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Duma V: Was von der Nacht übrig bleibt

Die Operationssäle Ost waren nahe am Garten im Innenhof des Spitals untergebracht. Die Patientin lag nun im Aufwachraum, obwohl sie schon ansprechbar war. Doch die Ärztin traute der Sache nicht. Weder die Anästhetika, die man ihr verabreicht hatte, als man noch eine Operation hatte befürchten müssen, noch die Mittel zur Linderung der Schmerzen hatten Spuren hinterlassen. Zudem hatte der Tox-Screen Eveline Martin gezeigt, dass die Frau schon vorher schwerst verladen gewesen war.

Eigentlich war ihre Schicht zu Ende. Im Spital wechselten die Wachen und Schwestern, Pfleger, Ärzte und Ärztinnen drängten sich in der Dämmerung im und um den kleinen japanischen Pavillon, in dem das Rauchen noch erlaubt war. Die Rauchschwaden vernebelten den liebevoll gestalteten Garten, der um sechs Uhr morgens Ruhe und Frieden ausstrahlte. Beim Aschenbecher lachten die Leute zu laut, liessen Dampf ab nach einer langen Nachtschicht und grinsten über Dinge, die sie sonst vielleicht nicht lustig fanden. Für solche Spässe hatte Eveline Martin keine Zeit. Mit einem freundlichen Winken stürmte sie an ihren Kollegen vorbei. Fest entschlossen, die Polizei noch zu erwischen, um herauszufinden, was da beim Münster losgewesen war.

In ihren Augen hatte die Befragung der Sanitäter nicht viel Sinn ergeben. So sei die Frau nach einem Sturz durchs Münsterdach aus über dreissig Metern Höhe in der Kathedrale auf fünf Polizisten losgegangen, habe sich dann mit allen Knochenbrüchen weiter durch die Rittergasse fast bis zum Kunstmuseum geschleppt, wo sie dann nach einem weiteren kurzen Kampf aufgegeben hatte und von der Sanität aufgelesen worden war. Die ersten Röntgenbilder und UV-Scans zeigten nicht nur einen gebrochenen Rücken, eine Schädelfraktur, sondern auch innere Blutungen und Brücke bei praktisch allen Extremitäten. So verladen konnte niemand sein, dass er es bei der Schwere der Verletzungen auch nur mit Kommissar Schwächling aufnehmen konnte.

In ihrem Büro, das im Gebäude gegenüber des OPs Ost lag, herrschte das übliche Chaos: Zuviel Papierkram, zu wenig Zeit. Ihre Sekretärin war noch nicht da, sie fand die Nummer der Polizei trotzdem schnell. Die Typen waren wahrscheinlich auch am Rauchen, dachte sie während es ins Leere klingelte. Sie checkte ihre E-Mails, nahm sich vor ruhig zu bleiben. Der Nachtdienst hatte ihr den Rapport über den Polizeieinsatz beim Münster weitergeschickt. Kurz vor Mitternacht sei die Meldung eingegangen, dass es so klinge, als würden Steine oder Geröll vom Münster stürzen. Eine Patrouille sei ausgerückt, um abzuklären, was bei der Kathedrale los sei. Auf dem Platz hätten die beiden Beamten nichts Auffälliges feststellen können. Auf der Pfalz seien dann ziemlich viele Steine gelegen, die Polizisten hätten Vandalismus befürchtet und nach Verstärkung gefunkt.

Ein Anruf bei der Sigristin des Münsters, Emilia Kraus, hätte die Beamten stutzig gemacht, diese habe gesagt, nähere Abklärungen seien nicht nötig, obwohl man unterdessen festgestellt hatte, dass das Münsterdach ein Loch hatte. Die widerspenstige Frau habe daraufhin selbst nachsehen wollen, woraufhin man sie später im Innenraum der Kirche angetroffen habe. Das Telefon von Eveline Martin gab ein modernes zirpen von sich. Sie las auf dem Display Aufwachraum. Sie ahnte nichts Gutes, als sie den Hörer abnahm: «Sie ist weg, wir können sie nicht finden.» Die Ärztin trat ans Fenster, als sei dort eine Antwort zu finden. Aber nach dem, was sie gelesen hatte, hätte sie vielleicht nicht so überrascht zu sein sollen.

Liebevoll listete der Polizeirapport auf, dass man die denkmalgeschützten Steine mit einer Absperrung sichergestellt hatte. Es seien in der Zwischenzeit genügend Beamte vor Ort gewesen, um jemanden in den Innenraum zu schicken. Dort habe man zwei Frauen vorgefunden. Es sei offenkundig gewesen, dass die Sigristin versuchte, mit einer schwerverletzten Person zu reden, die inmitten von zerschmetterten Sitzbänken lag. Die Polizisten hätten sich vorsichtig genähert. Die Situation sei nicht klar gewesen.

«Was meinen Sie damit, sie ist weg? Aus dem Aufwachraum kommt niemand so einfach raus», stellte Eveline Martin verblüfft fest. Der OP Ost des Unispitals war für Millionen umgebaut worden. Wie es dem Zeitgeist entsprach, war ein Spital nicht mehr länger nur ein Spital, sondern eine Festung mit elektronisch gesteuerten Schleusen. Heutzutage kam man, ohne entsprechenden Badge, nicht einmal mehr in die Küche oder in die Wäscherei hinein. Die Zutrittsberechtigungen waren durchgestylt, genauso wie das zweckmässige und doch lebensbejahende Design. All das sollte vom Schmerz und der Todesangst ablenken.

Sie dachte an die Gestaltung der Gänge mit beruhigenden Farben, an die Aufenthaltsräume, es sollte aussehen, wie ein Hotel und dann reichte doch nicht ganz. Aber natürlich war nicht alles schlecht. Vielmehr kam ihr Groll wohl daher, dass sie seit den Umbauten viel zu oft ihr Operationstheater hatte suchen müssen, da das alte Labyrinth, an das sie sich gewöhnt hatte, durch ein neues ersetzt worden war. Sie war müde und wusste, sie musste sich zusammenreissen. «Sind Sie noch da, Frau Martin?»

«Die Station kann doch nicht einfach eine Patientin verlieren, da weiss ich auch nicht, wie ich reagieren soll».

«Sie müssen sich die Sache ansehen, ich muss meinen Rapport beenden, da brauche ich die Unterschrift eines Arztes». Es kam ab und zu vor, dass ein grosses Spital Patienten verlor. «Sehen Sie doch bitte noch einmal nach, irgendwo muss sie sein, vielleicht ist etwas schiefgegangen», sagte die Ärztin.

«Ich muss meine Kinder wecken und in die Schule schicken, Frau Martin, ich habe keine Zeit für solchen Scheiss. Wir sind die Aufwach-Station. Hier liegen die Leute flach. Die gehen nicht weg. Das habe ich in zehn Jahren nicht erlebt.» Eveline Martin nickte in den Hörer und willigte schliesslich ein. Ja, sie werde rüberkommen. Das mit den Kindern sei kein Problem, sie solle den Papierkram einfach an ihre Nachfolgerin übergeben. Als Ärztin habe sie die Lage unter Kontrolle. Es sei ihr Fehler. Schon während sie es sagte, wusste sie: Das war ein Fehler. Denn nachdem, was sie in dem Polizei-Report gelesen hatte, war die Frau vielleicht sogar gefährlich.

Die Wm Pol. Campana, Steiner, Leuenberger hätten den Eingang des Münsters gesichert. Die Wm.Pol. Neugart, Müller und Gasser waren furchtlos zu den Frauen in der Mitte des dunklen Münsters gegangen. Die Wm.Pol. Georg und Schäfer waren zurück zum Wagen gegangen, um Schweinwerfer zu organisieren. Nach Ansicht des Einsatzleiters Det.Lt.Pol. Spirgi sei der Perimeter gesichert gewesen. Seiner Umsicht sei es zu verdanken, dass die Situation nicht ausser Kontrolle geraten sei. Sie drückte für den Lift. Es mussten acht oder neun Polizisten gewesen sein. Klar, Nachtschicht war manchmal langweilig, das wusste sie. Da reagierten manche Patrouillen schnell. Sie hämmerte auf den Knopf. Egal, wie modern das Spital, auf den Lift wartete man immer noch ewig.

Emilia Kraus habe ausgesagt, so stand es im Rapport, sie habe keine Ambulanz gerufen, weil sie die Frau schon gesehen habe. Sie sei viele Nächte lang auf dem Dach des Münsters gesessen, oft habe sie zum Kleinbasel herübergesehen. Wie die da rauf gekommen sei, hatte sich Frau Kraus offensichtlich nicht gefragt. Die Frau habe sie gebeten, keine Ambulanz zu rufen. Sie habe Wasser geholt und etwas Literatur nachgelesen. Danach sei die Sigristin der Überzeugung gewesen, die Verletzte sei ein gefallener Engel gewesen. Emilia Kraus habe in der Einvernahme gesagt, es sei nichts weiter als logisch, dass, wenn es einen «ersten» Traum gebe, in welchem der Teufel versuche, Eva im Paradies einzuflüstern, sie solle doch in den Apfel der Erkenntnis beissen, wenn auch zunächst vergeblich, dann gebe es auch den «letzten» Traum. Dieser müsse wohl etwas mit der Schlange zu tun haben, die Eva schliesslich darankriege oder schlimmer, es könne jener Traum sein, der alle anderen Träume beende. Und dann wäre dies das Ende der Welt. Weil niemand mehr träumen konnte. Eveline Martin fragte sich ernsthaft, ob der Verfasser des Rapportes, Wm.Pol. Georg, bekifft gewesen sei, oder ob man sie verarschen wolle.

Die Basler Polizei dagegen hatte keine Scherze im Sinn und die Sigristin ausführlich auf Drogen hin untersuchen lassen. Ihre Aussage, dass sie das letzte Mal an der Uni einen Joint geraucht hatte und vor mehreren Wochen etwas Wein getrunken hatte, habe sich voll und ganz bestätigt. Um diese Zeit träfen die Ordnungskräfte selten eine solche Nüchternheit an, wie der Bericht festhielt. Nach einem zweiten Verhör sei man zur Überzeugung gelangt, Emilia Kraus sei in etwas hineingeraten, was sie überfordert hätte. Aber unterlassene Hilfeleistung könne man ihr auch nicht vorwerfen, da sie einfach der Schwerverletzten geglaubt habe. Diese müsse überaus überzeugend gewirkt haben, was bei Verrückten ja manchmal vorkommen könne. Wm.Pol. Stern habe zu Protokoll gegeben, dass das Szenario dem Pandämonium gleiche. Jenem Moment als die Engel gefallen seien, sich getroffen und überlegt hätten, wie sie sich gegen Gott verschwören könnten. Man habe dies alles aber nicht näher ergründen können. Der diensthabende Pol.Kom. Gross habe dann angeordnet, die Sigristin zu entlassen und das Geschwätz von den Engeln zu vergessen.

Der Lift war da. Eveline Martin stieg ein, fühlte sich inzwischen ein bisschen schwindlig. Das Spital fing wieder an zu brummen. Unwillkürlich studierte sie das Krankenblatt am Kopfende des Bettes. Sie fragte den Patienten, wie es gehe, nahm das Blatt, änderte die Medikamente und ordnete auf dem Krankenblatt eine andere Untersuchung an und sagte zu dem Pfleger: «Geben Sie das bitte auf der Station ab, das müsste so besser gehen.» Pfleger und Patient waren schon weit weg als sie im Erdgeschoss ausstieg. Scheisse, sie musste sich in den Garten setzen. Sie war einfach zu müde.

«Das Ding im Lift, Untersuchungen, Analysen, das ist Medizin, Wissenschaft, das ist das, was du machst», dachte sie und wusste, sie hatte Recht. Kein Problem. Aber der Bericht der Polizei wurde noch wilder. Natürlich erinnerte sie sich nicht an die Namen der Wachtmeister. Zwei Wm.Pols. hatten sich der blutenden Frau genähert, aus ihrem Oberschenkel und aus ihrem Bauch waren Holzstücke herausgeragt. Ein schrecklicher Anblick. Wm.Pol.Schäfer hatte gekotzt, aber sie waren hingegangen. Dann war die Frau aufgestanden. Zu viel Blut. Sie hatten sie daran hindern wollen weiterzugehen. Im Bericht stand, dass es auf eine «nichtinvasive Weise» hätte geschehen sollen. Daraufhin habe die Frau sie geschlagen. Nicht sehr stark, aber so, dass sie sie nicht gleich hätten verfolgen können. Am Eingang hatte sie weitere drei Polizisten aus dem Weg geräumt und einem Beamten die Nase gebrochen.

Eveline Martin war jetzt auf dem Weg in die Aufwachstation. Sie hatte genug. Es klang wie eine Geschichte. Eine schlechte Geschichte. Die Polizei war dabei nicht ihre Sorge. Die Intensivstation schon. Sie versuchte ihren Rücken gerade zu halten. Natürlich hatte sie einen mächtigen Badge und die Türen zischten nur so vor ihr auseinander. Gleichzeitig war ihr klar, sie ging schnell, weil es besser war als zu fallen. Nachtschichten waren brutal. Müdigkeit und Erschöpfung gingen bis in die Knochen, wenn das Adrenalin einmal verbraucht war. Umso schlimmer, wenn man mit psychopathischen Pseudo-Engeln dealen musste. Es war faszinierend, wie der Wahnsinn Polizisten in den Bann ziehen konnte.

Die Türen zischten wütend auseinander. Die Aufwachstation. Viel Hoffnung, viel Schmerz. Eveline Martin wusste, das war ihr Ding. Das war der Traum und Alptraum aller Chirurgen: «Wir versuchen euer Leben zu retten, bitte, bitte wacht wieder auf.» Die roten Lichter waren an. Offenbar kamen Patienten aus der Intensiv runter. Sofort fühlte sie sich wacher. Aber klar, sie musste irgendwann hier raus. Sie zog die Schutzkleidung an. Und wieder erinnerte sie sich an den Polizeibericht.

Die Frau habe jeden Widerstand aus dem Weg geräumt. Sei aus dem Münster raus. Sie sei in Richtung Rittergasse geflüchtet. Unterdessen hatte die Polizei dort eine Strassensperre errichtet. Pol.Kom. Lt. Gasser habe aufgrund des schwankenden Ganges und der Blutspur den Schiessbefehl verweigert. Man habe abgewartet. Die Frau sei einfach weitergegangen. Ein Dutzend Beamte in Schutzmontur und mehrere Fahrzeuge hätten ihr den Weg versperrt und eine Ambulanz sei bereit gestanden. Pol.Kom.lt. Gasser habe zu Protokoll gegeben, er habe den Eindruck gehabt, die Frau wolle angreifen. Aber dann sei sie stehengeblieben.

Eveline Martin desinfizierte sich gerade die Hände, als eine Schwester ziemlich hektisch auf sie zukam. «Es tut mir so leid, ich habe versucht Sie nochmal anzurufen. Aber sie haben auch ihr Mobile nicht abgenommen.» Die Oberschwester weinte fast. Eveline nahm ihren Mundschutz runter, sagte: «Sie ist wieder da, oder?» Die Geschichte, dass da noch eine kleine Messerstecherei gewesen war, während sie den Polizeibericht gelesen hatte, davon erfuhr die Ärztin später. Gleichzeitig hatte die Nacht sie weichgekocht. Sie nahm die Schwester in die Arme, strich über ihr Haar, sagte, sie solle einfach die Kinder wecken gehen und dann etwas schlafen. Alles würde gut. Dass die Schwester sie erschreckt ansah, erschreckte sie, aber sie wusste, sie hatte so lange keine Fehler gemacht, dass es zum Fürchten war und nun war ihr Fehler durchs Münsterdach gefallen. Oberschwester Waltraud meinte, sie könne sich das nicht erklären. Aber sie sei sicher, die Frau sei weggewesen. Sie habe persönlich nachgesehen.

Duma lag regungslos im Spitalbett. Obwohl die Werte auf dem Monitor gutaussahen, ragten aus ihren Armen ziemlich viele Schläuche und sie war noch in der antiseptischen Umgebung. Man hatte die Frau gewaschen. Auf dem Krankenblatt stand noch immer kein Name. Weder Polizei noch Sanität hatten irgendeinen Hinweis auf ihre Identität gefunden. Allerdings war im Rapport vermerkt gewesen, dass man vor einigen Tagen am Kleinbasler Rheinufer eine Frau angetroffen hatte, die etwas «orientierungslos» gewirkt und nach Alkohol gerochen habe. Daraufhin habe man sie mitgenommen. Der Claraposten liess sie aber nach ein paar Stunden in der Ausnüchterungszelle wieder gehen, da sie luzid wirkte und man nicht gewusst habe, was man mit ihr anfangen sollte. Es sei kein Verbrechen nicht zu sagen, wer man sei. Es habe keinerlei Verdachtsmomente gegeben, die darauf hingedeutet hatten, die betreffende Frau sei in Verbrechen verstrickt. Auf Befehl von Pol.Kom.Lt.Gasser werde man nun die Identität der verletzten Frau definitiv abklären.

«Ich weiss, wovon du träumst», sagte Duma. Um ihre blauen Pupillen waren noch geplatzte Äderchen zu sehen. «Kannst du mir sagen, ob ich jemanden umgebracht habe?» Sie sah verzweifelt und traurig aus. Eveline Martin dachte, dass sie noch nie jemanden gesehen habe, der so traurig ausgesehen hatte.

«So eine Scheisse, ich wollte niemanden etwas machen, aber ich war verzweifelt, ich habe Angst gehabt.» Der Ärztin lief ein kalter Schauer über den Rücken. Sie fror im antiseptischen Bereich. Sie hatte keine Ahnung, was zum Teufel hier vorging. Auf dem Monitor sah sie, dass das Herz der Frau schlug, wie dasjenige eines Elefanten. Der Puls war ebenfalls in Ordnung und die Bluttransfusion war schlicht unnötig.

Schliesslich meinte die Ärztin: «Ich weiss – ehrlich gesagt – nicht wovon ich träume, aber ich träume davon, dass mir das jemand sagen könnte.»

«Habe ich jemanden verletzt? Das ist alles, was ich wissen muss.»

«Eine gebrochene Nase, das ist alles. Aber der Typ muss gestolpert sein, Sie waren nicht in der Verfassung, jemandem irgendetwas zu machen.»

«Das ist gut, das ist gut», sagte Duma und meinte: «Es hat keinen Sinn, dass wir uns Sie sagen, ich weiss, was du träumst, schon vergessen?»

«Wo warst du vorhin?», fragte Martin. Duma sagte schnell, sie sei kurz auf dem Dach des Spitals gewesen. Sie möge die Dämmerung. Dann würde es leichter für sie. Wenn die Leute aufwachen würden. Dann müsse sie nicht mehr so viele Träume tragen. Dann, wenn die Sonne aufgehe. Eveline Martin bekam nicht recht mit, wie die Frau plötzlich neben ihr hatte stehen können.

Duma, die etwas grösser war, schaute ihr in die Augen, berührte ihren Arm und sagte: «Wenn die Sonne aufgeht, ist es für kurze Zeit etwas ruhiger und dann habe ich manchmal fast das Gefühl, das ich mich erinnern kann, wer ich bin. Darum mag ich den Sonnenaufgang. Dann lebe ich ein bisschen für mich selbst. Denn es gibt niemanden, der weiss, was ich träume. Nicht einmal ich.»

«Haben Sie diese Störungen schon lange? Ist es schlimmer geworden?», fragte Eveline Martin, aber irgendwie leuchtete ihr doch ein, was Duma sagte. Sie musste sehr müde sein, wollte aber die Kontrolle über die Situation zurück. «Sie müssen sich hinlegen.» Duma streckte sich und stieg langsam ins Bett.

Eveline Martin hatte keine Ahnung, was sie tun sollte. Medizinisch gesehen war es unmöglich, die Frau zu entlassen, sie auf die Strasse zu stellen. Schliesslich war sie nach Mitternacht mehrfach klinisch tot gewesen. Unterdessen erzählte sie fröhlich irgendwelchen Mist und war sogar schon aus dem Bett gestiegen. Eveline Martin war fasziniert von medizinischen Rätseln. Schon als Studentin war sie immer dazu bereit gewesen hart dafür zu arbeiten, diese Rätsel zu lösen.  Sie sah in den Spiegel ihres kleinen Badezimmers. Sie musste sich ausruhen. Sie war am Ende, es brachte nichts, noch länger über diese Probleme nachzudenken. Offensichtlich hatte man es mit einer Verrückten zu tun. Trotzdem hätte sie gerne gewusst, wovon sie träumte, sie hatte sich noch nie erinnern können.

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Autor: Andy Strässle

Andy Strässle umarmt Bäume, mag Corinne Mauch und verleugnet seine Wurzeln: Kein Wunder, wenn man aus Blätzbums stammt. Würde gerne saufen können wie Hemingway, hat aber immerhin ein paar Essays über den Mann zu stande gebracht. Sein musikalischer Geschmack ist unaussprechlich, von Kunst versteht er auch nichts und letztlich gelingt es ihm immer seltener sich in die intellektuelle Pose zu werfen. Der innere Bankrott erscheint ihm als die feste Währung auf der das gegenwärtige Denken aufgebaut ist und darum erschreckt es ihn nicht als Journalist sein Geld zu verdienen.

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