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Dafür ist die gute Juanita immer zu haben

Leere Strassen unter glühender Sonne. Kein Windhauch. Dicke Vorhänge versiegeln Fenster, schweren Augenlidern gleich. Die Häuser schlafen, die Häuser träumen, der Strassenbelag schmilzt.

Vom einstigen Baumsein

Die Mauern träumen von damals, bevor sie fragmentiert wurden, von damals, als sie noch feste Bestandteile von Felshängen, Hügeln, Bergen waren. Die Hölzer der Fensterläden träumen vom einstigen Baumsein. Auch die Metalle sehnen sich nach ihrem Urzustand zurück, als kochende Ingredienzien im alchemistischen Kochtopf jenes Demiurgen, für den einige Leute jenes Wörtchen mit vier Buchstaben erfunden haben, das sensiblere Stimmbänder lieber nicht vibrieren wollen: Gott.

Seine oralen Basisimpulse

«Am sechsten Tag der Schöpfung hat er einen folgenschweren Fehler begangen. Und für mich hat dieses ‚er’ ganz bestimmt keinen Grossbuchstaben am Anfang verdient, das Wasser, die Luft, die Natur, alles prima, aber uns Land-Kreaturen hätte er sich sparen können», so denkt Es im Kopf jenes einsamen Mannes, der unter dieser glühenden Sonne der Hauptsrasse entlang schreitet.

Der Mann schützt sich mit einem Strohhut vor den Strahlen des Zentralgestirns, der einst weiss war wie ein Opferlamm, mit den Jahren aber einen gelblichen Stich angenommen hat, wie Pferdezähne, Raucherzähne, mit einer Sonnenbrille zudem, so dunkel, dass nicht einmal die groben Umrisse eines Augenpaars dahinter zu erkennen sind. In seinem Mundwinkel klemmt eine auffällig lange, dünne Zigarre, die intensiv nach indischen Kräutern duftet, sie befriedigt seine oralen Basisimpulse, schützt zudem seinen Geist, der einst stürmisch war, heutzutage aber so ruhig daliegt wie der so genannte Stille Ozean an einem windlosen Tag – und heute ist ein ganz und gar windfreier Tag –, vor allzu aufdringlicher Klarheit.

Kopfhirn oder Bauchhirn?

Bilder und Klänge durchströmen sein Hirn, wenn man ihn fragen würde, könnte er nicht angeben, ob es sein Kopfhirn oder sein Bauchhirn ist, das da agiert.

Sein geistiges Auge tastet die Rundungen von Juanita ab, seiner süssen Chiquita, denn er ist gerade auf dem Weg zu ihr.

Sein geistiges Ohr ist von jenem hoch interessanten Gitarrensolo erfüllt, welches Pat Metheny einst im grossartigen Stück «Are You Going With me?» gespielt hat, in der Version, die man auf der Live-Produktion «Travels» hören kann, die im Jahr 1983 unserer Zeitrechnung erschienen ist, welche der Mann mit Hut damals gekauft hat, seither oft anhört – und dabei immer wieder denkt, dass selten ein besserer Sound mit einem Roland GR-300 Analog Guitar Synthesizer erzeugt worden ist.

Dafür ist Juanita immer zu haben

Ja. Anal. Dafür ist die gute Juanita immer zu haben, nicht weil sie sich nicht zu schade dafür wäre, sondern weil sie es sehr zu schätzen weiss, tief in ihrem Inneren, wo die Geister, wo die Wünsche wohnen, die mittels Worten nur unzureichend einzufangen sind, denn das Wissenschaftliche wird ihnen genausowenig gerecht wie das Ordinäre.

Mag das Wort Liebe nicht

Der Mann mit dem gelblichen Strohhut ist nimmermehr der Jüngste, natürlich schlägt sein Herz für Juanita. Er mag allerdings das Wort Liebe nicht, weil es ihn an Scherben und Rasierklingen gemahnt.

Er zweifelt daran, dass Juanitas Herz in gleichem Masse für ihn schlägt. Schliesslich sind auch die teuren Geschenke, die er ihr regelmässig mitbringt, feste Bestandteile ihrer Begegnungen. Doch während sie ihre Spiele miteinander treiben, ist sie eindeutig beherzt und fröhlich bei der Sache. Ob sie ähnliche Spiele auch mit anderen Leuten treibt, ist für ihn nicht relevant, obschon er gerne dabei zuschauen würde, doch er ist zu diskret, um danach zu fragen.

Frei vom Makel der Fortpflanzung

Ja, die Passionen des Fleisches, der Terminus technicus Sexualität ist in diesem Fall keine besonders gute Beschreibung, weil die erotischen Aktionen, die der Mann mit dem gelblichen Strohhut und seine Juanita stundenlang auszuführen pflegen, gänzlich frei sind vom Makel biologischer Fortpflanzung.

Das Wort ficken ist übrigens keineswegs besser, weil es einen Vorgang beschreibt, der nicht unbedingt im Zentrum ihrer Aktivitäten steht, auch wenn es hin und wieder dazu kommt, aber ebenso zu vielen anderen, interessanten Spielzügen.

Nach all’ den anstrengenden Jahrzehnten

Manchmal wundert sich der Mann, der da langsam geht, unter glühender Sonne, darüber, dass ihn diese Dinge, nach all’ den anstrengenden Jahrzehnten, immer noch faszinieren. Manchmal kommen ihn die Spiele des Fleisches und der Flüssigkeiten so komplett surreal vor, wenn er darüber nachdenkt, ja sogar dann, wenn er sie gerade betreibt, kann das passieren.

Dann fühlt er sich dabei, als würden andere Leute agieren – oder Puppen gar. Marionetten, deren Fäden jenes Andere in Händen hält, das einmal gross ist, einmal klein, er fühlt sich eben, als wäre er selber gar nicht involviert, ein distanzierter Zuschauer, vielleicht mit einem Fernglas ausgestattet.

Der Mönch Jerome und Justine

Doch wenn auf die Spannung die Entladung folgt, die Kiste explodiert, wie der Mann es in der Sprache seines Inneren gerne nennt, weiss er wieder, warum die Faszination niemals schwindet.

Nicht einmal angesichts eines Schwunds seiner körperlichen Möglichkeiten könnte diese Faszination zum Erliegen kommen, er würde dann einfach andere Wege finden, deren Höhepunkte den Kopf, genauer die Zirbeldrüse als Zentrum hätten, wie sie beispielsweise der geile alte Mönch Jerome mit der schönen Justine praktizierte, trotz kompletter Impotenz, in jenem grossartigen Roman des wundervollen Marquis, der dem Mann mit dem leicht vergilbten Hut einst die Augen, die Sinne geöffnet hat – sowie die Tore der Fantasie.

Erkennungsjodler

Nun steht er vor dem Haus der Juanita, seiner süssen Chiquita, einem kleinen weissen Bau, einem Bungalow, an dem einfach alles stimmt, genauso, wie an seiner Bewohnerin.

Also stellt sich unser Hut-Mann vor die kleine Tür aus Eisenerz und stösst seinen Erkennungsjodler aus. Juanita öffnet, leise aber geschwind. Zur Begrüssung reicht ihr der Gast seine lange dünne Zigarre, sie nimmt einen tiefen Zug, zieht ihn geschwind am linken Arm ins Haus, verschliesst die Tür sodann dreimal – und murmelt, während jeder Schlüsselumdrehung, einen Namen «Raphael, Gabriel, Michael», dann hängt sie den Schlüssel an seinen Haken und murmelt: «Ariel».

Stretch Lace Peek-A-Boo

Drinnen ist es angenehm kühl. Juanita, die heisse Chiquita, zieht das ärmellose weisse T-Shirt aus, in dem sie ihren Besucher empfangen hat. Darunter trägt Sie den Stretch Lace Peek-A-Boo Teddy von Shirley; in Türkis.

Die beiden setzen sich, er nimmt auf dem Fauteuil Platz, sie gegenüber, auf einem kleinen plüschigen Polsterhocker. Sie rauchen, sie trinken Whisky, Wasser, Rosenwein, diskutieren Walt Whitman und Wittgenstein. Im Hintergrund pulsiert eine nette Musik vor sich hin: Manu Dibango. Und währenddessen beginnt Juanita für ihren Gast zu posieren, diskret zunächst, dann immer verwegener, zuletzt hemmungslos pornographisch…

Er liebt die Stimmung mehr

Die Spiele beginnen; ein ausgedehnter, epischer Reigen der Ausschweifungen. Die Lady kommt, sie kommt und kommt wieder, der Mann mit dem vergilbten Hut hält sich seinerseits zurück. Er liebt die Stimmung mehr als das Kommen, obwohl er aus dem Kommen seine Raison d’etre ableitet. Doch gerade deshalb pressiert es ihm nicht.

Urzustände

Als Juanita, die süsse Chiquita, zum 13. Mal kommt, geschieht es plötzlich. Die Mauern, die Hölzer, die Metalle beginnen sich zu regen, zu bewegen, zu verbiegen, mit Macht. Angeregt durch die gewaltige Orgasmus-Energie dieser wunderbaren Dame, ertragen sie plötzlich jene Formen nicht mehr, die ihnen einst von Menschenverstand, Menschenhand aufgezwungen wurden.

Mit aller Macht streben sie in ihre Urzustände zurück, natürlich ohne auch nur die geringste Rücksicht auf ihre Bändiger zu nehmen, die Menschen eben.

Glücklich

Häuser, Amtsgebäude, Tempel, sie brechen zusammen, unter dieser plötzlichen Tobsucht des Materials. Am Abend sind alle Leute und sämtliche Landtiere tot. Da sind nur noch die Natur, die Vögel, auch im Wasser feiert das Leben Urstände. Die mächtigen Seeungeheuer sind genauso glücklich wie die kleinste Sardelle.

Derart endet ein guter Tag.

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Autor: Christian Platz

Lebt in Basel. Arbeitet überall. Reist recht viel. Vor allem nach Asien. Und in den Deep South der USA. Verdient sein Geld seit über einem Vierteljahrhundert mit Schreibarbeiten. Vorher hat er als Pfleger in einer Irrenanstalt gewirkt. Hat mehrere Bücher veröffentlicht. Spielt seit 40 Jahren fanatisch Gitarre, zwischendurch singt er auch noch dazu. Schreibt unter anderem für Kult. Ist manchmal gut aufgelegt. Manchmal schlecht. Meistens so mittel. Sammelt Bücher, CDs, Filme, Artefakte. In einem psychisch leicht auffälligen Ausmass. Verfügt, bezüglich der Dinge, die er sammelt, über ein lexikalisches Wissen. Platz ist einerseits ein Wanderer auf dem Pfad zur linken Hand. Andererseits Neofreudianer mit Waffenschein. Liebt Blues und Voodoo, Rock'n'Roll und die schwarze Göttin Kali. Trinkt gerne Single Malt Whisky aus Schottland. Raucht Kette. Ist bereits über 50 Jahre alt. Macht einstweilen weiter. Trotzdem wünscht er nichts sehnlicher herbei als die Apokalypse.

WARNHINWEIS:
Dieser Mann tritt manchmal als katholischer Geistlicher auf, stilecht, mit einem besonders steifen weissen Kragen am Collarhemd. Dies tut er in gänzlich irreführender Art und Weise und ohne jegliche kirchliche Legitimation. Schenken Sie ihm - um Gottes Willen - keinen Glauben. Lassen Sie sich nicht von ihm trauen, ölen oder beerdigen. Lassen Sie sich von ihm keinesfalls Ihre Beichte abnehmen. Geben Sie ihm lieber Ihr Geld.

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