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Sex-Dystopien – Verrottetes Fleisch und Zombie-Viren

Rohes Fleisch klebt an einem zerfressenen Schädel. Die verbliebene Haut hängt in fahlen grauen Fetzen vom Skelett. Unter einem Büschel stumpfer Haare quillt ein pochendes Gehirn, dessen Synapsen sich nur für ein einziges Ziel vernetzen: Triebbefriedigung. Hass, Rache, Vernichtungswut, in erster Linie aber Fresssucht, treibt die Untoten an, Gier nach Fleisch, nach Sättigung.

Wer jetzt an Sex denkt, an unstillbare Lust auf Körperlichkeit, liegt falsch. Die Triebe richten sich ausnahmsweise nicht auf Sex. Der Trieb dient einzig und allein der Fütterung eines unaufhaltsam dem Verfall preisgegebenen Körpers. Der Trieb ist in die DNA eines Systems eingeschrieben, das Menschlichkeit mit Stumpf und Stiel ausrottet, nur noch groteske Hüllen, Gefäße des Bösen zurücklässt.

Es ist nicht nur die Faszination des Abjekten, das uns wie gebannt auf den Bildschirm starren lässt, wenn Zombies in Endlosserien über den Bildschirm flackern, sondern auch das Wissen um die Wahrheit des Ekels. Wir starren in leere Augenhöhlen und sehen uns selbst. Die abgerissenen Glieder und zerfetzten Organe stehen für die trügerische Folie der Menschlichkeit, hinter der sich pochende Gier und pulsierende Zerstörungssucht drängen. Wer sich ekle, heißt es bei Nietzsche, habe einen „wahren Blick in das Wesen der Dinge gethan.“

Was wir dort sehen, ertragen wir nur gepixelt. Einzig die Fernbedingung und die Exit-Taste ersparen uns das Schicksal, unter die Kontrolle des Stammhirns zu geraten. Ein Klick und wir erlösen uns von der Jagd auf triebgesteuerte Wesen und konzentrieren uns wieder auf unser zivilisiertes Dasein, Gemüsechips und Craft Beer. Die Erleichterung über das eigene Leben ist um so größer, je tiefer wir in den Abgrund der Barbarei blicken, die Macht um so weitreichender, je schneller wir uns des Bedrohlichen entledigen können.

Wenn an Halloween die Verdammten dieser Erde Hexen und Kürbisköpfen den Garaus machen, können wir das als sicheres Zeichen für den endgültigen Siegeszug der Verrohung werten. Der Grad der Grausamkeit bestimmt über die Menge der Goodies. Zombies, besprüht mit „Eau de Mort“, lassen uns das Adrenalin durch die Adern rauschen, sodass wir schauerlich erregt die Gummibärchen ins Körbchen fallen lassen, froh darüber, dass uns der fatale Biss erspart bleibt.

Apropos Biss: Gegen die spitzen, sich in weiße Hälse bohrenden Zähne eines aristokratischen Vampirs hätten wir weit weniger einzuwenden als gegen das faulige Gebiss eines Untoten, gegen dessen Gift es, sei es viraler oder sonstiger Natur, kein Antidot gibt. Aber auch Vampire befinden sich wie Magier und Giftzwerge auf dem Rückzug. Rastlose Zombies verdrängen die noble Spezies der nachtaktiven Blutsauger und mit dem Untergang Draculas verschwindet auch die Lust auf Sex. Während sich hinter den edlen Gesichtern tanzender Vampire eine ungebändigte Gier nach unbefleckten Leibern verbirgt, eine Sehnsucht, dem begehrten Wesen die Ratio aus dem Leib zu saugen, verbleibt mit dem Zombie nur verrottetes Fleisch, Thanatos statt Eros.

Die Invasion der Zombies ging schleichend vonstatten. Am Anfang war der White Zombie. Bela Lugosi verwandelt 1932 eine junge Braut in ein willenloses Wesen, das den Gelüsten eines Großgrundbesitzers dienstbar gemacht werden soll. Die Pikanterie besteht darin, dass durch Voodoo-Zauber eine Sexsklavin erschaffen werden soll. Von Verwesung und Leichengeruch keine Spur. Noch sind es animalische Ausdünstungen, die sich durch das Celluloid fressen. Mit den „Invisible Invaders“ aus dem Jahre 1959 beginnt die Entsinnlichung: Unsichtbare Aliens bemächtigen sich menschlicher Körper, verseuchen sie radioaktiv und bedrohen die amerikanische Gesellschaft. Romero erschafft mit der „Nacht der lebenden Toten“ schließlich den Klassiker des Genres: Untote ziehen traumwandlerisch durch die Lande auf der Suche nach Menschenfleisch. Zwar hängt ihnen das Fleisch noch nicht in Lappen vom Leibe, von Wesen mit sexueller Anziehungskraft kann beileibe jedoch nicht die Rede sein. Den Höhepunkt körperlicher Abstoßung erreichen die Zombies in World War Z und The Walking Dead. Rotten Flesh, Hyperaggressivität und Lichtgeschwindigkeit sind ihre Charakteristika. In Nullkommanichts zerfetzen sie die Zivilisation. Auf dem Gipfel des Raubtierkapitalismus findet auch die Auslöschung der Sexualität statt. Die geheime Faszination für das Triebhafte weicht der Angst vor jeglichem Rationalitätsverlust. Basic Instinct ist der Überlebenstrieb. Survival of the Fittest dominiert über Lust, Sex und Spielerei.

Das Zeitalter der Prüderie verkörpert sich in einer neuen Zombie-Ästhetik, die bar jeglicher Erotik Sex zu einer einzigen Bedrohung werden lässt. Einzig der Film „Dead Girl“ bildet eine Ausnahme. Er nimmt den Hype um BDSM und Shades of Grey bereits 2008 vorweg. Angekettet an eine Bahre in den Katakomben eines ehemaligen Irrenhauses liegt ein bissiges Wesen, eine schöne Untote, der ein braver Highschool-Schüler nicht widerstehen kann. Das beautiful Beast ist eine Bedrohung für die Moral der amerikanischen Elite und muss natürlich vernichtet werden.

Wie sehnt man sich da doch als Überlebende der Sexausmerzung nach dem guten alten Cronenberg, der in den Siebzigern seinen „Parasiten-Mörder“ harmlose Mitmenschen in sexgierige Monster verwandelte? Nach einem gescheiterten Experiment mit Parasiten, begeht der Wissenschaftler Dr. Hobbes Selbstmord. Die Parasiten können erkrankte, funktionsuntüchtige Organe nicht heilen oder ersetzen, sondern steigern stattdessen den Sexualtrieb ihrer Wirte ins Unermessliche. Die Welt wird überschwemmt mit triebgesteuerten, sexgierigen Monstern, die von den sie besiedelnden Parasiten zu ständig neuen Paarungen angetrieben werden, um frisches Blut und reines organisches Material zu besorgen. Gierige Münder, entfesselte Leiber und blutrünstige Dämonen bevölkern die Welt.

Der asexuellen Intelligenzija wird der Gnadenstoß versetzt. Reißende Bestien statt blutleere Gendershamblers!

The Battle oft he Beasts has just begun!

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Autor: Ute Cohen

„Langeweile ist eine Sünde, für die es keine Absolution gibt.“ (Oscar Wilde)

Aus gutem Grunde verlässt Ute Cohen nach dem Abitur das kleine fränkische Dorf, in dem sie ihre Kindheit und Jugend verbracht hat. Das Studium der Linguistik und Geschichte und eine Dissertation folgten. Schließlich
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Dann von Düsseldorf nach Paris: Kinder, Küche und Arbeit für eine internationale Organisation. Zurück in die Welt der Wirtschaft mit Kommunikationsberatung und Ghostwriting in Paris, Frankfurt und Berlin. Im Februar wird ihr erster Roman im Septime-Verlag veröffentlicht.

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