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Endlich 60: Death on Arrival?

MADONNA wurde sechzig, und sie hat auf ihren Social-Media-Seiten explizit darauf aufmerksam gemacht, damit auch alle ihr zu diesem sechsmal runden Geburtstag von Herzen gratulieren können. Ich tu’s auch, liebe Madonna! Und schenke dir diese KULT-Kolumne, die ich mir damals zu meinem eigenen Sechzigsten schrieb. Danach merkte ich, dass dieser Gebi kein Death on arrival, also Tod nach Ankunft ist, sondern bloss der Beginn. Wohin, das muss jede selber rausfinden…

Ich bin sechzig geworden. Die ganzen Fünfziger Jahre bibberte ich auf dieses Datum hin. Also gut, nicht die ganzen, aber mindestens die Endfünfziger. Sechzig zu werden bedeutete für mich bis so circa gestern Death on Arrival, also Tod bei Ankunft. Sechzig zu sein bedeutet für eine Frau praktisch das Todesurteil im Mating Game oder im Leifschteil-Department. Fünfzig geht grad noch, doch wenn man die Häme betrachtet, die über prominente, weibliche Fünfzigjährige-Plus ausgeschüttet wird, ist klar, dass Frauen grad mal vierzig werden dürfen. Immer noch. Und jetzt 60, da kann ich mich ja grad öffentlich umbringen, dachte ich. Doch als ich meinen 60. Geburtstag feierte, hatte ich das Nahtoderlebnis, das ich immer suchte: Will heissen, mir jetzt ist jetzt alles wurscht, jedenfalls das, was ich bislang glaubte, sein zu müssen: Ewig schön, total erfolgreich, ungeheuer beliebt, finanziell bis 100 abgesichtert, fantastisch im Bett. Fuck off mit all dem Zeugs, ich bin 60! Endlich.

Das ganze Jahr zwischen dem 59. und meinem 60. Geburtstag glich einem konstanten Erdbeben. Noch vorgestern dachte ich, das war einfach ein GRAUENVOLLES Jahr: unmögliche Affären mit grässlichen Männern, grusige Pigmentflecken, nein Altersflecken auf der Hand, all die oft fiesen Kult-Kolumnen, die ich auf den letzten Drücker schrieb, x-mal aufwachen in der Nacht, zu wenig oder zu viel Sex, was jetzt war mir nicht ganz klar, meine geliebte Haushündin auch schon neun und schwach auf dem Rücken. Überhaupt, bin ich eine unmögliche Person, ein wandelnder Beziehungsflop!

Weil ich das alles glaub(t)e, beschloss ich in der letzten Woche vor meinem 60. Geburtstag mit einem clean sheet, quasi einem blütenreinen Zeugnis, in diese neue, furchterregende Altersära einzusteigen. Ich machte reinen Tisch mit allen ongoing Affären und Männern. Bei dem einen entschuldigte ich mich für meine Nerverei, ob das SMS-Sorry angekommen ist, war schlussendlich nicht so wichtig. Wer noch etwas bei mir herumliegen hatte, musste es abholen. Wer bei mir ausgerechnet im Endspurt ein Chaos anzurichten drohte, musste gehen. Aussergewöhnlich, denn normalerweise werde ich verlassen. Diesmal sagte ich: Aus! Einige mochten das seltsam finden, einige können nicht damit umgehen, anderen wars wohl egal. Mir auch, ich dachte diesmal nur an mich selbst!

Und nachdem ich das erledigt hatte, sah ich sämtliche Affären mit anderen Augen. Es gab gute, es gab seltsame, es gab solche, die aufregend waren, aber die ich nicht mehr haben wollte. Jedenfalls ab sechzig. Auch weil ich Platz machen wollte für jene Männer, für dich ich mich wirklich und echt interessiere, weil es Gemeinsamkeiten gibt, die ich spannender finde als ein hübsches Exterieur. Ok, ok, ich mag jüngere Männer, aber ich mache mich nicht (mehr) jünger oder bequemer für sie. Mich netter oder bequemer machen, das konnte oder musste ich mich nicht für alle, die mich in den zurückliegenden Jahren, vorallem in diesem letzten schwierigen unterstützten, die zu mir hielten, mir Mut machten, mich oft zähneknirrschend ertragen mussten. Und dafür danke ich euch sechzigmal!! Dank geht natürlich auch an meine Kultis hier!

Und jetzt sitze ich da, am Vortag meines 60., denn diese Kolumne schreibe ich vorsichtshalber doch vorher, falls ich den morgigen Tag ev. nicht überlebe, und habe noch nichts geplant für morgen. Am vierzigsten Gebi hatte ich ein Date, am fünfzigsten feierte ich zleid wie an einem Kindergeburtstag mit Tischbomben und Konfetti. Und an meinem 60. wollte ich eigentlich eine grosse Party steigen lassen. Doch dann haben wir den 100. Geburtstag meines Vaters gefeiert, der diesen leider nicht erlebte. Und das war so schön und lustig, dass ich fand, das reicht fürs Erste. Wenn auch mit schlechtem Gewissen, das Markenzeichen jeder jüdischen Chutzpelady.

Tja, und so werde ich morgen gar nichts machen, keine Torte, kein Geschenk an mich, etwas, was ich an allen Geburtstagen sonst so machte. Es reicht mir glaubs, einfach 60 zu werden und mich erst deswegen zu gruseln, schlussendlich ENDLICH darüber zu freuen. Und mich nicht mehr aufzuregen, dass ich nicht weiss, wies so weitergeht: liebes/sex/erfolg/finanzmässig. Vielleicht habe ich eben auf der ganzen Linie verkackt, aber so ein inneres Stimmchen sagt mir: Quatsch, Marianne, du hast das gut gemacht. Und die 600 Seiten, die du über dieses letzte Jahr vor 60 geschrieben hast, sind wahrscheinlich sehr spannend. Ich meine, es war doch eine ganze Menge los, oder, du tumme Trulla!? Und darüber hast du jetzt erzählt in diesen 60er-Weissheiten und garantiert war das das beste Geburtstagsgeschenk, das du allen dort draussen & dir an diesem bedeutungsvollen Datum machen konntest.

P.S. Ich hab das jetzt nicht mehr durchgelesen oder verbessert, es bringt nichts, das noch gross korrigieren zu wollen, das ist wie im echten Leben: was war, ist geschehen, das was man besser machen könnte, liegt ja noch vor einem…. Hoffentlich…

www.marianneweissberg.ch

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Autor: Marianne Weissberg

Marianne Weissberg, studierte Historikerin/Anglistin, geboren in Zürich, aufgewachsen in Winterthur, ist ganz schön vollreif. Also eigentlich schon ewig da, was sie in ihren Knochen und im Hirn spürt. Lange Jahre verschlang das Lesepublikum ihre wegweisenden Artikel und Kolumnen in guten (und weniger guten) deutschsprachigen Zeitungen und Magazinen. Persönlichkeiten aus Film, Literatur und Musik wie etwa Robert Redford, Isabel Allende und Leonard Cohen redeten mit der Journalistin, die ganz Persönliches wissen wollte, und es auch erfuhr. Irgendwann kam sie selbst mit einer Geschlechter-Satire in die Headlines und begann in deren Nachwehen ihre zweite Karriere als Buchautorin. Auch hier blieb sie ihrer Spezialität treu: Krankhaft nachzugrübeln und unverblümt Stellung zu beziehen, bzw. aufzuschreiben, was sonst niemand laut sagt. Lieblingsthemen: Das heutige Leben und die Liebe, Männer und Frauen – und was sie (miteinander) anstellen in unseren Zeiten der Hektik und Unverbindlichkeit. Und wenn man es exakt ansieht, gilt immer noch, jedenfalls für sie: Das Private ist immer auch politisch – und umgekehrt.

Sonst noch? Marianne Weissberg lebt mitten in Züri. Wenn sie nicht Kolumnen oder Tagebuch schreibt, kocht sie alte Familienrezepte neu, betrachtet Reruns von „Sex and the City“, liest Bücher ihrer literarischen Idole (Erica Jong, Nora Ephron, Cynthia Heimel) oder träumt davon, wie es gewesen wäre, wenn sie nicht immer alles im richtigen Moment falsch gemacht hätte. Aber das wäre dann wieder so ein Thema für einen neuen Kult-Text.

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