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Sonne in der Nacht

Ich stand im Dunkeln, fror und wartete auf den Bus. Irgendeinen Bus, der vielleicht irgendwann kommen würde. Immerhin wusste ich, du hattest die Sonne im Bauch. Mir dagegen blieb die Gewissheit einer langen Nacht, die ich tief in meinen Knochen spürte. Die Led-Strassenlampe irgendwo über mir flackerte unentschlossen. Die Dämmerung war nicht mehr weit weg. Für manche mochte es eine tolle Ecke von Zürich sein. Für mich war es eine seltsame Betonwüste, irgendwo unter der Hardbrücke. Die Nacht schien länger als notwendig.

Ich hatte mich nicht getraut, mit dir zu sprechen. Auf meinem Hocker hatte ich hirnlos vor mich hingelächelt. Hinter dem Tresen der Helsinki-Bar schienst du zu gross, zu schnell, zu schön. Du warst der Grund gewesen, warum ich überhaupt so lange da hocken geblieben war. Stundenlang, aber ich hatte kein Wort herausgebracht. Kein: «Wie geht’s?», nicht einmal ein kleines: «Schön, dich wieder zu sehen». Nicht einmal der Mond hätte blasser, langweiliger um dich herumkreisen können.

In der Dämmerung fühlte sich mein Körper älter als nötig an, meine Lippen waren spröde und ausgetrocknet vom Saufen, und natürlich wollte ich Eine rauchen. Aber schon der Gedanke liess mich husten.

«Ich mach’ das nicht so gut da drin, oder?», sagtest du plötzlich neben mir. «Aber ich mach’ das nur, um meine Scheisssteuern abzustottern, es ist nicht das, was ich wirklich machen will». Da stand die Sonne und redete mit mir und ein peinlicher Hustenanfall schüttelte mich.

«So schlimm kann’s jetzt auch nicht sein», sagtest du und hautest mir gleichzeitig tüchtig auf den Rücken. Die Nacht hatte keine Farbe mehr. Wo war ein Drink, wenn man einen brauchte. Ich gab mir Mühe: «Nein, nein, da mache ich mir keine Sorgen und ich würde jemanden kennen, weißt du …» Ich kannte Tom aus vergangenen Zeiten und hätte ein gutes Wort einlegen können.

«Ja, den kenne ich auch. Aber eigentlich wusste ich nur nicht, was ich sagen sollte. Drum habe ich das gesagt. Ich mach’ schon noch was Anderes», sagtest du geduldig. Stimmt, so wichtig war die perfekte Bedienung in der Helsinki Bar am Ende nie. In diesem Moment erwachte die Led-Lampe nochmals zum Leben. Wir standen voreinander in einem hellen, weissen Licht. Du trugst Jeans und eine Combat-Jacke, – die gleich vor der Rückkehr der Lederjacke –, Mode gewesen war. Nach einer langen Wochenendschicht fingen deine Locken noch immer Feuer. Du schienst verwundbar, aber nicht geschlagen.

Im Licht konnten wir sehen und wir sahen. Aus dem schützenden Zwielicht gerissen, schienen wir uns entscheiden zu müssen, es aber nicht zu können. Da waren Anzeigetafeln. Umherirrende Leute, widersprüchliche Anzeigen. Keine Busse. Nicht so wichtig. «Zigarette?» Dumme Frage, ich hatte gerade erst mit dem Husten aufgehört.

«Schon, aber nicht dieses Marlboro-Zeugs.»

Das Licht blieb und wir standen einfach da. Ehrlich gesagt, fand ich das toll. Obwohl ich nicht den leisesten Schimmer hatte. Aber ich gab mir einen Ruck: «Hör’ mal, ich kenne wirklich jemanden, also da drinnen, ich kann da schon etwas tun. Es ist eine lange Geschichte, aber das ist nicht schwierig, oder wenn du willst, ich kann ein bisschen schreiben, wenn du eine Bewerbung brauchst. Auch wenn du Geld für ein Taxi, oder sonst etwas brauchst, da können wir sicher was machen. Ich habe zwar jetzt gerade auch nicht so viel, aber wir können es probieren.»

«Du redest einfach vor dich hin, oder?»

«Natürlich nicht, nie würde ich vor mich hinreden, man muss nur schauen, was man so machen kann, bringt ja nichts, wenn man einander nicht hilft, oder?»

Es wurde plötzlich wieder dunkel. Die Lampe hatte kurz Mitleid mit mir gehabt. Du wusstest, ich hatte vielleicht ein bisschen viel getrunken. Im Dunkeln entspannte sich die Lage etwas.

Ich zündete mir eine Marlboro an. Die Rauchwolke war eine Insel. Und doch wünschte ich mir das Licht zurück. Es war schön gewesen, dich einfach sehen zu können.

«Es ist toll, dich sehen zu können.» Hektisch sah ich mich um. Nicht einmal in der Dunkelheit kam jemand anders in Frage. Ich hatte das gesagt. Shit.

«Sonst bin ich aber cool, ich, ich …» Yeah, sag ihr doch gleich: «Ich bin ein harmoniebedürftiges Muttersöhnchen, das zu viel raucht und gleich auch noch zu viel säuft.» Erzähl ihr doch von den Ex-Frauen, den Weibergeschichten, den Kindern. Erzähl es ihr, noch bevor du nur eine Zigarette geraucht hast.

Im Licht deines Feuerzeugs hattest du gelächelt. Das sah schön aus. «Wir könnten noch irgendwo hingehen, wenn du willst, irgendwo wo es Licht hat und vielleicht Kaffee?» Deine Stimme klang scheu. Sie klang müde.

Erneut wurden wir in helles Licht getaucht. Überrascht starrten wir nach oben. Es würde doch nicht auch noch Kaffee regnen? «Lass uns abhauen», sagtest du, und wir hauten ab. Irgendwo hätten da Busse fahren müssen, aber ich kannte mich nicht so gut aus. Wir folgten den Gleisen, die die Stadt teilten, ohne zu wissen, wo die Reise enden würde. Aber im Moment war das vielleicht nicht so schlimm. Die Nacht war noch nicht weg, der Tag noch nicht da. Das Grau des Zweifels lag über allen Dingen. Es blieb nicht viel ausser Verzweiflung. Du dagegen bekamst in der Dämmerung den Glanz der Jugend zurück.

Wir fanden irgendwo einen Türken, der noch offen hatte. Irgendwann sagtest du, dass du dein Studium nicht fertig bekämest, dass da Scheisse mit den Steuern am Laufen sei. Du meintest, es sei nicht immer lustig, bis spät in die Nacht den Leuten mit dem Bier hinterherzurennen. Irgendwann war die Sonne aufgegangen. Irgendwann hatten wir angefangen zu reden. Steuerschulden, Muttersöhnchen, all der Scheiss. Wir hatten angefangen zu reden und irgendwie haben wir nicht mehr aufgehört.

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Autor: Andy Strässle

Andy Strässle umarmt Bäume, mag Corinne Mauch und verleugnet seine Wurzeln: Kein Wunder, wenn man aus Blätzbums stammt. Würde gerne saufen können wie Hemingway, hat aber immerhin ein paar Essays über den Mann zu stande gebracht. Sein musikalischer Geschmack ist unaussprechlich, von Kunst versteht er auch nichts und letztlich gelingt es ihm immer seltener sich in die intellektuelle Pose zu werfen. Der innere Bankrott erscheint ihm als die feste Währung auf der das gegenwärtige Denken aufgebaut ist und darum erschreckt es ihn nicht als Journalist sein Geld zu verdienen.

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