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Körperhitze unter Voodoo-Sonne

Hinter dem Häuschen mit dem windschiefen Dach steht die Nganga. Im tiefen Bauch dieses rostigen Kessels schmoren die Ingredienzien einer gehaltvollen magischen Suppe gemächlich vor sich hin, über einem hübschen Feuerchen: Die Knochen eines Bestattungsunternehmers, die Zunge eines Papageis, vor Jahrzehnten von einer sonnigen Karibikinsel entführt, dann gefühlte Ewigkeiten in der guten Stube einer feinen alten Schweizer Dame angekettet, an eine vergoldete Stange, am Ende elendiglich ausgetrocknet, im Alter von 250 Jahren, das taufrische Hirn einer Hair-Stylistin, der Kadaver einer Kobraschlange und viele andere schöne Dinge, in denen magische Potenzen stecken.

Heute Nacht wird der Sud seine volle okkulte Wirkung entfalten. Unter den epischen Beschwörungen des Paleros, die er in einem besonders vulgären Spanisch – mittelamerikanischer Prägung – intoniert.

Dann werden die Feinde dieses Mannes, der einst aus Skandinavien hierher gezogen war, in die tropischen Sümpfe des tiefen Südens der USA, die seine heutige Wirkstätte geworden sind, reihenweise fallen.

Die Einheimischen nennen ihn Voodoo Joe, was nicht gerade originell ist, den Nagel aber recht gut auf den Kopf trifft – und vielleicht handelt es sich dabei ja um einen jener Nägel, mit denen einst ein Mann an einem Stück Holz befestigt worden ist, weil er die Geldwechsler und Schacher mit seiner Peitsche für immer aus dem Tempel vertreiben wollte, der Börse seiner Zeit.

Die Zeit bis zum Abend vertreibt sich Voodoo Joe – eigentlich ist er eben ein Palero, einer von der dunklen Judio-Tradition, die vor keinem Blutopfer, vor keiner Leichenfledderei zurückschreckt, und klar, Palo ist mit Voodoo, wenn wir dieses währschafte Bündel synkretistischer, afro-karibischer Religionen denn mit einem derart unpräzisen Begriff bezeichnen wollen, verwandt, doch Palo verbirgt seine Geister und Gottheiten aus dem Herzen Afrikas, im Gegensatz zu Voodoo, nicht hinter katholischen Heiligen -, vertreibt der Palero sich also seine kostbare Zeit, indem er mit Linda und Belinda, zwei wohlgestalten, phantasievollen, hemmungslosen Cousinen vom Stamm der Alligatoren-Häuter, wieder einmal eine Orgie betreibt, derart ausschweifend, derart hemmungslos, dass ihr Anblick wohl sogar dem göttlichen Donatien Alphonse François die Schamröte in die fetten Hinterbacken getrieben hätte.

Und wahrlich, die voluptuösen Hinterbacken von Linda und Belinda, diese sind herrlich sonnengebräunt – weil sich die beiden Cousinen nackt und bloss den Strahlen jenes heissen Gestirns, das unsere Welt warm hält, auszusetzen pflegen, hoch oben, über dem Sumpfland, in den Baumkronen, auf hölzernen Liegen, die ihr gemeinsamer Ehemann, Alain Deveraux, ebendort für sie installiert hatte – werden mächtig gezwickt, geknetet, gespreizt. An diesem fröhlichen Nachmittag, im Häuschen des Paleros, mit seinem windschiefen Dach, umgeben von Sümpfen, die nur so strotzen vor reptilischem, amphibischem, ichthyologischem Leben.

Der Zivilstand unserer beiden Ladies spielt im Rahmen dieses lustigen Trios übrigens keinerlei Rolle, denn der Bigamist Alain Deveraux ist froh, dass der Palero ihm die Cousinen hin und wieder für einen langen Nachmittag abnimmt, schliesslich kann er deren wildes Begehren selbst nicht einmal ansatzweise erfüllen, er ist sowieso schon ganz wund unten, zudem erhofft er sich, dass eine magisch-libidinöse Übertragung der okkulten Kräfte des Voodoo Joe auf seine eigene Person – infolge dieser Orgien – zustande kommen könnte.

Diese Orgien, Linda und Belinda tragen zu den Anlässen übrigens am liebsten Wäsche aus der “Ultra-Sexy”-Kollektion von Frederick’s of Hollywood, werden begleitet von Zydeco, jenem rattenscharfen Blues- und Rhythmus-Gebräu aus den Sümpfen, mit dem muskulösen Akkordeon, der elektrischen Gitarre, stechend wie eine Horde Moskitos, dem elektrisch pulsierenden Bass und dem unerbittlichen Pulsschlag der Batterie: Laissez les bon temps rouler!

Nur die besten Zydeco-Platten werden auf Voodoo Joes Computer gebrannt, um während seinen hemmungslos frivolen Nachmittagen den Takt vorzugeben, im Shuffle-Modus; zum Beispiel „Boogaloosa Boogie“ (1975 von Chris Strachwitz produziert) von Clifton Chenier und seiner Red Hot Louisiana Band, die tönende Perlen wie „Take off your Dress“, „Ride ‘Em Cowboy“ oder „M’Appel Fou“ enthält.

Wenn die Körperhitze dann in den roten Bereich steigt, was zumeist nach einer vier- bis fünfstündigen Aufwärmphase der Phall ist, erklingen Tracks wie Buckwheat Zydeco’s „Old Times La La“, Beau Choque’s „Slide and Dip It“ oder „Stay In Or Stay Out“ von Chris Ardoin & Double Clutchin’ als Soundtrack.

Als postorgiale Musik ist Boozoo Chavis beliebt, vor allem „Lula Lula Don’t You Go To Bingo“.

Wobei postorgial bei diesem Trio zumeist – und gleichzeitig – präorgial bedeutet. Bevor sich der Vorhang zum nächsten Akt hebt, ziehen sich unsere famosen Drei gerne noch weisse und blaue kosmische Blitze durch die Nase hoch, direkt in ihre Stammhirne, die da zucken und zittern. Vor lauter heiliger Ekstase.

In den Pausen zwischen den einzelnen Akten rauchen sie dicke Blunts, trinken sie hochprozentiges Florida Wasser, verrührt mit klebrigem, ungefiltertem Zuckerrohr-Saft – und diskutieren über allerlei altehrwürdige philosophische Fragen.

Dabei spielen Linda und Belinda jeweils die Rollen zweier Geistesgrössen, dafür kleben sie sich die Schnauz- und Barttrachten dieser Denker in ihre rosigen Antlitze, so rosig wie die Lippen der Aurora, Göttin der Morgenröte. Und Voodoo Joe amtet als Schiedsrichter. Da macht also Linda den Platon, während Belinda den Aristoteles mimt, da gibt Linda den Augustinus von Hippo und Belinda den Pelagius, da verkörpert Linda den Immanuel Kant und Belinda den Georg Willhelm Friedrich Hegel, da erweckt Linda den grossen Sigmund Freud zum Leben, während Belinda als Carl Gustav Jung agiert.

Es gibt keinen Bereich des Geisteslebens, der bei diesen intellektuellen Spielchen Tabu wäre.

Dort draussen, hinter dem Häuschen des Paleros, mit seinem windschiefen Dach, kocht immer noch der Sud in der Nganga vor sich hin, die Ingredienzen werden zu einem homogenen Eintopf, der nun bald seine volle Wirkung entfalten darf.

Und auf der anderen Seite der Welt, jener dunklen Seite, drüben halt, im Irgendwo-Nirgendwo, machen sich die Geister und Gottheiten des Palo Majombe für ihren nächtlichen Einsatz bereit. Ogun poliert seine Schwerter, Chango vollführt einige kraftvolle Trainings-Axtschwünge und Ochosi bespannt seinen Jagdbogen mit einem nagelneuen Darm.

Im Häuschen mit dem windschiefen Dach schreiten Linda, Belinda und Voodoo Joe nun zum letzten vergnüglichen Akt des Tages, er beinhaltet ausschliesslich die gesuchtesten, die seltensten Ausschweifungen, bevor die ernsthafte magische Arbeit der Nacht beginnt, in welche die beiden Cousinen heute erstmals einbezogen werden, obwohl sie einem anderen mystischen Pfad folgen als der Palero.

Sie haben sich nämlich ihr eigenes eklektisches Religionsgebäude zusammen gezimmert.

Einerseits verehren sie Pomba Gira, jene lüsterne kosmische Dämonenfürstin des Macumba, Vertreterin des Hause von Quimbamba, die ja oft vom guten alten Exu begleitet wird, mit seinem Zylinder und seinem Stab, dessen Silberknauf einen Totenkopf darstellt. Andererseits tauchen sie in die Mysterien der zehn Mahavidyas ein, jener gefährlich heissen Göttinnen, die auf der linken Seite des hinduistischen Tantra-Kosmos leben und weben, deren Anführerin die schwarze Mutter Kali ist. Zudem schwimmen einige beachtliche Brocken von Thelema im mystischen Cocktail von Linda und Belinda, denn die thelemitische Frau in Scharlach, die ja so allerliebst auf dem grossen Tier zu reiten pflegt, passt prima in ihren Pantheon der primordialen weiblichen Mächte, die da sind unauslotbar.

Deshalb stellen ihre Spiele mit Voodoo Joe gleichsam ein ultraexplosives Aufeinandertreffen von spirituellem Nitro und mystischem Glyzerin dar, Bumms, eine Explosion, die drüben, in der Anderswelt, im Irgendwo-Nirgendwo halt, auf starkes Echo stösst. Eine vibrierende physische und psychische Jam-Session, die sogar noch den unendlichen Kosmos vortrefflich zu unterhalten vermag.

Linda und Belinda sind übrigens hochgradig gebildete, elegante Damen, die gerne hohe Stiefel tragen. Sie wurden zwar hier in den Sümpfen geboren, sind hier aufgewachsen, konnten die heimischen Schamanen-Vibration also zutiefst verinnerlichen, später haben sie dann jedoch die grosse weite Welt bereist.

Linda hat an der Pariser Sorbonne Philosophie und Metaphysik studiert, während sie die berühmten Nächte der Lichterstadt zu einer Koryphäe der Frivolität geformt haben. Belinda hat an der Boston University Linguistik und Altgriechisch in sich aufgesogen, gleichzeitig hat sie in der gleichen Stadt, am berühmten Berklee-College, ein Diplom als Jazzposaunisten errungen, in den blauen Nächten von Massachusetts wurde sie von lebensfrohen Jazzmusikern zudem in die wahre Bedeutung der Wortes Funk eingeweiht, in alle Tiefen und Untiefen dieser Bedeutung, bis sie zu einer echten deep fried funky witch bitch hinan gereift ward.

Voodoo Joe hatte im hohen Norden in den Fächer Ethnologie und Molekularbiologie abgeschlossen, danach zog ihn in die Black Metal-Szene in ihren Bann, infolgedessen stiess er auf die Werke von Agrippa, Eliphas Levi, Helena Petrovna Blavatsky, To Mega Therion, Israel Regardie, Monsieur LaVey, schliesslich Maya Deren, Migene González-Wippler, Adolfo de Jesús Constanzo – und viele, viele kleine Wicca-Hexen, die ihn genüsslich in die bodenlose Abgründe ihrer libidinösen  okkulten Praktiken hinunterzogen.

Alle drei sind übrigens stolz darauf, dass sie nie versuchen, ihre geisteswissenschaftlichen und naturwissenschaftlichen Kenntnisse und Einsichten mit ihren magischen Studien und Praktiken in einer Symbiose zu verschmelzen. Voodoo Joe pflegt zu sagen: „Das sind zwei mächtige Energiesäulen, die eine trägt die Nachtseite der Existenz, die andere die helle Tagseite. Ich lasse sie beide in ihrer Herrlichkeit bestehen und entrichte beiden ihren Tribut. Es interessiert mich nicht, irgendwelchen einäugigen Wissenschaftsfanatikern zu beweisen, dass meine magischen Kräfte genauso real sind wie alles, was sie unter ihrem Mikroskopen beobachten, mit ihren Teleskopen erspähen, dass die Zahlenmystik der heiligen Kabbala genauso viel Sinn macht wie die schönste Differentialgleichung, dass die kreolen-französischen Beschwörung des Gris-gris genauso stark sind wie Homers Odyssee. Deshalb bin ich auf beiden Seiten aktiv.“

Linda und Belinda sehen es ähnlich, obwohl sie wahrscheinlich andere Worte wählen würden, um ihre Überzeugungen auszudrücken.

Sie alle wissen, dass diese beiden Energiesäulen lediglich an jenem einen geheimen andersweltlichen Ort lustvoll miteinander verschmelzen können, wo es keine grossen Worte gibt, nur willkürlich ausgestossene Kaskaden unverblümter obszöner Begriffe, die jede gute Mutter alter Schule dazu treiben würde, ihren Kindern die Mäuler mit Schmierseife auszuwaschen. Diesen geheimen andersweltlichen Ort erreichen sie im Häuschen des Paleros, mit seinem windschiefen Dach, das da inmitten der Sümpfe steht, an jenen Nachmittagen, die sie den Ausschweifungen, den Orgien, jenen schweissgetränkten Innuendos eben widmen, die für sie das wahre Zentrum des Sein bedeuten.

Deshalb ist Linda ja nicht in Paris, Belinda nicht in Boston, Voodoo Joe nicht in Skandinavien geblieben. Ihre inneren Kompasse haben sie in die Sümpfe zurückgeführt und geführt, weil hier die primordialen mystischen Kräfte am stärksten sind, weil hier die rohe Essenz der Magie direkt an der Quelle abgeschöpft werden kann.

Und natürlich wegen der heissen Musik – dem Rhythm&Blues, dem Funk, dem Soul, dem Zydeco -, die den verlorenen Seelen die schönsten Tänze beibringt.

Bald wird die Nacht über die Sümpfe, über das windschiefe Dach hernieder sinken, wie eine blausamtene Decke. Und sie werden vor die Nganga treten, ihr magisches Werk vollbringen. Heulen und mit den Zähnen knirschen werden die Feinde des Voodoo Joe, wenn sie alsbald – von seinen dämonischen Verbündeten – in die Hölle gezerrt werden!

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Autor: Christian Platz

Lebt in Basel. Arbeitet überall. Reist recht viel. Vor allem nach Asien. Und in den Deep South der USA. Verdient sein Geld seit über einem Vierteljahrhundert mit Schreibarbeiten. Vorher hat er als Pfleger in einer Irrenanstalt gewirkt. Hat mehrere Bücher veröffentlicht. Spielt seit 40 Jahren fanatisch Gitarre, zwischendurch singt er auch noch dazu. Schreibt unter anderem für Kult. Ist manchmal gut aufgelegt. Manchmal schlecht. Meistens so mittel. Sammelt Bücher, CDs, Filme, Artefakte. In einem psychisch leicht auffälligen Ausmass. Verfügt, bezüglich der Dinge, die er sammelt, über ein lexikalisches Wissen. Platz ist einerseits ein Wanderer auf dem Pfad zur linken Hand. Andererseits Neofreudianer mit Waffenschein. Liebt Blues und Voodoo, Rock'n'Roll und die schwarze Göttin Kali. Trinkt gerne Single Malt Whisky aus Schottland. Raucht Kette. Ist bereits über 50 Jahre alt. Macht einstweilen weiter. Trotzdem wünscht er nichts sehnlicher herbei als die Apokalypse.

WARNHINWEIS:
Dieser Mann tritt manchmal als katholischer Geistlicher auf, stilecht, mit einem besonders steifen weissen Kragen am Collarhemd. Dies tut er in gänzlich irreführender Art und Weise und ohne jegliche kirchliche Legitimation. Schenken Sie ihm - um Gottes Willen - keinen Glauben. Lassen Sie sich nicht von ihm trauen, ölen oder beerdigen. Lassen Sie sich von ihm keinesfalls Ihre Beichte abnehmen. Geben Sie ihm lieber Ihr Geld.

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