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Müssen Roman-Figuren besser sein als ich?

Ich schreibe momentan, wieder, am dritten Band meiner „Powergrazien“- -Trilogie, wie ich sie nenne. Begonnen habe ich sie vor ca. zehn Jahren, nachdem ich mich von meinem damaligen Lebenspartner getrennt hatte. Ich war dermassen lethargisch geworden, in dieser Beziehung, dass ich sie, obwohl sie schon lange marode war, nicht beenden konnte. Damals bildete ich mir ein, dass es unmöglich wäre, eine Wohnung in Zürich zu finden: Frau alleine, Freelancerin, mit Hund, schwankendes Einkommen. Das ist nicht mal so unplausibel, doch es wäre irgendwie zu schaffen gewesen. Der wahre Grund war eher, dass ich Angst vor Einsamkeit, Verlust, Angst vor dem Mut hatte, den ich aufbringen sollte, um endlich zu gehen. Und so wählte ich eine dramatische Wenn-schon-denn-schon-Lösung: Ich kaufte ein grosses Haus am Untersee, das ich noch komplett innen ausbauen musste. Es stand schon länger leer, aber mir gefiel es, luftig und modern. Und die Gegend war wunderschön, sie weckte in mir Erinnerungen an jenes Wochenendhäuschen, in das die Familie Weissberg beinahe jedes Wochenende mitsamt Pudel fuhr, um das einfache Leben – es gab keinen Strom, es war munzig klein – fuhr. Ich bin fast sicher, dass meine Mutter es hasste, sie verlangte Komfort. Kein popeliges Holzhüsli. Ich liebte es, ich liebte den kleinen Teich mit den Kaulquappen, den reissenden Rhein, der vorbeifloss am grossen Umschwung. Beinahe wäre ich darin ersoffen.

Über uns spannte sich eine stählerne Eisenbahnbrücke, und diese Brücke war auch von jenem Ort zu sehen, an den ich nach jener Trennung zog. Ich liebte auch mein neues Haus. Diese Monate, in denen ich es ausbaute, waren wunderschön. Doch bald vermisste ich den Zürischnurre-Dialekt, die lässige Anonymität der Stadt, in der man nicht am frühen Morgen, wenn man beim Beck Gipfeli holt, noch verschlafen, nach allen Seiten „Grüezi, grüezi mitenand“ sagen muss. Klar, dieses „Man-kennt-sich-im-Städtli“ fand ich erst ja soo toll. Ich war heimgekehrt, fast. Als ich merkte, dass ich da nicht hineinpasste: Single-Frau, Schreiberin, womöglich grün und links, statt SVP, sass ich schon fest. Heute weiss ich, dass ich den Fluchtmodus gleich nach Einzug eingeschaltet habe. Ich wollte nochmals erleben, was ich als Kind erlebt hatte. Dort, in der zauberhaften Gegend. Aber da wohnten ja nun auch Menschen. Andere. Vorallem ein Nachbarspaar. Sie beobachteten mich mit Argusaugen, dann entgleiste die Situation. Sicher war ich damals angeschlagen von der Trennung, fühlte mich fehl am Platz. Das Haus hätte ich gerne behalten, es unten abgesägt, nach Zürich transferiert. Aber das ging logo nicht.

Und wie ich so da sass und auf den Verkauf wartete, begann ich, den ersten Band meiner „Powergrazien-Schmöker“-Trilogie zu schreiben. Über drei vollreife Frauen, die unversehens auf Abstellgleis geraten, sich neu erfinden müssen, um nicht unsichtbar zu werden. In diesem Alter, das für Frauen bloss noch Wallungen, Wehwechen und Wunden im Herzen bereithält. Ich hatte erst bei anderen Autorinnen Trost gesucht, wer konnte so über das Älterwerden schreiben, dass es mich ansprach? Gescheit, aber mit einer Brise Witz. Und weil ich nichts fand (ausser bei amerikanischsprachigen Autorinnen, denen ich mich schon lange verbunden fühle), dachte ich: Dann schreibst du die Bücher, die du nicht findest, halt selbst. Es entstand an meinem grossen Tisch, der mitten im spärlich eingerichteten Parterre stand, Band 1 „Noch einmal blond“. Und weil ich so in Schwung war – ich musste eigentlich nur aufnotieren, was Leading Lady, die Schreiberin und Fotografin Dorothea Berg mitsamt Hund (ähem fast ich), so alles erlebte, in der Liebe und im Berufsleben – schrieb ich gleich Band 2 „Noch einmal mit Herz“.

Genau am Tag, an dem ich schliesslich auszog, krachte jedoch die Börse weltweit zusammen, die Finanzkrise brachte mich um meine Kolumne. Der Medienkonzern hatte umgehend einen Grossteil der Schreibenden gefeuert, was praktisch war, denn so konnte man später neu einstellen oder outsourcen, zum Billigtarif. Ich musste aufs Arbeitsamt, downsizen, durch einige provisorische und seltsame Behausungen ziehen, bis ich in Zürich eine Wohnung fand. All das war jedoch super Stoff für mein Schreiben. Das meiste erlebte ich erst, dann schrieb ich auf, einiges beschrieb ich erst, dann dachte ich: Jetzt kannst du ja noch live leben, was deine Heldinnen da schon geschafft haben. Schliesslich startete ich mit Band 3 „Noch einmal mit Mumm“. Das Wort Mumm gefällt mir besser als Mut, es klingt ein wenig altmödig charmant.

Irgendwie ging mir jedoch vor ein paar Jahren die Puste für meine „Powergrazien“-Schmöker aus. Ich schrieb andere Manuskripte, Kolumnen, gründete ein eigenes winziges Literaturlabel. Meine drei Heldinnen Winnie, Doro und Lotti standen quasi erstarrt auf der Romanbühne, ich, die Drehbuchschreiberin und Regisseurin, war anderweitig engagiert. Und dann vor einigen Monaten fing ich wieder an. Ich vermisste meine Ladies, wollte sie wieder in Bewegung bringen. Der Haken: Neuerdings sehe ich vieles anders. Ich überdenke, wie ich gelebt habe, wo machte ich richtig, richtig grosse Fehler, wozu kann ich stehen, weil es richtig war? Und als ich so dasass, an meinem grossen Tisch, den ich immer mitnahm, geriet ich ins Grübeln. Wie kann ich die drei Frauen, mittlerweile sind alle um die sechzig, um/dirigieren? Soll ich sie nicht doch das tun lassen, was ich mich nicht (mehr) getraue? Ein Freund sagte neulich: Du kannst die drei doch z.b. rächen, ja morden lassen, wenn du Lust dazu hast. Es ging um eine Jugendliebe, die Leading Lady Doro wiedertrifft. Von der sie als junge Frau schmählich stehen gelassen wurde. Es wäre doch lustig, überlegten wir, wenn die drei Frauen den Schmock gefangen nehmen würden. Und da der von Ehrgeiz und Neurosen zerfressene Kerl einen Schlankheitswahn hat, hätte man ihn zwangsstopfen können. Die drei Ladies kochen ja alle gern und gut. (Ich hätte dann gleich noch ein paar Rezepte reinstreuen können).

Dann kamen mir Zweifel. Wäre es nicht auch eine Chance, meine Charaktere viel gelassener zu dirigieren? Sie könnten ja mir und dann dem Lesepublikum (wenn es denn eins geben wird, denn zum ersten Mal schreibe ich nur für mich selbst, ohne den Druck: DAS MUSS DANN ABER EIN BUCH WERDEN!!) vorleben, wie man anders handeln könnte. Sollte ich quasi einen späten Bildungsroman für mich selbst kreieren, in dem es pädagogisch wertvoll zugeht? Aber wäre das nicht stinklangweilig? An dieser Knacknuss grüble ich aktuell. Und das macht das Schreiben nicht einfach. Schreibt nun die klügere, gelassener werdende Frau Weissberg (wie bitte?) oder fabuliert die fehlerhafte Frau Weissberg? Sollen alle nett miteinander sein oder richte ich grosse, komische Szenen an, in denen es kracht und wankt? Soll ich dieselbe Szene zweimal schreiben, einmal im Modus a, dann im Modus b?

Aber jetzt höre ich auf, erstens, weil nun ein kleiner Essay entstanden ist, und zweitens, weil ich mich mal anziehen muss. Es stimmt nämlich, dass Schriftstellerinnen wie vergiftet schreiben müssen, wenn es sie endlich überfällt. Und dann hat man eben kein Abendkleid an, sondern ein verchrugeltes Pischama. Und man sollte dringend die Zähne putzen. Das echte Leben eben, so wie es meine Heldinnen auch (er)leben. Was praktisch ist, ich glaube, in keinem Roman wird so viel geputzt, die Blumen gegossen, gekocht, aus dem Fenster geschaut, wie in meinen. Ist ja auch super zum Seitenfüllen, total gedankenlos.

www.vollreif.ch für mehr Einblicke in mein Wirken und Werken und so…

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Autor: Marianne Weissberg

Marianne Weissberg, studierte Historikerin/Anglistin, geboren in Zürich, aufgewachsen in Winterthur, ist ganz schön vollreif. Also eigentlich schon ewig da, was sie in ihren Knochen und im Hirn spürt. Lange Jahre verschlang das Lesepublikum ihre wegweisenden Artikel und Kolumnen in guten (und weniger guten) deutschsprachigen Zeitungen und Magazinen. Persönlichkeiten aus Film, Literatur und Musik wie etwa Robert Redford, Isabel Allende und Leonard Cohen redeten mit der Journalistin, die ganz Persönliches wissen wollte, und es auch erfuhr. Irgendwann kam sie selbst mit einer Geschlechter-Satire in die Headlines und begann in deren Nachwehen ihre zweite Karriere als Buchautorin. Auch hier blieb sie ihrer Spezialität treu: Krankhaft nachzugrübeln und unverblümt Stellung zu beziehen, bzw. aufzuschreiben, was sonst niemand laut sagt. Lieblingsthemen: Das heutige Leben und die Liebe, Männer und Frauen – und was sie (miteinander) anstellen in unseren Zeiten der Hektik und Unverbindlichkeit. Und wenn man es exakt ansieht, gilt immer noch, jedenfalls für sie: Das Private ist immer auch politisch – und umgekehrt.

Sonst noch? Marianne Weissberg lebt mitten in Züri. Wenn sie nicht Kolumnen oder Tagebuch schreibt, kocht sie alte Familienrezepte neu, betrachtet Reruns von „Sex and the City“, liest Bücher ihrer literarischen Idole (Erica Jong, Nora Ephron, Cynthia Heimel) oder träumt davon, wie es gewesen wäre, wenn sie nicht immer alles im richtigen Moment falsch gemacht hätte. Aber das wäre dann wieder so ein Thema für einen neuen Kult-Text.

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