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New York-Bar

Der «Schwarze Kölner» liegt irgendwo in der Nähe der Lafayette. Ganz genau vermochte ich nicht zu erklären, wie ich hier gelandet war. In Brooklyn hatte ich Yogasawari interviewt. Die Yogi arbeitete Asana-zentriert und öffnete die Chakren durch Dehnung und Beugung des Rückens. Dehnen und Beugen sollte besseres Verständnis bringen, eine Öffnung hin zu Liebe und besserer Verständigung. Wie es aussah, hatte ich also mit Yogasawari gesprochen. Bevor die Zeit geendet hatte. Bevor ich im «Schwarzen Kölner» gelandet war. Es ist nie schwer, sich vor New York zu fürchten, nie mehr aus der Wohnung raus zu wollen. Einfach zuhause zu bleiben, bis kein Kurier mehr lieferte. Aber diesmal hatte es mit New York nichts zu tun.

In Peshawar hätte es viele Gründe gegeben die Nerven zu verlieren. Und in Beirut wären sie einmal fast weggewesen. Die Nerven. Aber in Brooklyn? Wegen einem Interview mit einer Yoga-Lehrerin? Im «Schwarzen Kölner» nahmen sie es mir nicht übel. Sie brachten mir Bier, manchmal Gin und kümmerten sich nicht einmal übermässig ums Geld. Dazu war man hier schon zu cool. Obwohl sich Brooklyn tüchtig herausgeputzt hatte, die Mieten explodiert waren, konnte man sich in der Hipster-Bar ganz offensichtlich den einen oder anderen Verlorenen leisten.

An Syrien dachte ich nicht mehr viel. Wahrscheinlich hatte ich schwarze, lähmende Träume, selten wachte ich erholt auf. Meine Wohnung im Village war ein eigentlich viel zu teurer Luxus für einen Reporter, der es nie weit über die Niederungen des Journalismus gebracht hatte. Nach den Ereignissen in Ghouta hatte der Sender vielleicht ein schlechtes Gewissen. Ich dagegen erinnerte mich an einen Knall in einem Schmuggler-Tunnel. Unser syrischer Führer hatte den Tunnel als Ausweg gesehen, um den Soldaten – wir wussten nicht von welcher Seite – zu entkommen.

Jetzt sass ich, statt in Staub und Krieg, in einem klimakontrollierten Büro in New York und bemühte mich Artikel zu bearbeiten, die ehrgeizigere Journalisten als ich ablieferten. Die Yogasawari-Story war die typische Lifestyle-Geschichte. Gestresste New Yorker sollten ihre müden Glieder dehnen und lernen sich zu entspannen. Die Frau war sehr sympathisch und leidenschaftlich gewesen. Wie immer bei solchen Anlässen in New York trafen wir uns in einem Loft in einer umgebauten Fabrik, dessen Wände auf gestylte Weise nach rauem Verputz aussahen.

«You’re not that much into these things, are you?», grinste die Yogi und stellte den Grüntee vom Beistelltisch wieder weg und holte aus der Küche zwei Bier. Die Küche erkannte man daran, dass ein Tisch und ein Kühlschrank rumstanden. Das Gebot der Stunde war Open Space und nur die Bade- und Gästezimmer waren abgetrennt. Wir setzten uns in eine sonnige Ecke und Yogasawari erzählte mir auf routinierte, sympathische Weise von ihrem «Asana-zentrierten» Yoga. Die Mittvierzigerin verstand Asana als die Beziehung zur Mutter Erde. Auf meinem Block hatte ich auch Worte wie, Ahimsa, Nada und Bhakti aufgeschrieben. Alles Zeug, was ich später in der Redaktion nachschauen könnte. Sanskrit war nicht meine Stärke.

Yogasawari schien Spass an der Begegnung zu haben. Sie meinte, es müssten ja nicht alle Leute ihren Körper entgiften und ihr Selbst öffnen, um eine grössere Realität zu erkunden. Beim zweiten Bier sagte sie, wütende oder verstörte Menschen seien oft besser im Bett. «Sex is a thing, were madness sometimes is wisdom, don’t you think?». Das war gutgesagt, dachte ich und fing langsam an den Nachmittag zu geniessen.

Unvermittelt füllte sich der «Schwarze Kölner» wieder. Fröhliche, junge Menschen mit I-Phones, manche davon mit Bärten umgaben mich. Ich empfand sie als eine Art plappernden Handschuh, der mich umhüllte und vor schlimmerem bewahrte, ohne dass ich hätte sagen können, was schlimmer gewesen war. Ich hatte keine Ahnung mehr, wie lange ich schon im «Schwarzen Kölner» rumsass. Wahrscheinlich machte sich die Redaktion Sorgen, aber mir war klar: Ich kam nicht mehr weiter. Als höchstes der Gefühle schaffte ich es noch auf die lächerlich beleuchtete Toilette und dann wieder an meinen Platz zurück. Es schien keinen Grund zu geben, den Schwarzen Kölner je wieder zu verlassen. Eine vernünftige Lösung. Manche Dinge enden eben in New Yorker Bars. Nicht, dass mir viele eingefallen wären. Andere Dinge beginnen in einer New Yorker Bar. Darauf konnte man ganz gut trinken.

Vor den Fenstern dämmerte es schon wieder. Das Leben zog draussen vorbei. Sicher, ein hartes, ziemlich unbarmherziges New Yorker Leben. Aber natürlich fiel es immer leicht, es zu vergessen. Das war’s jetzt, dachte ich mir jetzt. Mag sein, ich träumte meine schwarzen Träume mit offenen Augen. Aus Mitleid hatte mich sogar eine junge Frau angesprochen, vielleicht lag noch etwas Glanz von Yogasawari über mir. Wir redeten ein bisschen. Rashida machte es mir leicht. Jugend liess ihre Augen leuchten, die Zukunft als Versprechen erscheinen. Sie machte die Dinge leicht. Und ich wusste, ich würde sie vermissen, kaum würde sie weiterziehen.

Die Checkpoints waren keine Alternative mehr gewesen. Reuters, CNN, BBC, eigentlich alle anderen waren früher raus und sofort zurück nach Damaskus. Nicht, dass die Dinge dort viel besser gewesen wären, aber sicherer. Wir rannten durch einen engen, staubigen notdürftig errichteten Tunnel. Nach den ersten Explosionen versuchten wir schneller zu rennen. Dauernd verloren wir irgendwelchen teuren Kameramist, aber das war jetzt keine Frage mehr. Irgendwann geht einen die Puste aus, es fehlt die Kraft zu atmen und trotzdem rennt man weiter, weil es kein Zurück gibt.

«Ich habe eine Frau umgebracht», sagte ich dem Barkeeper. «Klar, dass sieht man, Alter», meinte er und gab mir einen Gin aus. Yogasawari hatte nach dem zweiten Bier gemeint, für einen verrückten sei ich vielleicht nicht verrückt genug. Worauf ich zugeben musste, ich sei auch nicht besonders im Bett. «Du musst nicht reden, aber irgendwann wird es aus dir rauskommen.» Sie sprach sanft und wohltuend davon, dass Yoga etwas Altes sei, es Entspannungsübungen gebe, die man schnell lernen könnte und die auch bei seelischen Wunden weiterhelfen würden. Einen Augenblick lang geriet ich in Versuchung. Aber schliesslich hatte sie Unterricht. Sie sagte, ich dürfe zurückkommen. Sie könne mir sicher helfen.

Rashida grinste, etwas tattrig suchte ich Halt bei meinem Gin und hatte ihr Bier vergessen. Sie huschte kurz an mir vorbei und holte sich das Bier vom Tresen. Im Schwarzen Kölner war noch nicht viel los und es herrschte die Leichtigkeit vor der Rush Hour. Die Stadt hielt den Atem an, bevor dieser allabendliche Scheiss losging. «Ich bin froh, nicht da draussen zu sein, was meinst du?» sagte Rashida, schüttelte etwas ihre dunklen Haare und schickte hintendrein: «Klar, so wie du aussiehst, bist du vielleicht zu froh hier zu sein.» Die Stadt gab einen im Zwielicht kurz diese Freiheit. Sie offerierte uns allen das Geschenk des Nichts. Dann würde sie losschlagen: In der Subway, auf den Trottoirs, auf den Strassen. Die Taxifahrer würden fluchend von Auftrag zu Auftrag hetzen, das Geschrei ihrer potentiellen Kunden am Strassenrand ignorierend. Die New Yorker Polizei würde die Hunde aus den Käfigen holen und am Broadway Präsenz markieren. Aber kurz noch, kurz hielt die Mega-Maschine aus Menschen, Transportmaschinen, Kommunikationsmaschinen, Rechenmaschinen inne. So als gäbe es eine Chance. So, als müsse das alles nicht sein.

Rashida erklärte mir ihr Leben als Designerin. Irgendwie hatte sie den goldenen Schnitt entdeckt, während sie Bettwäsche entworfen hatte und war nun begeistert, wie gross das grafische Universum war. Klar, ich hatte ihr nicht sagen können, was los war, aber ich hatte ihr ein bisschen davon erzählt, dass es in Peshawar eigentlich ganz schön war, der Khyber-Pass ein Politikum, solche Dinge eben. Sie erzählte dann ein bisschen von ihren Eltern aus Algerien, davon dass die Grosseltern nach Frankreich geflüchtet waren. Seltsam, offensichtlich hatte ich angenommen, sie komme aus Pakistan. Aber eine Bar in New York ist nicht ein Ort, um zu zweifeln. Obwohl sie gute Orte sind, um sich zu erinnern, vergessen sie schnell, weil es einfach viele von ihnen gibt. Man konnte ganz gut hingehen, um sich zu erinnern, durfte aber nie erwarten, dass sich jemand lange an einen erinnerte.

Dann pennte Rashida einfach ein, sie hatte noch ein deutsches Bier getrunken, den Löwenanteil meines Gins weggekippt, gegähnt und sich an meine Schulter gelehnt und ihr Nickerchen begonnen. Yogasawari hatte gesagt, dass ich nicht immer entkommen können würde. Irgendwann, würde es mich erwischen. Der regelmässige Atem. Die Entspannung legte sich wie ein sanfter Schleier über ihr Gesicht. Ihre Haare ein sanftes dunkles Meer. Die Ahnung von Mondlicht. Einer Nacht, die nicht rachsüchtig war. Ich winkte mit dem Glas.

«Niemand kommt davon, jeder hat diese Wunden», Yogaswari lallte ein bisschen. Sie hatte das dritte Bier nur wegen mir getrunken. «Aber das macht nichts. Mutter Erde will das so. Wenn du nicht gelitten hast, hast du nicht gelebt.» Sie erklärte mir, dass ihre Tochter gestorben sei. Da habe sie schon lange meditiert, sie sei noch Schülerin eines viel berühmteren Yogi gewesen. «Ich habe ihn geliebt und er war ein Arschloch. Er war verrückt. Als sie starb, bin ich verrückt geworden.» Sie habe meditiert, geübt. Solange, bis sie sich den kleinen Zeh in die Nase hätte stecken können. Einen Augenblick grinste sie finster. Sie überlegte wohl, ob sie noch einen tantrischen Spruch loswerden sollte. Ich war ihr dankbar, dass sie es nicht tat.

«Deine Tochter?»
«Ja, meine Tochter. Und seither nichts.»
«Und er hat dich alleingelassen?»
«Ja, das hat er. Aber kann nichts dafür, weil ich erleben musste, dass der Scheiss mit dem kleinen Zeh nichts bedeutet. Ich musste es einfach …» Sie atmete aus, sah auf die künstlich aufgerauten Wände ihres Lofts. Sie seufzte mit einer Handbewegung, die sagte, es sei schwer zu erklären. Ich zuckte zum Abschied mit den Schultern.

Der Barkeeper brachte zwei Gläser. Eine Flasche Bombay. Eis hielt er offenbar nicht für nötig. «Ihr seid ein schönes Bild», sagte er und meinte wohl eher die schlafende Rashida. Er setzte sich hin, schaute erwartungsvoll auf.

Naomi war nicht mehr mitgekommen, die Kamerafrau schleppte die Kamera immer noch mit. Der Staub und Dreck regnete gleich kiloweise auf uns runter. Irgendwo war viel Blut und Ahmed schrie, wie am Spiess. Ich sagte im Schwarzen Kölner: «Ich werde nie wieder sehen, wie sie schläft.» Wir krochen eine lange Zeit vorwärts. Das Gefühl Staub zu kotzen ist beinahe unerträglich. Ghouta war keine gute Entscheidung von mir gewesen. Die Soldaten kamen jetzt auch von vorne, einfach andere. In Syrien wirft der eine Granate, der eine hat. In einem Krieg, in dem keiner weiss, worum es eigentlich ging. Es wird nie mehr möglich sein, herauszufinden, welche Seite Naomi erschossen hat. Sie starb einfach. Im Kreuzfeuer. Für nichts. Der Tunnel stürzte ein. Viele Leute starben. Irgendwie holten sie mich raus.

«Mann, oh Mann», sagte der Barkeeper. «Hier bist du sicher.» Er musste zur Arbeit zurück. Rashida atmete neben mir tief und regelmässig. Ich trank noch einen Gin. In einer New Yorker Bar.

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Autor: Andy Strässle

Andy Strässle umarmt Bäume, mag Corinne Mauch und verleugnet seine Wurzeln: Kein Wunder, wenn man aus Blätzbums stammt. Würde gerne saufen können wie Hemingway, hat aber immerhin ein paar Essays über den Mann zu stande gebracht. Sein musikalischer Geschmack ist unaussprechlich, von Kunst versteht er auch nichts und letztlich gelingt es ihm immer seltener sich in die intellektuelle Pose zu werfen. Der innere Bankrott erscheint ihm als die feste Währung auf der das gegenwärtige Denken aufgebaut ist und darum erschreckt es ihn nicht als Journalist sein Geld zu verdienen.

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