Der Duft der Kiefernnadeln kitzelt meine Nase. Englische Rosen und Lavendel und das leise Schaukeln der Hängematte lassen mich sanft in einen süßen Schlummer hinübergleiten. Ein dunkler Ahornstab, umschwirrt von gierigen Insekten, drängt sich zwischen meine Beine. Beflissene Hände, Münder kriechen aus der Erde, streicheln mich, küssen mich. Uh, nicht umsonst gibt es den Hashtag #gardenpleasures. Überhaupt werden Gärtner und Botanik schmählich unterschätzt!
Nehmen wir doch einfach mal die „Tafeln zur Blütenkunde. Eine Sammlung von Diagrammen und Längsschnitten der wichtigsten Blütentypen für den Unterricht auf höheren Lehranstalten“ von Oscar Lubarsch aus dem Jahre 1881. Lassen wir meine Vorliebe für disziplinarische Maßnahmen und strenge Schuldirektoren in Mädchenpensionaten ruhig einmal dahingestellt. Der Genuss einer systematischen Darstellung der Flora und ihrer Besonderheiten dürfte auch so den wenigsten verschlossen bleiben. Die Vielfalt der Blüten, ihre Ästhetik, der geheimnisvolle Aufbau reizen unsere Synapsen zu Analogien, die uns das Blut durch den Körper jagen.
NÜCHTERN, SACHLICH, KINKY!
Und dann noch die spröde wissenschaftliche Sprache! Der Kontrast zur Farbenpracht und blumigen Verspieltheit könnte nicht größer sein. Nüchtern und sachlich werden Anzahl, Anordnung und Verwachsung von Kelch-, Kron-, Staub- und Fruchtblättern beschrieben. Verkitschtes metaphorisches Geplänkel hat in der Blütenkunde nichts zu suchen. Ein waschechter Botaniker delektiert sich an Wörtern wie Bedecktsamern, Narbe und halbunterständigem Blütenboden. Mehr Kink findet sich wohl in keiner Wissenschaft!
VULVA INCOGNITA
Jetzt stellen wir uns einen gemeinhin der sexuellen Unlust verdächtigen Botaniker einmal da vor, wo er eigentlich hingehört, nämlich ins Schlafzimmer. Er wird nicht vom Trunk der Götter faseln und aus ihrer Auster schlürfen wollen. Nein, er nennt die Dinge beim Namen und macht sich sachkundig und präzise ans Werk. Er wird die Besonderheit ihrer Vulva erkennen, ohne die der weiblichen Spezies gemeinsamen baulichen Bestandteile zu vernachlässigen. Er weiß, dass der Blütenboden zum Fruchtblatt unterschiedliche Stellungen einnehmen kann und die Blütenbestandteile zur genauen Einordnung von außen nach innen freigelegt werden müssen. Detailversessen wie er ist, vergisst er auch nicht, sämtliche Pflanzenmerkmale zur Bestimmung der vor ihm thronenden Vulva incognita hinzuzuziehen. Wenn er dann die inneren, nur halb so langen Blütenblätter ihres Schneeglöckchens, das er natürlich Galanthus nennt, betupft und öffnet, können Sie nur hoffen, dass die Blütenpracht nicht morgen schon wieder vorbei sein wird!
VIKTORIANISCHE MÖSEN-KOMPARATISTIK
Wenn er dennoch ein weiteres Objekt unter die Lupe nehmen will, möge es ihnen ein Trost sein, dass ihr zauberhafter Galanthus in seiner Vulvenkunde figurieren wird. Mit seinem TK-9400 von Faber-Castell verewigt er ihre Vulva mit einer Hingabe und Präzision, dass Sie sich, verzückt von Ihrem Porträt, einer wissenschaftlichen Selbsterkundigung hingeben.
Es ist wirklich höchste Zeit, der Langsamkeit eine Chance zu geben! Wie wenig lustvoll ein Galopp durch die Betten ist, beweist uns Walters „Mein geheimes Leben“. Der Viktorianer vögelt über dreitausend Seiten, was das Zeug herhält. Langweiliger Fickstutenkonsum, dessen einziges Verdienst in der phantastischen Komparatistik reeller und fiktiver Mösen liegt. Walters voyeuristischer Buchhalterseele haben wir es jedoch zu verdanken, dass das weibliche Genital endlich mal ausführlich beschrieben, verglichen und statistisch erfasst wurde. Dass mir Walters libidinöses Fastfood nicht schmeckt, versteht sich von selbst. Bleibt dennoch zu würdigen, dass er genau hingesehen, en détail beschrieben und diese Beschreibung schließlich selbst wieder genossen hat, weswegen er wiederum Lust aufs Vögeln bekam, das er dann wieder beschreiben…
ERSTE ILLUSTRIERTE VULVENKUNDE
Nun gut! Stellen wir uns vor, unser Botaniker und Walter treffen sich und verfassen zusammen eine Vulvenkunde, die erstmals und auf einzigartige Weise die Mösen-Vielfalt beschreibt und illustriert. Quel plaisir! Endlich müssten wir nicht mehr auf normierte Pornomösen schauen oder in der Sauna unter die Handtücher lugen. Genüsslich könnten wir uns mit dem Vulven-Atlas vor den Kamin setzen und Überlegungen zu Physiognomie und Lust anstellen. Ein solches Kompendium wäre nicht nur ein köstliches Privatvergnügen, sondern auch lehrreiches Anschauungsmaterial für Hersteller von Erotikschmuck. Gibt es eine schönere Maîtresse als Madame Nature?