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Ihre Panik ist unser Ferienparadies

Ist Ihre Wohnung repräsentativ eingerichtet, kühl und funktional wie eine Zahnarztpraxis? Oder haben Sie ihren Innenarchitekten angewiesen, individuell und gemütlich vorzugehen, so mit Bastmatten, witzigen WC-Brillen und Fellhockern aus Burkina Faso?

Ich könnte mir vorstellen, dass Sie regelmässig all diese jungtalentierten regionalen Weinproduzenten abklappern – und dort phantastische Entdeckungen machen. Ebenso gut könnte ich mir vorstellen, dass Sie nur Burgunder sowie Bordeaux geniessen – und mit jenen regionalen Tropfen nicht einmal einen Sauerbraten ansetzen würden.

Sind sie schon zertifizierter Blütenhonig-Sommelier? Oder haben Sie es immer noch mit dem Lavendel-Salz? Sammeln Sie seltene Markenturnschuhe? Oder geben Sie rahmengenähten, massgefertigten Tretern aus Straussenleder den Vorzug? Haben Sie es mit der dunklen Schokolade aus Belgien? Oder eher mit unserer Schweizer Milchschoggi?

Ich könnte mir vorstellen, dass Sie sich mit Olivenöl und Balsamico vertieft auseinandersetzen, weil sie die mediterrane Küche vergöttern. Ich könnte mir aber auch leicht vorstellen, dass Sie sich streng nach Listen aus Gesundheits-Ratgebern ernähren, die Sie eingehend zu studieren pflegen, und kein Gramm falsches Fett in den heiligen Tempel Ihres Körpers eintreten lassen.

Makrobiotischer Slow Food oder Filet Wellington? Triathlon oder Bikram Yoga? Antroposophisch angehaucht oder ein bisschen buddhistisch inspiriert? Fastenkur oder Genussmarathon? Opern-Event oder Easy Listening? Toscana oder Trinidad? Sportwagen-Leidenschaft oder Velo-Fetischismus? Schlammbad oder Shiatsu? Sex and the City oder Wes Anderson? Orgon-Akkumulator oder Samadhi-Tank?

Die Auswahl ist gigantisch.

Sie können Ihren Lebensstil endlos veredeln und verästeln. Ein ausladender Markt, wie es ihn noch niemals zuvor in der Menschheitsgeschichte gegeben hat, wartet auf Sie. Sie können nicht nur ihre äusseren Angelegenheiten endlos stylen. Nein, auch Ihr Innenleben ist wahlweise tapezierbar, Ihr Seelenheil frei gestaltbar. Sie müssen lediglich dafür bezahlen!

Es gibt in jedem Bereich jede Menge Dienstleister, mehrfach zertifiziert, die Ihnen noch so gerne eine Rechnung stellen und dafür mehrfach geprüfte Qualitätsware abliefern. Greifbare Ware, die man mit den verwöhnten Patschehändchen streicheln kann. Oder unfassbare ideelle Güter, die man – kennerhaft – mittels den Tentakeln eines übersättigten Bewusstseins ansaugen, aussaugen darf.

Und wenn es einem trotzdem mal langweilig wird, kann man sich auch stetig weiterbilden: Seminare besuchen, berufsbegleitende Fachdiplomkurse absolvieren, endlose Zulassungsprüfungen bestehen.

Und dabei wichtig, wichtig, wichtig sein und immer noch wichtiger werden!!!

Ja, ich weiss. Ihr Leben ist beneidenswert erfüllt. Sie wählen ganz nach ihrem individuellen Empfinden aus, mit Wissen aus der Fachpresse unterfüttert – und jener Weisheit, die aus den ausgesuchtesten Portalen des Internets fliesst.

Und deshalb erwarten Sie von mir, dass auch ich Sie für wichtig halte. Oder zumindest ernst nehme.

Leider kann ich diese Erwartungen nicht erfüllen.

Ich lebe nämlich auf einer Abfalldeponie. Ich bin hier gelandet, weil ich meinen Lebensstil vernachlässigt, ihn nicht in zeitgemässer Weise gehegt und gepflegt habe. Unter einen Regendach aus alten Müllsäcken, das ich fast wöchentlich auswechseln muss. Was ich konsumiere, klaue ich mir zusammen. Manchmal unter Einsatz von Geschicklichkeit, manchmal unter Androhung oder Anwendung von Gewalt. Dabei kann ich nicht gross auswählen. Ich nehme einfach, was da kommt: Marlboro oder Camel, eine Flasche Kirsch oder eine Flasche Eierlikör, ein gebratenes Hähnchen oder eine Büchse Thunfisch, eine Oberschichts-Tussi oder eine Prolo-Schlampe, eine Luger P08 Parabellum oder eine Bushmaster XM 15 3-Gun.

Ja. Ich wohne da draussen. An einem Unort, den Sie garantiert nie besuchen. Am Tag werden Sie mich kaum einmal sehen. Wenn die Dunkelheit übers Land zieht, schleiche ich raus, in der Nacht nehme ich mir, was ich kriegen kann. Und da kommt doch einiges zusammen. Ich beherrsche das ganze Register; ich kann „bittebittebitte“ sagen, aber auch: „Los, auf die Knie! Mach schon!! Sonst bist du dran!!!“

Da bin ich ganz und gar flexibel…

Ich habe mir hier draussen einen harten Schlag angewöhnt, kann zudem flink mit einer Klinge umgehen – und ich bin zwar kein Meisterschütze, aber ich drücke ohne jedes Zögern ab. Ausschliesslich auf lebendige Ziele. Ein Sommelier-Kurs liegt nicht auf meiner Linie. Meine Linie besteht ja höchstens aus weissem oder bräunlichem Pulver. Vielleicht würde ich gerne einmal eine Sperma-Sommelière ausbilden. Aber ich bezweifle, dass ich die Geduld dafür aufbringen könnte. Denn ich lebe im Augenblick. Jetzt, jetzt, jetzt. Ich wähle nicht aus. Ich greife ab! Mein Glück entsteht aus der Gelegenheit.

Meiner schwarzen Göttin, sie dürstet regelmässig nach Blut, opfere ich gerne ein Huhn, ein Kaninchen, ein Lamm – zwischendurch aber auch mal ein komplexeres Lebewesen, das möglicherweise sogar zwischen Kobe Beef und Angus Steak unterscheiden kann; vielleicht auch nicht. Mich und meine schwarze Göttin kratzt das kein bisschen…

Und ich bin ja keineswegs allein. Ich gehöre zu einer rasant wachsenden Schar. Einer Armee der Finsternis. Mein Name ist Legion! Und wir sind ja nicht blöd. Haben wir doch alle Bücher gelesen, die Sie entsorgt haben, weil Sie sich dringend um die Ausdifferenzierung Ihres Lebensstils kümmern und in Seminaren neue Methoden, die eine Vielzahl ebenso neuer Wortmissgeburten mit sich bringen, erlernen mussten.

Ja, wir haben die entsorgten Bände alle gelesen, im Feuerschein, weil wir hier auf der Abfalldeponie keinen Strom haben, auch die Hegel- und die Heidegger-Gesamtausgabe, dazu noch den Marquis de Sade-Omnibus, den ganzen Mr. Enderby von Burgess, die Mahabharata (daher die schwarze Göttin), das Buch der Lügen sowie die Arbeitsbiographie des Generalisten Bazon Brock – und was der guten Dinge halt mehr sind…

Und die Bücher haben uns auf Ideen gebracht…

Auch deshalb sind wir die grausame Brut der Nacht, den Müllhalden entsprungen, die Sie und die Ihren angelegt haben. Wir sind vertierte Kulturbestien geworden, brotlos, bodenlos, erbarmungslos!

Wegen uns können Sie sich nachts nur noch per Auto oder Taxi fortbewegen. Wegen uns brauchen Sie eine Alarmanlage. Wegen uns dürfen Ihre Frau und Ihre Tochter nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr alleine auf die Strasse. Wegen uns besorgen Sie sich schon bald einen Waffenschein.

Noch halten wir uns zurück…

Bald schon werden wir jedoch zunehmend aufsässig daherkommen. Wir werden nachts in Ihr Einfamilienhäuschen eindringen, die Türen und Fenster einschlagen, werden mit Ihnen und Ihren Lieben eine wilde Party feiern. Ob Sie wollen oder nicht. Ihre Inneneinreichung ist uns dabei scheissegal. Sie wird diese Nacht ohnehin nicht überstehen, überdauern, überleben. Wir werden Ihnen Einsichten in die Thematik der Vergänglichkeit vermitteln, mit einer Dringlichkeit, wie sie weder ein Hauch von Antroposophie noch so ein bisschen Buddhismus herstellen kann.

Ihre Panik ist unser Ferienparadies. Ihr Todeskampf ist unser Lebenskraft-Seminar. Ihr Untergang ist unser Aufstieg. Während Sie so schön mit der sorgsamen Inszenierung Ihres Livestyles beschäftigt waren, sind wir derart stark und böse geworden, dass wir Sie nun skrupellos auffressen dürfen. Und werden. Wir tun dies übrigens nicht aus Bösartigkeit. Wir haben lediglich keine andere Wahl!

Und keine Sorge, wir führen keineswegs einen Krieg gegen die Zivilisation. Die Schlachthöfe führen ja auch keinen Krieg gegen das Viehzeug.

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Autor: Christian Platz

Lebt in Basel. Arbeitet überall. Reist recht viel. Vor allem nach Asien. Und in den Deep South der USA. Verdient sein Geld seit über einem Vierteljahrhundert mit Schreibarbeiten. Vorher hat er als Pfleger in einer Irrenanstalt gewirkt. Hat mehrere Bücher veröffentlicht. Spielt seit 40 Jahren fanatisch Gitarre, zwischendurch singt er auch noch dazu. Schreibt unter anderem für Kult. Ist manchmal gut aufgelegt. Manchmal schlecht. Meistens so mittel. Sammelt Bücher, CDs, Filme, Artefakte. In einem psychisch leicht auffälligen Ausmass. Verfügt, bezüglich der Dinge, die er sammelt, über ein lexikalisches Wissen. Platz ist einerseits ein Wanderer auf dem Pfad zur linken Hand. Andererseits Neofreudianer mit Waffenschein. Liebt Blues und Voodoo, Rock'n'Roll und die schwarze Göttin Kali. Trinkt gerne Single Malt Whisky aus Schottland. Raucht Kette. Ist bereits über 50 Jahre alt. Macht einstweilen weiter. Trotzdem wünscht er nichts sehnlicher herbei als die Apokalypse.

WARNHINWEIS:
Dieser Mann tritt manchmal als katholischer Geistlicher auf, stilecht, mit einem besonders steifen weissen Kragen am Collarhemd. Dies tut er in gänzlich irreführender Art und Weise und ohne jegliche kirchliche Legitimation. Schenken Sie ihm - um Gottes Willen - keinen Glauben. Lassen Sie sich nicht von ihm trauen, ölen oder beerdigen. Lassen Sie sich von ihm keinesfalls Ihre Beichte abnehmen. Geben Sie ihm lieber Ihr Geld.

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