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Kultur statt Luxus: Der Chessu muss bleiben!

Text: Dino Dragic-Dubois

 

Pendelnden Studierenden aus der Hauptstadt oder umtriebigen Berner Mitglieder der schweizerischen Bar- und Clubkommission ist es schätzungsweise zu verdanken, dass die Aufkleber des Gaskessels Bern mit der Aufschrift „Kultur statt Luxus“ auch im grossen Zürich von Wänden prangern.

Ein solcher Sticker kreuzte erst kürzlich den Weg von Zürichs Mr. Nightlife Alex Flach. Dieser äusserte sich mit negativer Konnotation über den Sticker und gab zu bedenken, dass man drüben in Zürich nicht alles nur „schwarz/weiss oder alternativ/schick“ sehe. In Zürich möge man das „statt“ nicht so sehr und liebe dafür das „und“ sowie die verschiedenen Farbtöne zwischen schwarz und weiss, so Flach weiter.

Dass dieser Sticker aber dennoch seine Berechtigung hat und warum gerade der Gaskessel gegen Luxus kämpft, erläutere ich nachfolgend für Bern-Ausländer_innen und anderweitig an der Hauptstadt-Kultur Interessierte.

Der Gaskessel Bern ist eines der ältesten Jugend- und Kulturzentren Europas. Seit über 45 Jahren ermöglicht der Verein „Jugend- und Kulturzentrum Gaskessel Bern“ jedem und jeder, sich barrierefrei dem Verein anzuschliessen und ohne Mitgliedsbeitrag oder irgendwelchen Vorkenntnissen am kulturellen Treiben im Gaskessel mitzuwirken.

Die Bedeutung des Treffpunkts auf dem Gaswerkareal, in Mitten eines Stadtparks und unweit vom Sommer-Hotspots Marzili gelegen, ist unbestritten. Bereits 2011 wie auch im letzten Jahr wurde die Arbeit des Gaskessels mit einem Sozialpreis ausgezeichnet. Diesen Sommer folgte ein erneutes Bekenntnis zu diesem Treffpunkt: innert kürzester Zeit kamen via Crowdfunding rund 50‘000 Franken zusammen, mit denen ein Skatebowl vor dem Gaskessel errichtet wird. Der Bau wird in diesen Tagen fertiggestellt und zieht schon jetzt Skater_innen aus der Region an. Mit grosser Gewissheit wird die Bowl das Gaswerkareal spätestens ab der nächsten Saison bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen weiter beleben.

Doch die Geschichte des Gaskessels, der sich das Areal einst mit der geschichtsträchtigen, heute an einem anderen Standort weiterbestehenden, alternativen Wohnwagensiedlung Zaffaraya teilte, geht über Jugendarbeit und die Treffpunkt-Funktion hinaus. In den Jahren 2009 bis und mit 2013 war der Gaskessel einer der Hotspots für elektronische Musik in der Bundesstadt und beherbergte Künstler wie  Chris Liebing, Lutzenkirchen live, Anja Schneider, Mihai Popoviciu, Rodriguez Jr., Christian Burkhardt, Mira & Chris Schwarzwälder, Dan Ghenacia, Dominik Eulberg, DeWalta, Oliver Koletzk oder UMEK.

Nach zeitweiligem Stillstand in Sachen elektronischer Musik, ist es dem Gaskessel dank dieser guten Basis möglich, sich erneut als Standort für elektronische Musik zu etablieren. Seit einem knappen Jahr gastieren Hochkaräter wie Extrawelt, Martin Buttrich, Format:B, Oliver Koletzki, Jan Blomqvist, Einmusik b2b Saalbach live wieder in den beiden Gaskessel-Konvexen. Schon rein von der Grösse her eines der letzten Tanzhäuser, das solche Bookings in Bern überhaupt noch möglich macht. Der Gaskessel hat dazu weitere in Bern einzigartige Eigenschaften, die von Veranstaltenden geschätzt werden und ganz neue Möglichkeiten eröffnen: zwei gut trenn- sowie auch vereinbaren Floors und eine clubeigene Gastro-Küche mit dazugehörigem Speisesaal.

Doch zurück zur Luxusproblematik. Luxus wird unbestritten subjektiv definiert. Gerne darf man Kultur an sich als Luxus sehen – natürlich tun wir das in Bern ebenso. Doch ich wage zu behaupten, dass Kulturakteure in Bern unter dem Begriff „Luxus“ mehrheitlich etwas anderes verstehen: Bernburger, Gentrifizierung, Luxuswohnungen, die Frau Müller-Problematik (Figg di!), Logieren im Schweizerhof oder sexistisches Clubbing in Champagner-Lounge-Schuppen.

Das mag daran liegen, dass es bei uns keine „schicken“ Schuppen gibt, der für im Nachtleben und der Gesellschaft allgegenwärtige und zu bekämpfende Probleme wie Sexismus und Rassismus einstehen. In Bern vertreten solch löbliche Haltungen ausschliesslich alternative(er) Betriebe. Ein gutes Beispiel dafür, bildet die Liste der mitmachenden Betriebe in der jüngst vom Gaskessel mit angestossenen Anti-Sexismus Kampagne „Flirt don’t hurt“. Ausschliesslich eben bezeichnete „alternative(re)n“ Betriebe finden sich auf diesem Dokument. Das darf  resp. soll sich künftig gerne ändern!

So liegt aber die Ursache für das schwarz-weissere Denken weniger bei den Bernerinnen und Bernern, sondern am Fehlen der Grau- oder Farbstufen dazwischen. Kultur und Freiräume leiden omnipräsent unter Sachverhalten, die in Bern mit dem Begriff Luxus in Verbindung gebracht werden. Soweit zur Grundverschiedenheit zwischen Bern und Zürich – zurück zum Gaskessel.

Seit geraumer Zeit wird dieser via Leistungsvertrag von der Stadt Bern unterstützt. Aus unerklärlichen Gründen zeigt sich seit einiger Zeit in vielerlei Hinsicht ein fragwürdiger Umgang mit dieser Unterstützung seitens Stadt und Politik: Im Jahr 2013 wurde erstmals bekannt, dass die Stadt beabsichtig, im damaligen Standort der Sanitätspolizei, einen weiteren Jugendclub einzurichten. Doch auch als die Sache konkreter wurde und ich via Mail an die zuständige Stelle Interesse bekundete, wurde man vertröstet: „Es sei noch zu früh und die Interessenten werden zu gegebenem Zeitpunkt informiert“.

Die nächste Information entnahm ich der Zeitung – rund 2 Millionen Franken wurden vom Stadtrat gesprochen und der Trägerverein für den neuen „Jugendclub“ war auch schon definiert. Ich fühlte mich übergangen. Und es stellen sich weitere Fragen: Warum will die Stadt einen subventionierten Jugendclub, der vom Fassungsvermögen grösser ist als sämtliche andere Clubs im Umfeld, mitten im Zentrum platzieren und dadurch den angeschlagenen, gestandenen Betrieben zusätzliche Konkurrenz machen? Warum will die Stadt dies an einem Standort, wo Anwohner bereits nach erstem Bekanntwerden auf die Barrikaden gingen und Einsprachen bis vor Bundesgericht ankündeten? Und gleichzeitig: warum will die Stadt das Gaswerkareal, wo der Urvater der bernischen Jugendclubkultur seit fast fünf Jahrzehnten sitzt, mit Luxusheimen für Frau Müller verbauen? Alles berechtigte Fragen, auf die es wohl keine ernstzunehmenden Antworten geben wird. Die fragwürdige Haltung der Stadt zum Gaskessel wird dadurch aber deutlich.

Damit wäre die Überleitung zum nächsten Problem gemacht: Seit langen Jahren sind die Betreiber des Gaskessels von einer ungewissen Zukunft geplagt: Das Gaswerkareal, auf dem sich der Gaskessel befindet, soll überbaut werden. Eigentümerin des Baulands ist die EWB (Energie Wasser Bern), ein Energiekonzern im Besitz der Stadt Bern.

Bereits 2012 führte die Baufirma Losinger Marazzi exklusiv im Auftrag der EWB eine Testplanung fürs Gaswerkareal durch. Die vereinbarte Gegenleistung resp. Entschädigung für Losinger Marazzi sowie die Details der Vereinbarung im Allgemeinen sind bis heute nicht vollumfassend öffentlich; in den Medien wurde von „Geheimverträgen“ gesprochen. Damals in der Funktion des Direktors für Losinger Marazzi tätig und firmenintern mit dem Dossier betraut war der heutige Berner GFL-Stadtpräsident und Bernburger Alec von Graffenried. Vorwürfe der Intransparenz sowie ein undemokratisches Vorgehen lauteten später Vorwürfe zur Causa Gaswerkareal. Im Jahr 2015 titelte die Berner Zeitung noch „Gaswerkareal: Die Stadt ist Losinger Marazzi ausgeliefert“. Kurz vor der Wahl von Graffenrieds griff die Stadt in den blockierten Prozess ein und entschied, möglichst schnell von ihrem Vorkaufsrecht Gebrauch zu machen und der EWB das Gaswerkareal abzukaufen.

 

Nach dem Entscheid des Rückkaufs durch die Stadt Bern gewann der ehemalige Direktor von Losinger Marazzi, Alec von Graffenried, die Wahl zum Stadtpräsidenten gegen die SP-Kandidatin Ursula Wyss. Beim Kauf durch die Stadt Bern, ist der Stadtpräsident durch das Stadtplanungsamt und Hochbau Stadt Bern massgeblich am weiteren Verlauf der Planung auf dem Gaswerkareal beteiligt. An der ersten Sitzung als Stapi hatte von Graffenried dann just dieses Dossier zu behandeln – sein Interessenskonflikt habe sich „in Luft aufgelöst“, weil der Gemeinderat noch in alter Konstitution entschied, das Planungsprojekt selbst zu übernehmen und damit Losinger Marazzi zu entziehen, liess er diesbezüglich verlauten. Mittlerweile ist er seit bald einem Jahr „Stapi“ von Bern. Den Ruf als Kulturschreck hat er sich bereits in anderen Angelegenheiten gesichert – dies obwohl für die Wahlkampffotos inkognito im Berner Kultur-Mekka Reitschule posiert wurde. Zur Causa Gaswerkareal und im Besonderen zur Entschädigungen, die Losinger Marazzi beim Rückkauf durch die Stadt von der EWB geschuldet werden, äussert er sich nicht – er habe das Dossier bereits vorzeitig aufgrund seines politischen Engagements abgegeben und habe keine Kenntnisse vom firmeninternen Stand bei dem Bauriesen. Es ist anzunehmen, dass der internationale Multikonzern Parzellen auf dem Gaswerkareal zur Verfügung gestellt kriegt oder anderweitige, millionenschwere Entschädigungsleistungen zugesprochen erhält.

Währenddessen absolviert einer von von Graffenrieds Söhnen gerade ein Praktikum bei Losinger Marazzi und das Überbauungsprojekt geht weiter. Die neuen Pläne weisen eine hohe Ähnlichkeit mit der Testplanung von Losinger Marazzi auf. Aktuell ist beim abschliessenden Volksentscheid ein sehr undemokratisches Vorgehen vorgeschlagen: Die Bevölkerung soll sich nur in einer Phase zum Projekt äussern dürfen, der Gemeinderat soll im Anschluss eigenständig entscheiden.

Im Zusammenhang der Überbauungspläne wurde schon früh mit dem Gaskessel und seinem historischen Standort solidarisiert. Ende 2014 überwies der Stadtrat eine breit abgestützte Jugendpetition „Chessu blibt“. Diese Anstrengungen mündeten vor einem Jahr in einem „Letter of Intent“, einer Absichtserklärung zwischen Stadt und Gaskessel-Betreibern. Darin sichert der Gaskessel seine aktive Mitwirkung beim Suchen eines Alternativstandorts zu, kriegt im Gegenzug die Zusicherung, dass als Rückfallebene der Status Quo gewährt wird. Konkret: Der Verbleib auf dem Gaswerkareal.

Wer den Gaskessel kennt, weiss um die immense Bedeutung des eigentlichen Bauwerks. Der  „Gaskessel“ ist nicht nur ein Name, sondern der tief verwurzelte Standort eines der ältesten Jugend- und Kulturzentren Europas – im historischen Gaskessel. Eine Umsiedlung scheint zumindest mir nicht nachhaltig möglich. Einen geeigneten Alternativstandort zu finden, ist daher nicht grundsätzlich auszuschliessen, doch stark unwahrscheinlich. Also bleibt den Verantwortlichen im „Chessu“ nichts anderes übrig, als mitzumachen und sich auf den „Letter of Intent“ mit der Stadt zu berufen. Dass dieser Letter of Intent aber kaum dem politischen oder wirtschaftlichen Druck bei der Stadt standhalten wird, ist schwer anzunehmen. Ebenfalls die Möglichkeiten dessen Auslegung: Der Verbleib „auf dem Gaswerkareal“ ist offenkundig nicht mit dem Verbleib am aktuellen Standort im Gaskessel gleichzusetzten. Die Betreiber des Gaskessels sollen damit ruhig gestellt werden, doch es ist lediglich ein Vertrösten und Hinhalten mit Floskeln und kein wahres Bekenntnis zum Gaskessel an seinem originalen Standort. Den Gaskessel in einem charakterlosen Neubau-Keller am Rand einer mit Luxuswohnungen überbauten Zone, kann sich wohl kein Gast des Hauses vorstellen.

Somit sagt der Gaskessel zurecht Luxus den Kampf an. Ich unterstützte ihn dabei und setzte mich für das Verbleiben vom Gaskessel an seinem jetzigen Standort und für das Bewahren historischer kulturellen Freiräumen ein. Wer weiss, künftig vielleicht mit Unterstützung aus Zürich und anderswo.

 

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Autor: Alex Flach

Alex Flach (*1971) erblickte das Licht in der Klinik Bethanien in Zürich. Nach langen Jahren des Herumeierns bei Versicherungen und nach Erreichen der Bachelor-Würde in Ökonomie, kam er zum Schluss, dass ihm seine Freizeitgestaltung besser gefällt als der Arbeitsalltag und er beschloss, dass es eine feine Idee sei, seine Hobbys Schreiben und Clubbing zu kombinieren. Nachdem er einige Jahre für Medien wie das Forecast Magazin, das 20minuten, den Blick am Abend und natürlich KULT übers Ausgehen geschrieben hatte, erkannte er, dass Clubs bezüglich Medien zumeist ähnlich grosses Talent an den Tag legen, wie Erdferkel bezüglich Quantenmechanik - und dies obschon viele von ihnen ein Programm bieten, das eine regelmässige und umfangreiche Berichterstattung verdient.

Heute betreut Alex die Medienarbeit diverser führender Clubs in der deutschen Schweiz, darunter führende Locations wie das Hive (Zürich), der Nordstern (Basel), das Rok (Luzern), die Zukunft (Zürich) oder der Hinterhof (Basel). Zudem schreibt er im Tages Anzeiger eine wöchentliche Nightlife-Kolumne, ist wöchentlich Studiogast in der Sendung Friday Night von Jonas Wirz auf Radio 24, ist Chefredaktor der Drinks Schweiz, des offiziellen Organs der Schweizer Barkeeper Union, betreut seit Anbeginn die Kommunikation des tonhalleLATE-Projekts der Tonhalle-Gesellschaft Zürich und bildet neuerdings, und zusammen mit Marc Blickenstorfer, Zürich Tourismus-Exponenten in Sachen Nachtleben aus.

Kurzum: Seine Couch und sein Schreibtisch stehen exakt auf der Schnittstelle zwischen dem Schweizer Nachtleben und der Öffentlichkeit. Dass er bisweilen zum über die Stränge schlagenden Berserker werden kann, wenn die von ihm so geliebte Nachtkultur (selbstverständlich völlig zu Unrecht) angepöbelt wird, versteht sich da von selbst.

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