Ha. Da tanzt die alte Mutter Mitternacht wieder, mit Johnny, dem Halsabschneider. Die räudigen Kanalratten, hellbraune Kotbröckchen kleben in ihren Fellen, liefern den Rhythmus dazu. Sie swingen und wirbeln munter. Auf rostigen Konservendosen, auf leer gefressenen Medikamentenbüchsen: Neuroleptika: Familienpackungen.
Sie trommeln mit ausgedienten Kochlöffeln, abgebrochenen Zweigen, von Bäumen, die inzwischen auch das Zeitliche gesegnet haben – wie derart vieles, lieb gewonnenes –, mit Künstler-Pinseln, die wegen massivem Haarausfall längst ausgemustert worden sind…
So wirbeln sie, so swingen sie. Mit allem halt, was die schmutzigen Strassengräben hergeben.
Wotan, der Waschbär, Tollwutschaum umkräuselt seine lächelnden Lippen, zupft den Teekistenbass. Während die Kamikaze-Katzen auf ihren Geigen herumkratzen. Überdies einen schaurigen Gesang anstimmen. Und der Fürst der Phantome – hohlwangig, leeräugig – schlägt den unerbittlichen Takt dazu.
Auf seiner mächtigen Menschenhauttrommel.
Natürlich schleicht Peter, ein bekannter und fröhlicher Rasiermessermörder, durch die dunklen Strassen und Gassen. Heute wird er wieder zuschlagen. Soviel ist gewiss. Er kann das Blut schon schmecken, die Angst seiner Opfer förmlich riechen.
Was für ein Genuss!
Im alten Schulhaus, das einst gebaut worden war, damals, als noch die liebe Tante Peitsche den Unterricht förderte, jedoch schon lange keine Kinderlein mehr gesehen hat, weil niemand mehr Kinder zeugen kann, auf diesem sterbenden Planeten, das heutzutage allerhand lichtscheue Kreaturen beherbergt, macht die schwarze Madonna wieder einmal ihren Striptease.
Für ihre beiden Komplizen, cholerische Herren mit Maulwurfsbärten und abgeschabten Uniformjacken, die rettungslos dem Schnaps verfallen sind, und für die schwarze Madonna regelmässig durch die Hölle gehen. Die Dame tanzt, sie biegt, sie dehnt, sie bückt sich, entledigt sich währenddessen ihrer ausgebleichten Fetzen, die einst in satten Sommerfarben geleuchtet hätten, wie man sagt, zieht sich also im Rhythmus unserer kleinen Nachtmusik aus, Langsam. nach alter Mütter Sitte, bis auf die blanken Knochen.
Unter dem Licht des Blutmonds.
In der Villa des Bürgermeisters, wo die Farbe auch schon in dicken Flocken von den Wänden bröckelt, eine zentimeterdicke Staubschicht altehrwürdige Stilmöbel bedeckt, feiern derweil die Geister. Die treiben allerlei üblen Schabernack, mit dem notgeilen alten Fettwanst und seiner Familie. Da schreit die Frau Gemahlin aus Leibeskräften. Und die Kinder weinen sich die Augen aus den Höhlen.
Doch niemand schreitet ein.
Denn das Regierungsamt, einst galt es als nobel, wurde von vielen machtgierigen Figuren beider Geschlechter ehrgeizig angestrebt, hat in dieser moribunden Welt jegliche Bedeutung eingebüsst: Macht ohne Mittel; eine reizlose Kombination. Der Lohn der ersten Familie besteht lediglich noch aus Spott und Hohn. Gelegentlich gibt es Fischköpfe dazu, aus dem verschlammten, verseuchten Teich hinter der alten Mühle, auf der schon damals ein Fluch gelastet hat, als die Zeiten noch etwas besser waren.
Die Hunde auf der Strasse leben luxuriöser.
Auf dem ausgedehnten, fast menschenleeren Marktplatz prügeln sich sieben kräftige kleine Gesellen um eine Frau, unter dem Mitternachts-Himmelszelt, in jenem Geruch nach verdorbenen Fleischsuppen, der hier die Atmosphäre immerzu prägt. Der Gewinner wird die Frau in einen finsteren Hinterhof schleppen, wenn er die anderen Sechs alle totgeschlagen hat. Dort wird er allerhand Schweinereien mit ihr veranstalten, die ihm fantasievoll und ausschweifend vorkommen. Sie aber wird sich jenem Stärksten unendlich gelangweilt fügen, wie es schon ihre Frau Mutter getan hat – und die ältere Schwester.
Wer sich dem Stärksten fügt, wird Vorteile ernten, diese Über-Zeugung hat sich tief in ihr Hirn eingebrannt, bereits damals, während ihrer trostlosen Kindheit.
Während die Anwohnerschaft neugierig aus den Fenstern glotz, die Schweinereien sind nämlich ihr nocturnes Theaterspektakel. Das letzte Quäntchen Showbiz, das noch übrig geblieben ist, seit sogar das Fernsehprogramm und das Internet abgeschaltet worden sind…
Von wem? Man weiss es nicht.
Draussen, auf zugefrorenem Feld, streut Papa Tod derweil sein Saatgut der Vernichtung. Gemütlich verrichtet er sein Werk. Für ihn ist jetzt die beste Zeit angebrochen. Er pfeift die Melodie unserer kleinen Nachtmusik mit. In schrillem Ton; der noch das stärkste Trommelfell zu zerfetzen vermag. Doch wer braucht denn heutzutage noch ein Trommelfell? Oder Augenlicht? Oder Geschmacksnerven?
Die Zeit ist abgelaufen. Unmerklich. Und gewiss viel zu schnell; wie alles immer halt. Die letzten Körner rieseln durch die schmalen Hüften der mächtigen kosmischen Sanduhr. Und diesmal wird sie niemand mehr umdrehen. Weil niemand mehr anwesend ist, in jenen ominösen Gefilden, wo derartige Dinge einst routiniert besorgt wurden. Sie sind alle ausgeflogen.
An einen Ort, für den es keinen Namen braucht.
Und Johnny, der Halsabschneider, tanzt mit der alten Mutter Mitternacht, den letzten Tango. Bevor auch sie für immer verschwinden, bevor auch sie die Reise nach Nirgendwo antreten werden: Denn wo es keinen Morgen gibt, braucht es auch keine Mitternacht.
Unsere kleine Nachtmusik schleicht endlich in die Auslaufspur, wird immer leiser, immer leiser. Bis sie schliesslich verstummt. Ein letztes Wimmern dringt noch aus der Kehle jenes Opfers möglicherweise, das Peter, ein bekannter und fröhlicher Rasiermessermörder, dann doch noch gefunden hat.
Und genau jetzt ist endgültig Schluss. Adieu, liebe Leut’. Adieu! Auf Wiedersehen ist zum Glück nicht mehr angesagt. Jetzt ist alles vorbei. Das ist gut so.
Denn es war der letzte Dreck. Dankeschön!