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Ich will meine nette Kassiererin zurück!

Als ich vor einiger Zeit in den Migros Brunaupark posten ging, stand ich beim Eingang vor einer riesigen Wand, bestückt mit Revolvern. Jedenfalls sah das so aus. Die Wand war mit Gebrauchsanweisungsbroschüren bestückt, wie die werte Kundschaft ab sofort ohne bediente Kassen die Einkäufe scannen müsse!! Es war denen ernst, denn es gab nur noch zwei bediente Kassen, an denen sich nun die ganze werte Kundschaft schlängelte. Denn nicht nur mir geht’s so: Gaats no? Ich will nicht einkaufen, was ich sowieso meist hasse – obwohl in der Werbung fröhliche Menschen im Laden herumhüpfen und trällernd die Dinge in die sperrigen EinkaufsLastwägeli schmeissen – dann alles noch selber einscannen. Mir reichen seit längerem schon die Billettautomaten, die so kompliziert geworden sind, dass niemand mehr drauskommt. Vom Umsteigen im Hauptbahnhof Zürich ganz zu schweigen. Seit es da diverse Etagen mit verwirrend vielen Einsteige/Umsteigeperrons gibt, muss man vorher online die Reise minutiös planen, weil das Rennen zum richtigen Gleis (grottenschlecht angeschrieben), zu einer Lotterie (Chance ist eins zu einer Million, dass man es schafft) wird.

Item, wo war ich, genau beim Einkaufen und Selberscannen. Es ist ja nicht mal so, dass ich das Selberscannen nicht lernen könnte. Bloss, da sträubt sich in mir etwas. Wieso soll ich nun einen Job erledigen, den Andere sehr gut konnten, ihren Lebensunterhalt damit verdienten, dazu eine soziale Aufgabe erfüllten: Es gab nämlich schon Tage, an denen hatte ich bloss eine einzige, wirklich nette Unterhaltung, nämlich mit jener reizenden Kassiererin, die ich beim Namen kenne, und sie mich auch. An Ihrem Kittel klebte ein Namensschild, also sagte ich eines Tages: Auf Wiedersehen Frau T., ich bin übrigens Frau W. Und ich mache dies und das. Sie sagte, und ich lebe so und so. Sie war eine Leserin meiner damaligen Kolumne, und sie freute sich, dass wir uns auch an ihrer Kasse bekannt machten. Es entstand sozusagen eine Kassen/Posti-Freundschaft. Es herrschte kein Stress an dieser Kasse, an anderen auch nicht. Es war schön. Die Leute lernten sich da kennen, man redete miteinander.

Nun hat diese Filiale Scan-Automaten aufgestellt, Frau T. wurde wohl gefeuert oder beigt im Hintergrund Bananen-Schachteln, im besten Fall. Die Filiale wurde dazu umgebaut und erweitert, also so, dass man nichts mehr findet und nun dort so viel mehr Zeugs verkauft werden kann, was gar niemand will, so dass vieles verdirbt, sprich Food Waste. Aber das ist ein anderes Thema. Ein schlimmes. Die Scan-Automaten haben keine Namenschilder, man kann sich mit ihnen nicht unterhalten. Man sieht höchstens Leute leise mit ihnen fluchen. Etwa Techniker, die ratlos rumschrauben oder die Scan-Beraterin (ja sowas gibt’s jetzt), die genauso ratlos rumsteht. In jener Coop-Filiale steht jedoch neuerdings ein gelber Tisch, das ist nun der Ersatz für die bediente Postfiliale, die netteste in Zürich, sie wurde auch geschlossen, weil angeblich die Leute alles online machen wollen. Ich nicht, viele andere auch nicht. Proteste nützten nichts, es sei eine Katastrophe, erzählte mir der Briefträger, man würde im Mänätschment etwas umbeschliessen, und sie, die Malochenden müssten das ausbaden. Und sie dürften jetzt auch nicht mehr mit der Kundschaft ein Schwätzli halten, ihre Austragroute sei nun mit der Stoppuhr abgemessen worden, wehe, wenn sie zu lange dauere.

Vielleicht muss ich betreffend Umodelungswahn hier noch mein geändertes Internet/TV/Telefon-Package erwähnen. Nach einer sehr kurzen Zeit, in der alles wundersamerweise funktionierte, spinnt nun Swisscom-TV jeden Tag neu. Vielleicht, weil ich die ganze Chose nachts abschalte, weil man ja mal sagte, umweltbewusst leben, wäre die einzige Alternative zur Umweltzerstörung. Davon weiss man bei meinem Provider nix. Jeden Tag überrascht man mich mit einer neuen Störung, gestern war der Bildschirm komplett gehüselt. Es war direkt originell. Trotzdem, ich bezahle ja fürs Programm, nicht für die neueste Karomode. Also abschalten, neu starten, an zig Knöpfli und Schaltern grübeln. Manchmal funktionierts, meist nicht.

So hat sich also mein einstmals technisch eher anspruchslose Dasein zum Fulljob in Sachen Allesselbermachen, ohne Lohn notabene, geändert. Und meine Routinerouten, die mir oft Spass machten, weil sie mir neue Kontakte und Einblicke in andere Leben schenkten, merklich verändert. Man hat mir die Kasse weggenommen, die Postfiliale, man erschwert mir die Reiserei, man verhunzt meine Kommunikation. Immer mit der Hoffnung, dass ich irgendwann gar nicht mehr aus dem Haus gehe, still vor mich hinresigniere, so niemanden bei der Gewinnmaximierung störe. Ich finde das richtig unmenschlich, mehr kann ich gar nicht dazu sagen. Doch, ich glaube, dass irgendwann eine Umkehr stattfindet, es wird wieder Lädeli geben, man wird wieder persönlich wo vorbeigehen, um zu schwatzen, man könnte FreundInnen einladen und Scharaden miteinander aufführen, statt zu hoffen, dass der Fernseh heute mal funktioniert. Man könnte… vielleicht fällt Ihnen nun vieles gleich selber ein….

www.vollreif.ch verkauft Bücher, bei/mit denen man gerne zuhause bleibt.

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Autor: Marianne Weissberg

Marianne Weissberg, studierte Historikerin/Anglistin, geboren in Zürich, aufgewachsen in Winterthur, ist ganz schön vollreif. Also eigentlich schon ewig da, was sie in ihren Knochen und im Hirn spürt. Lange Jahre verschlang das Lesepublikum ihre wegweisenden Artikel und Kolumnen in guten (und weniger guten) deutschsprachigen Zeitungen und Magazinen. Persönlichkeiten aus Film, Literatur und Musik wie etwa Robert Redford, Isabel Allende und Leonard Cohen redeten mit der Journalistin, die ganz Persönliches wissen wollte, und es auch erfuhr. Irgendwann kam sie selbst mit einer Geschlechter-Satire in die Headlines und begann in deren Nachwehen ihre zweite Karriere als Buchautorin. Auch hier blieb sie ihrer Spezialität treu: Krankhaft nachzugrübeln und unverblümt Stellung zu beziehen, bzw. aufzuschreiben, was sonst niemand laut sagt. Lieblingsthemen: Das heutige Leben und die Liebe, Männer und Frauen – und was sie (miteinander) anstellen in unseren Zeiten der Hektik und Unverbindlichkeit. Und wenn man es exakt ansieht, gilt immer noch, jedenfalls für sie: Das Private ist immer auch politisch – und umgekehrt.

Sonst noch? Marianne Weissberg lebt mitten in Züri. Wenn sie nicht Kolumnen oder Tagebuch schreibt, kocht sie alte Familienrezepte neu, betrachtet Reruns von „Sex and the City“, liest Bücher ihrer literarischen Idole (Erica Jong, Nora Ephron, Cynthia Heimel) oder träumt davon, wie es gewesen wäre, wenn sie nicht immer alles im richtigen Moment falsch gemacht hätte. Aber das wäre dann wieder so ein Thema für einen neuen Kult-Text.

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