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Festliche Gedanken zur Migration!

Jetzt sitzen wir also da in der „zivilisierten“ Hemisphäre und haben Angst, dass wir von denen da unten überrollt werden. Also da kann ich nur sagen: Gschiit eus rächt! Den grössten Witz finde ich ja, dass die ganze Weihnachtsgeschichte auf dem Gedanken beruht, Hilfesuchende freundlich zu empfangen und ihnen ein Bett zu offerieren. Ich stelle mir grad vor, wie bei Blochers und dem ganzen rechten bis braunen Gesocks in unserer „Zivilisation“ der Christbaum entzündet wird, wie die ganze Family Weihnachtslieder fromm trompetet, anderntags wieder volle Pulle gegen Einwandernde gehetzt wird. Haben die Leute denn keine Ahnung von Geschichte? Muss ich als Historikerin jetzt mal erklären, dass die aktuelle Migration auch als „Jetzt gehen wir mal dahin, wo man uns jahrhundertelang ausgebeutet hat“-Bewegung deuten kann!

Ich möchte also an die Kreuz- und Raubzüge erinnern, die unsere „Zivilisation“ in Asien, Amerika, Afrika, Australien veranstaltet hat. Wie Millionen Menschen von dort zu uns verschleppt wurden, um auf Plantagen, in Bergwerken, als Sexsklaven zu verelenden und zu sterben. Natürlich wurden mitsamt der Menschen auch deren Kunstgegenstände geraubt, das nenne ich mal eine unfreiwillige Migration von ganzen Ethnien und Kulturen. Was so an Raubkunst in unserer „Zivilisation“ in Museen und bei Privaten lagert, ist eine unglaubliche Schande. Frankreich macht gerade Anstalten, äs biz davon zurückzugeben. ALLES muss zurückgegeben werden, keine Frage! Auch von der Schweiz.

Jetzt möchten also die Menschen, die von unserer „Zivilisation“ ausgebeutet, missbraucht, verlacht wurden, zu uns kommen. Und jetzt sagen wenige hier: Das ist nur Recht so, denn man kann nicht einfach nehmen und nichts zurückgeben. Jetzt sind wir dran, und ob es uns passt oder nicht, die umgekehrte Migration ist sozusagen ein Zeichen der Zeit. Wir müssen die Türen öffnen und zwar weit und nicht dauernd Abzählreime machen: also so und soviele, dann ist Schluss. Ich kann mir nicht vorstellen, dass bei den damaligen Raubzügen unserer „zivilisierten“ Welt von Kontingenten gesprochen wurde, also: Wir versklaven dieses Jahr nur 10 000, und dann ist aber mal Schluss. Sicher nöd.

Und wenn nun die Blochers und Bünzlis (dazu gehöre ich ja auch dazu) stöhnen: Aber da müssen wir doch alles mit denen huch, teilen, dann sage ich, keine Angst: Wir sind ja immer noch frohgemut tourismusmässig zu denen unterwegs, fallen überall ein, um dort unten unsere Schnipos zu fressen. Wir holen uns ja weiter alles, was wir wollen von denen und machen dazu alles kaputt, was dort unten noch grünt oder lebt. Quasi als kleine ongoing Rache für die Gewissheit, dass wir hier die Migration nicht aufhalten können. Und nicht dürfen notabene, so mein Credo. Gäste, auch wenn sie hie und da lästig sind, heisst man willkommen, man teilt das, was man hat, mit ihnen. Und man fällt nicht hinterrücks mit dem Ferienflieger bei ihnen ein, weil man das ja irgendwie von viel früher noch im Hirn kleben hat. Dass wir hier und auch dort die Herrenmenschen sind. Da kann ich nur sagen: Vergesst es und zwar subito. Und dann könnt ihr meinetwegen unter dem Christbaum „Ihr Kindlein kommet“ singen, ohne vor Scham knallrot zu werden.

Foto: abfotografiert vom Compi, Quelle: Keystone, danke, es passt so schön!

www.marianneweissberg.ch

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Autor: Marianne Weissberg

Marianne Weissberg, studierte Historikerin/Anglistin, geboren in Zürich, aufgewachsen in Winterthur, ist ganz schön vollreif. Also eigentlich schon ewig da, was sie in ihren Knochen und im Hirn spürt. Lange Jahre verschlang das Lesepublikum ihre wegweisenden Artikel und Kolumnen in guten (und weniger guten) deutschsprachigen Zeitungen und Magazinen. Persönlichkeiten aus Film, Literatur und Musik wie etwa Robert Redford, Isabel Allende und Leonard Cohen redeten mit der Journalistin, die ganz Persönliches wissen wollte, und es auch erfuhr. Irgendwann kam sie selbst mit einer Geschlechter-Satire in die Headlines und begann in deren Nachwehen ihre zweite Karriere als Buchautorin. Auch hier blieb sie ihrer Spezialität treu: Krankhaft nachzugrübeln und unverblümt Stellung zu beziehen, bzw. aufzuschreiben, was sonst niemand laut sagt. Lieblingsthemen: Das heutige Leben und die Liebe, Männer und Frauen – und was sie (miteinander) anstellen in unseren Zeiten der Hektik und Unverbindlichkeit. Und wenn man es exakt ansieht, gilt immer noch, jedenfalls für sie: Das Private ist immer auch politisch – und umgekehrt.

Sonst noch? Marianne Weissberg lebt mitten in Züri. Wenn sie nicht Kolumnen oder Tagebuch schreibt, kocht sie alte Familienrezepte neu, betrachtet Reruns von „Sex and the City“, liest Bücher ihrer literarischen Idole (Erica Jong, Nora Ephron, Cynthia Heimel) oder träumt davon, wie es gewesen wäre, wenn sie nicht immer alles im richtigen Moment falsch gemacht hätte. Aber das wäre dann wieder so ein Thema für einen neuen Kult-Text.

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