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Wer Menschen-Steaks verzehrt, schenkt Zukunftsperspektiven

Als vor einigen Jahren die Tatsache ruchbar wurde, dass tiefgefrorene Hamburger verschiedener bekannter Marken Menschenfleisch enthielten, wie es sich anhand von Proben zweifelsfrei erwiesen hatte, die aus ganz Europa sowie den USA stammten, zeigte sich die Entrüstung zunächst von ihrer mächtigen, internationalen, lautstarken Seite. Die Medien bekamen eine kapitale Sau geschenkt, die sie wochenlang durchs sprichwörtliche Dorf jagen konnten. Spontane Demonstrationen sowie Gedenkanlässe mit Kerzen wurden vor etlichen Rathäusern abgehalten; Teilnehmerzahl pro Anlass: Im Durchschnitt immerhin gegen 19 Personen. Der Untergang der Zivilisation wurde heraufbeschworen. Und gleichzeitig derart bitter beklagt, dass es auf keine Kuhhaut mehr gegangen ist.

Der Vatikan, die Unesco, das Europaparlament, der Dalai Lama und der Schweizer Bundesrat gaben Statements ab, die vor professionell geheuchelter Betroffenheit nur so trieften.

„Indem wir Menschen aus bitterarmen Ländern essen…”

Doch dann trat Dr. J.W. Gupta auf den Plan, geboren 1942 in Mumbay, als Sohn eines indischen Vaters und einer Mutter, die ursprünglich aus Österreich stammte, Wohn- und Steuersitz in Penang, Milliardär, Ökonom, Arzt, Freimaurer, Ballonfahrer, Altruist – und Lieferant des Menschenfleischs. Im Schlepptau hatte er zwei Grossfamilien. Wohlgenährte Leute mit fröhlichen Gesichtern. Die eine Familie stammte aus dem Grenzgebiet zwischen Myanmar und China, die andere aus Sierra Leone.

Die Botschaft des guten Doktors: „Indem wir Menschen aus bitterarmen Ländern essen, verbessern wir deren Lebensqualität beträchtlich. Wer Menschenfleisch isst, schenkt verarmten Dörfern, auf denen Hunger und Krankheit lasten, glückliche Zukunftsperspektiven.“

Die Mitglieder der beiden Familien, etwa 120 an der Zahl, nickten dazu und lächelten aufmunternd in die TV-Kameras dieses blauen Planeten.

Es folgte eine massive internationale Kampagne. Politik, Medien, Forschung bearbeiteten das Thema mit beträchtlichem Gusteau. Dies löste rasch einen Paradigmenwechsel aus – bezüglich des Verzehrs von Menschenfleisch eben: Was früher verpönt war, genoss nun plötzlich einen achtbaren Ruf. Und der „Kannibale von Rotenburg“ liess aus der Haft verlauten: „Ich habe es ja schon immer gesagt!“

An erster Stelle stand für ihn der Bio-Gedanke

Die Überlegungen des famosen Herrn Gupta sahen bekanntlich folgendermassen aus: An erster Stelle stand für ihn der Bio-Gedanke – Tiere, die glücklich und artgerecht gehalten werden, werfen qualitativ besseres Fleisch ab, das auch noch gesünder und bekömmlicher ist als Fleisch aus Qualzuchten. Nun gebe es auf dieser Welt aber, so der Doktor, Abertausende von Menschen, die schlechter gehalten würden als beispielsweise vollumfänglich zertifizierte Bio-Rinder. Von artgerecht ganz zu Schweigen. Warum das?

Weil das wirtschaftliche Interesse fehle, die Lebensbedingungen dieser bedürftigen Menschen zu verbessern. Gupta: „Wir mussten also einen Mehrwert-Effekt finden, einen Anreiz schaffen, der eine bessere Haltung dieser bedürftigen und hungernden Menschen aus internationaler wirtschaftlicher Sicht attraktiv macht und entsprechende Investitionen rechtfertigt. Dies konnten wir am effektivsten dadurch erreichen, dass Menschen aus reichen Industrienationen Menschen aus Entwicklungsländern essen. Und damit automatisch ein Interesse daran haben, deren Lebensqualität beträchtlich zu verbessern.“

Er vertiefte sich also in die Materie. Dabei fand er heraus, dass der Verzehr von Menschenfleisch durch Menschen, historisch und moralisch betrachtet, gar kein so grosses Tabu darstellt, wie man allgemein annehmen könnte.

“Sogar ganze Rezeptbücher…”

Der Doktor sagt: „In der polynesischen Kultur gab es sogar ganze Rezeptbücher, die sich ausschliesslich mit der Zubereitung von Menschenfleisch befassten. In der Gastro-Fachsprache nennt man dieses Fleisch übrigens Long Pig, ein eleganter Euphemismus. Da waren ganz feine Rezepturen dabei, die man durchaus dem Geschmack der heutigen Zeit anpassen kann. Etwa mit Light-Varianten oder einem Low-Fat-Ansatz. Zudem ist Menschenfleisch, ernährungsphysiologisch betrachtet, keineswegs ungesund. Mit gutem Gewissen kann ich es heute postulieren: Der Verzehr von Menschfleisch gehört untrennbar zur menschlichen Kultur. Seit Tausenden von Jahren. Solange die Leute zum Zeitpunkt ihrer – absolut schmerzlosen und humanen Schlachtung – gesund sind, solange sie zeitlebens gut gefüttert wurden, ist alles vollkommen bedenkenlos. Gerade die Gewinnung von Menschenfleisch verlangt schliesslich Massnahmen, wie sie sonst nur beim berühmten Kobe Beef zur Anwendung kommen. Freibier und Massagen für die Zuchtexemplare inbegriffen.“

Man muss dabei kein schlechtes Gewissen haben

Man habe das Feld zunächst mit den Hamburgern testen wollen. Es habe sich dabei um einen bewussten Blindversuch gehandelt. Gupta erklärt: „Die Leute haben eben nicht gewusst, dass die Produkte Menschenfleisch enthalten. Aber sie haben es beim Verzehr auch nicht bemerkt. Sie haben sich nicht etwa automatisch vor den Hamburgern geekelt, es gab keinerlei biologische oder psychologische Abwehrreflexe, es ist auch niemandem schlecht geworden. Unsere unwissenden Testpersonen, es waren Tausende, haben vielmehr ausnahmslos angegeben, dass sie den Geschmack als eher angenehm, bis überaus angenehm empfunden hätten. Sowie wir diese Daten ermittelt und gesichert hatten, liessen wir die Story absichtlich platzen. Wir haben den staatlichen Inspektoren die Fleischproben nämlich selbst zugespielt, die das Menschenfleisch in den Hamburgern ans Licht der Öffentlichkeit brachten.

Damit lag alles offen auf dem Tisch und die grosse Grundsatzdiskussion konnte geführt werden. Wir hatten die schlagenden Argumente. Das Resultat ist bekannt: Menschenfleisch ist problemlos essbar, man muss dabei kein schlechtes Gewissen haben – und das ist gut so. Zudem wird in unseren Projekten niemand unfreiwillig geschlachtet, was man von den Tieren in den Schlachthöfen ja nicht behaupten kann. Die Menschen stellen sich aus freien Stücken für die Schlachtbank zur Verfügung, das können Tiere gar nicht. – Ein weiteres starkes Argument für den Verzehr von Menschenfleisch.

Die Communities, aus denen wir unser Fleisch beziehen, profitieren massiv vom Geschäft, sie sind entsprechend dankbar und haben sich unserem Projekt deshalb mit Leib und Seele verschrieben. Eine echte Win-Win-Situation!“

Verarmte Nationen blühen auf

Tatsächlich. Es stellte sich heraus, dass extrem verarmte, strukturschwache, hungernde Weiler und Dörfer in vielen verarmten Nationen durch die Vermarktung von Menschenfleisch regelrecht aufblühten. Die Bewohnerinnen und Bewohner erhielten plötzlich hervorragendes, gesundes Essen, beste medizinische, hygienische und sanitäre Versorgung, Investitionen noch und noch. Eine Super-Effekt – und erst noch nachhaltig.

Wie wir alle wissen, ist der Verzehr von Menschenfleisch inzwischen zur normalsten Sache der Welt geworden. Gefördert von namhaften internationalen Institutionen. Die Regeln in Sachen Produktion sind streng, die Kontrollen bezüglich Haltung der Schlachtmenschen äusserst scharf. In letzter Zeit haben sich zwar einige Billiganbieter auf dem Markt versucht, die blieben aber allesamt auf ihrer Ware sitzen – oder sitzen heute in der Todeszelle.

Nun wünsche ich Ihnen guten Appetit 

Inzwischen ist auf dem Bio-Menschenfleisch-Sektor ein neuer, fetter Boom ausgebrochen, die personalisierte Ware. Da klebt etwa auf dem feinen Oberschenkelfilet ein Foto der oder des Spendenden, wie wir die Schlachtmenschen inzwischen politisch korrekt nennen, dazu eine Notiz; zum Beispiel: „Herzlichen Dank, dass Sie mir durch den Kauf meines Fleisches ein menschenwürdiges Leben ermöglicht haben. Nun wünsche ich Ihnen guten Appetit bei meinem Verzehr.“ Am Ende die Unterschrift, handgeschrieben sogar: „Ngugi“. So etwas hat doch ein herzerwärmendes persönliches Flair.

Suppen, Eintöpfe, Braten, Aufschnitt, Surf&Turf, Trockenfleisch, Pastete – und neuerdings sogar Sushi: Der Verzehr von Menschenfleisch ist inzwischen zu einer echten Slow-Food-Erfolgsgeschichte avanciert, zu einer Wohlfühl-Life-Style-Masche mit Wellness-Aspekten.

Ich kenne sogar Leute, die früher knallharte Vegetarier waren, das Fleisch von Menschen heute jedoch bedenkenlos essen. Unter dem Motto: Jetzt muss ich kein Mitleid mit den armen Tierchen mehr haben – und den Leuten, die ich esse, schenke ich damit ein besseres Leben.

Nie zuvor hat die Fleischesserei auf dieser Welt derart warmherzige, freundliche – und jawohl – menschliche Züge getragen.

Die schönen Seiten des Lebens

Wobei mich neulich, nach dem Verzehr einer wirklich gut gemachten Homo Sapiens Schlachtplatte im hippen Zürcher “Bizeps Grill House”, für einen Moment das Gefühl beschlich, dass es in meinem Oberstübchen heftig spukt, so richtig mit Geistern und so. Wie in einer alten Villa, in der einst jemand ermordet worden ist. Doch an so schlimme Dinge wie Mord, wollen wir an dieser Stelle keineswegs denken. Schliesslich geht es hier um die schönen Seiten des Lebens.

Das Phänomen war wohl eher dem Primitivo zuzuschreiben, dem ich während dem Verzehr freudig zugesprochen hatte…

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Autor: Christian Platz

Lebt in Basel. Arbeitet überall. Reist recht viel. Vor allem nach Asien. Und in den Deep South der USA. Verdient sein Geld seit über einem Vierteljahrhundert mit Schreibarbeiten. Vorher hat er als Pfleger in einer Irrenanstalt gewirkt. Hat mehrere Bücher veröffentlicht. Spielt seit 40 Jahren fanatisch Gitarre, zwischendurch singt er auch noch dazu. Schreibt unter anderem für Kult. Ist manchmal gut aufgelegt. Manchmal schlecht. Meistens so mittel. Sammelt Bücher, CDs, Filme, Artefakte. In einem psychisch leicht auffälligen Ausmass. Verfügt, bezüglich der Dinge, die er sammelt, über ein lexikalisches Wissen. Platz ist einerseits ein Wanderer auf dem Pfad zur linken Hand. Andererseits Neofreudianer mit Waffenschein. Liebt Blues und Voodoo, Rock'n'Roll und die schwarze Göttin Kali. Trinkt gerne Single Malt Whisky aus Schottland. Raucht Kette. Ist bereits über 50 Jahre alt. Macht einstweilen weiter. Trotzdem wünscht er nichts sehnlicher herbei als die Apokalypse.

WARNHINWEIS:
Dieser Mann tritt manchmal als katholischer Geistlicher auf, stilecht, mit einem besonders steifen weissen Kragen am Collarhemd. Dies tut er in gänzlich irreführender Art und Weise und ohne jegliche kirchliche Legitimation. Schenken Sie ihm - um Gottes Willen - keinen Glauben. Lassen Sie sich nicht von ihm trauen, ölen oder beerdigen. Lassen Sie sich von ihm keinesfalls Ihre Beichte abnehmen. Geben Sie ihm lieber Ihr Geld.

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