Todeswünsche gegen deine Allernächsten mehr zu hegen. Denn die sind ja bereits tot. Und dir wurde die Chance für einen sauberen Neuanfang gewährt, a clean slate, von der Realität persönlich.

Das Beste: Du bist nicht schuld daran – und du weisst es auch.

Jener alten Hydra der Schuldgefühle wurden nun wirklich alle Köpfe abgeschlagen.

Und auf diese blitzsaubere Wandtafel kannst du jetzt deine eigene Geschichte neu schreiben. Die Zombie-Apokalypse, die Katastrophe mit den wenigen Überlebenden, ist zum ganz grossen Befreiungsschlag geworden. Endlich darf der Mensch wieder Mensch sein und aus dem Vollen schöpfen. Im ebenso vollen Bewusstsein seiner Vergänglichkeit. Ein schönes Gefühl – und vom Sahnehäubchen auf der Torte haben wir noch nicht einmal geredet…

…dieses ist nämlich aus dem Schaum einer wahrhaft paradiesischen ökonomischen Situation geschlagen:

Angesichts der postapokalyptischen Situation brauchen die Überlebenden kein Geld mehr. Die Welt ist fortan ein riesiger Selbstbedienungsladen. Was du findest, gehört einfach dir. Und das ist viel, wenn der Grossteil der Menschheit gerade draufgegangen ist – und ihr ganzer Besitz einfach so herumliegt bzw. -steht. Auch Steuererklärungen, amtliche Vorladungen, Bewilligungsbürokratie, der ganze legalistische Zirkus halt, ist sanft entschlafen.

Das Feld ist frei!

Nimm mit, was du halt brauchst oder rauchst, hell, nimm einfach mit, was dir Freude bereitet. In dieser Hinsicht haben die Überlebenden der apokalyptischen Situation das ganz grosse Los gezogen. Und zwar die Damen, die Herren und die Kinder. Die Herren rüsten sich mit schweren Waffen aus, fahren die grössten Vierradantriebs-Monster, dies ohne irgendwelche Strassenverkehrsregeln, sie jagen ohne Jagdschein, zapfen an den Tankstellen Gratisbenzin ab.

Das ist ein Leben!

Die Damen suchen die schönen Villen aus, in denen die Schicksalsgemeinschaft Rast machen kann, holen sich die teuersten Dessous, Markenkleider und Schuhe aus den leergefegten Supermärkten – besser, als der beste Ausverkauf! Die Ermässigungen sind nicht nur radikal, sondern fundamental geworden. Du musst nie mehr mit knappen finanziellen Mitteln rechnen und haushalten. Natürlich dürfen die Survival-Kids jedes Spielzeug mitnehmen, das ihnen gerade in die Hände fällt, und es dann einfach irgendwo wieder liegen lassen.

Und dauernd gibt’s Kaviar sowie Champagner.

Yes, unsere postapokalyptischen Überlebenden sind wahrlich zu beneiden!

Ihr Leben ist real, gesund, sie haben eine klare Aufgabe, ziehen in der Gegend rum, haben gerade neue, unbelastete Freundschaften und Liebschaften geschlossen und der Alltag ist nie langweilig. Wahrscheinlich haben sie auch mehr Sex als vorher, weil die existentielle Dauerbedrohung und die unsicheren Perspektiven, wenn man sich erst mal dran gewöhnt hat, garantiert prima Aphrodisiaka darstellen.

Diese Überlebenden sind also die wahren Existentialistinnen und Existentialisten.

Alle, die Romeros „Dawn of the Dead“ gesehen haben, werden sich an jene Szene erinnern, in der das Grüppchen der Survivors in der Shopping Mall gratis einkaufen geht. Diese Szene strahlt grosses Wohlbefinden aus – einen echten flow of fuckin’ joy!

Ich bin mir sicher, dass es nie an erster Stelle das Gemetzel, die Zerstörung und die Gewaltdarstellungen sind, die den Reiz der Stoffe ausmachen, welche das Thema des postapokalyptischen Überlebens schildern. Vielmehr ist es das Mitgeniessen der Freiheiten, über welche die Protagonistinnen und Protagonisten dieser Stories verfügen, das so viele Menschen fasziniert.

Und falls die angekündigte Big-Budget-Film-Trilogie von Ben Affleck, die Stephen Kings „The Stand“ zum Gegenstand haben soll, tatsächlich real werden sollte, können wir ihn alle wieder erleben: Den fröhlichen Neid auf die Überlebenden der Apokalypse und ihr Leben danach – den Neid eben, auf ihre Freiheit!

Zugegeben, ich verstehe jeden, der sich mit Vorfreude auf den gloriosen surviving the apocalypse-Moment vorbereitet, der zu diesem Behufe Waffen und Lebensmittel bunkert, ich kenne ja einige von denen. Ob ich selber einer von ihnen bin, verschweige ich an dieser Stelle, denn ich muss nun geh’n!

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Autor: Christian Platz

Lebt in Basel. Arbeitet überall. Reist recht viel. Vor allem nach Asien. Und in den Deep South der USA. Verdient sein Geld seit über einem Vierteljahrhundert mit Schreibarbeiten. Vorher hat er als Pfleger in einer Irrenanstalt gewirkt. Hat mehrere Bücher veröffentlicht. Spielt seit 40 Jahren fanatisch Gitarre, zwischendurch singt er auch noch dazu. Schreibt unter anderem für Kult. Ist manchmal gut aufgelegt. Manchmal schlecht. Meistens so mittel. Sammelt Bücher, CDs, Filme, Artefakte. In einem psychisch leicht auffälligen Ausmass. Verfügt, bezüglich der Dinge, die er sammelt, über ein lexikalisches Wissen. Platz ist einerseits ein Wanderer auf dem Pfad zur linken Hand. Andererseits Neofreudianer mit Waffenschein. Liebt Blues und Voodoo, Rock'n'Roll und die schwarze Göttin Kali. Trinkt gerne Single Malt Whisky aus Schottland. Raucht Kette. Ist bereits über 50 Jahre alt. Macht einstweilen weiter. Trotzdem wünscht er nichts sehnlicher herbei als die Apokalypse.

WARNHINWEIS:
Dieser Mann tritt manchmal als katholischer Geistlicher auf, stilecht, mit einem besonders steifen weissen Kragen am Collarhemd. Dies tut er in gänzlich irreführender Art und Weise und ohne jegliche kirchliche Legitimation. Schenken Sie ihm - um Gottes Willen - keinen Glauben. Lassen Sie sich nicht von ihm trauen, ölen oder beerdigen. Lassen Sie sich von ihm keinesfalls Ihre Beichte abnehmen. Geben Sie ihm lieber Ihr Geld.

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