Am Ende der Strasse habe ich Dich getroffen. Weit jenseits der letzten Häuserzeile, wo es keine Laternen mehr gibt. Nur noch verwachsene, laublose Bäume, an denen sich hin und wieder einer aufhängt oder aufgehängt wird.
Von den Logenbrüdern der Femegerichte der Finsternis.
Weil er gegen ungeschriebene Gesetze verstiess, die er nicht einmal kannte, Regeln verletzte, in die man ihn niemals eingeweiht hatte.
Im tiefsten Bauch einer Winternacht habe ich Dich getroffen, am Ende der Strasse, wo die Welt langsam zu verschwimmen beginnt, bevor sie schemenhafte Züge annimmt und zuletzt gänzlich zerfällt.
Wo allerlei verzweifelte Monster durch die Dunkelheit wandeln…
…Söhne und Töchter des Nichts.
Die Nebel der Melancholie haben uns damals schon umhüllt, bei jenem ersten Treffen. Da haben wir uns gegenseitig, mit Zeichen, mit Blicken, lautlose Versprechen gegeben, die niemals eingelöst werden können, haben zudem gar freundliche Worte gesprochen, die wir gewiss nie vergessen, die aber in unseren realen Leben keinerlei Widerhall finden werden.
Und, ja, wir haben wohl bereits Bescheid gewusst, haben die Fruchtlosigkeit unserer Gefühle, noch während sie in uns aufgestiegen sind, in eine Rechnung eingetragen, deren Resultat unter dem Strich Herzbruch ergab.
Und eine Zukunft ohne Glut.
So hast Du also plötzlich vor mir gestanden, in jener Kälte, die fast nicht zu ertragen war, im Wirkungskreis von Winden, die einem Menschen noch das Knochenmark tiefgefrieren können; tödlichen Winden, die Schnee vor sich hertreiben – und die Flocken fallen schliesslich endlos, lautlos, auf jenen Eisbelag, der das Ende der Strasse bedeckt.
Ich dachte: Das ist sie nun, das muss sie sein.
Jene, die mir vor Jahren versprochen worden ist, von der Hexe im Tal, die für mich jene Karten gelegt hat, welche wiederum – so sagt man – von der Zukunft berichten.
Kaum spürte ich die Kälte mehr, vor lauter Glück.
Ich fühlte mich vielmehr wie dieser Geiger, der leicht, einer Feder gleich, über die Dächer eines Schtetls ohne Namen hüpft, während er die schönste Melodie spielt, die sich ein Menschenkind nur erträumen kann.
Und dazu jene Worte singt, mit schamlos krächzender Stimme: “Azah fayneh froy vi zi/Brengt in hoyz nor harmonie/ ‘sleben is a symphony/Ayshes, chayil, miyimtsa!”
Dann hob ich ab, einer Sturmkrähe gleich.
Diese brennenden Augen, dieses Lächeln, diese unbändigen Locken, genau so bist Du mir von der Zauberfrau im Tal beschrieben worden, der ich damals – für ihr dunkles Werk – einen schönen Batzen sauer verdienten Geldes auf den Tisch legte.
Doch ich hätte wissen müssen, dass ihre Weissagungen nicht dieses, mein elendes Leben auf unserer Welt betreffen, sondern ein nächstes, das vielleicht in einer anderen, einer leichteren Sphäre stattfinden wird.
Zutiefst verwundet bin ich aus jener Winternacht ans fahle Tageslicht gekrochen. Mit einer Wunde, wie sie nur die Ekstase schlagen kann, im Verbund mit einem Versprechen, das niemals eingelöst werden soll.
Es ist eine Wunde, die keine Narbe zurücklässt, weil sie niemals heilt, die immer offen bleibt, stets klafft und blutet, so lange sich einer über diese alte Erde schleppen mag.
Eine Wunde, die – möglicherweise sogar über dieses Leben hinaus – das Gemüt noch lange umtreibt. In jenem Zwischenreich, wo die Seelen der Verlorenen ihren Heimathafen suchen.
Und nicht finden.
Am Ende der Strasse habe ich Dich getroffen. Und verloren. Weit jenseits der letzten Häuserzeile. Wo es keine Laternen mehr gibt. Nur noch verwachsene, laublose, leblose Bäume, an denen sich manchmal einer aufhängt.
Vielleicht weil er so müde geworden ist, zu müde für dieses Spiel, das er ohnehin nicht gewinnen würde.
Und die Flocken fallen endlos, lautlos. Auf jenen – ach so harten, ach so glatten – Eisbelag, der das Ende der Strasse bedeckt.