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Ich werde warten

Die Leitung war nicht besonders gut. Aber immerhin hatte es diesmal geklappt. Drei Tage lang hatte ich auf mein Telefon gestarrt und nichts war passiert. Nicht einmal der Schnee war nach Chur gekommen. Unterdessen hätte ich gerne von einer Schreibblockade gesprochen, mein Stipendium lief aus und ich hatte noch kein Wort geschrieben. Dafür stand in der Stadtschreiber-Wohnung ein Festnetz Telefon, das nie klingelte und jetzt war die Linie nach Bogota schlecht. Deine Stimme kratzte, klang weit weg und du schienst gelangweilt. Du warst jetzt so lange weg, dass wir uns nicht mehr viel zu sagen hatten. «Was geschrieben?», fragtest du und ich antwortete: «Natürlich nicht.»

«Solltest du nicht etwas schreiben?»

«Klar», sagte ich, aber das war zu wenig, als du dich daran hättest festhalten können. Die Dinge waren vermurkst. Zwischen uns. Ich hatte nicht verstanden, warum du nach Bogota wolltest. Nach Kolumbien. Sicher es war eine der höchsten gelegenen Städte auf der Erde. Und man sprach spanisch. Aber sonst? Du hattest von Medizin gesprochen, davon, du wollest eine bessere Ärztin werden und rätselhafterweise auch davon, dass dort das Leben «realer» sei. Dummerweise hatte ich nie genau nachgefragt, was du damit gemeint haben könntest.

«Die Leitung ist schlecht», sagtest du. «Hör’ mal», sagte ich und dann fiel mir nichts mehr ein. Drei Tage hatte ich gewartet und dann brachte ich kein Wort raus.

Nicht so schlimm, schienst du zu denken, die Anrufe waren so wieso teuer und als Assistenzärztin hattest du nur wenig Zeit. Mag sein, du warst zu recht sauer, immerhin hatte Bogota mehrere Universitäten, Theater und alles und nicht jeder von zehn Millionen Einwohner konnte ein mit Drogen handelnder Hinterwäldler sein.

In Chur hatte ich mich dagegen nie richtig eingelebt. Aufgrund eines unglücklichen Zufalls, der zugegebenermassen mit unserem Südamerika-Krach zusammenhing, war ich vor einem halben Jahr in der «Alpenstadt» Stadtschreiber geworden. Der russische Epiker und epische Säufer, der den Posten vor mir besetzt hatte, war überraschend abgereist und –ich muss es leider sagen – auch nicht ganz nüchtern sandte ich meine Unterlagen an einen Ausschuss in Chur und wurde, naja, Stadtschreiber, ohne zu wissen, was das denn sei. In Bogota – dritthöchste Stadt der Anden – konnte man über die Alpenstadt wohl nur lachen, aber die Höhe Churs war mit 580 Meter über Meer wohl zu gering, als das ein Südamerikaner wirklich getan hätte. Mit solch bescheuerten Details schlug ich mich herum, während ich auf dem Boden lag und an die Decke starrte.

In den ersten Wochen sprachen wir viel. Die Leitung war schlecht. Natürlich. Aber es störte uns nicht. Ein Festnetz-Telefon kam mir da noch wie eine gute Sache vor und nicht wie ein Ding, dass man anstarrte und wartete, wenn man mit dem Latein am Ende war. Du sagtest: «Du bist ein Stadtschreiber, schreib’ über die Stadt, das ist nicht schwierig.» So zog ich los und sah mich in Chur um. Das Tor des Bischofssitzes war immer geschlossen, etwas ausserhalb fand ich furchtbare Hochhäuser aus den siebziger Jahren und meine ehemalige Studienkollegin Erika war nie zu Hause, wenn ich bei ihr am Rande der Altstadt klingelte. Gute Sache, diese Altstadt fand die Stadtverwaltung, sie sei autofrei, aber wie an vielen Orten in der Ostschweiz wäre sie bald auch Laden- oder geschäftsfrei. Tja, es war ungerecht, aber damit war über Chur eigentlich alles gesagt.

Es war ein Rätsel. Du hattest mich im Gymnasium ausgesucht, es war das Geheimnis deines Herzens, warum deine grünen Augen auf mich gefallen waren, denn ich tat mich beim besten Willen nicht hervor. Pickel bereiteten mir Sorgen und sonst interessierte ich mich für mehr oder weniger abwegige Filme und ein bisschen für Fussball. Mein Klassenlehrer drohte mir regelmässig mit der Transferliste, aber ich schaffte es meist sehr, sehr knapp in der Mannschaft zu bleiben. Nicht, dass das etwas für das weitere Leben heissen sollte.

Als Jugendlicher fühlte ich mich schon wie der  alte Richter im Kieslowski-Film Rouge und irgendwie pflegte ich die feste, unverrückbare Überzeugung, dass Carole King, die grösste Künstlerin der Welt sei, obwohl nicht einmal mein Vater mehr genau wusste, warum er diese Platten in seiner Sammlung hatte. Einmal fragte ich dich, warum du am Schulfest ausgerechnet mit mir hattest tanzen wollen und meintest nur: «Du hast einfach einen guten Geschmack, was Musik angeht.» Aber ehrlich gesagt, kamen wir trotzdem ganz gut klar. Schwierige Phasen, wie die WG-Phase oder jene, als du gegen deine Eltern rebelliertest überstanden wir ohne grössere Probleme. Nicht einmal als wir eine Weile in verschiedenen Städten studierten, waren Zweifel entstanden.

Unterdessen hatte David Foster Wallace ein sehr dickes Buch über die Zeit und vor allem über Tennis geschrieben, während meine Erfolge sich dagegen in leicht überschaubaren Grenzen hielten. Da hattest du mehr vor, die Medizin nahm dich in Beschlag, die Welt wolltest und willst du verändern und eine Zeitlang wunderte ich mich jeden Morgen, dass du neben mir lagst und nicht auf einem Flüchtlingsschiff im Mittelmeer aufwachtest. Es ginge dir um Realität, wiederholtest du oft, mehr als einmal machte es dich bei der zweiten Flasche Wein mit Freunden zornig, wenn deren Realität nicht die deine war.

Es war meine Schuld. Nach einem komplett missratenen und schlecht geschriebenen Kurzfilm bekam ich einen Drehbuchauftrag vom Fernsehen. Zwar war es mir nicht besonders leicht gefallen, die multikulturell angehauchten Bio-Bergbauern jeweils an der richtigen Stelle in Gesang ausbrechen zu lassen, doch hatten wir zum ersten Mal seit einiger Zeit etwas mehr Geld und du dachtest daran, ein Sabbatical von der Klinik zu nehmen. Eine gute Sache, fand ich damals, inzwischen war mir deine Karriere etwas unheimlich geworden.

Das Telefon klingelte, aber du warst es nicht. Es war die Dame vom Literatur-Verein. Ich solle jetzt endlich eine Lesung geben, sie sei daran, etwas mit dem Buchladen zu organisieren. Sie werde mich auf dem Laufenden halten. Sie bat mich auch, etwas Gescheites für die lokale Zeitung zu schreiben. «Klar», versprach ich, da ich ihr schlecht sagen konnte, dass mein Laptop unbenutzt verstaubte und dass ich Mühe hatte, einen Kugelschreiber zu finden, wenn ich eine Einkaufsliste verfassen musste. Was soll’s, dachte ich, in einigen Wochen wäre das ganze Stadtschreiber Ding vorbei und ich wäre zurück in Bern, wo ich weiter auf mein I-Phone starren und auf deine Anrufe warten konnte, die nicht kamen.

«Wartest du?», fragtest du, vielmehr brülltest du. Die Leitung war schlecht und du warst weit weg. In Bogota. «Ich bin im Stadtgarten gewesen. Er war ein Friedhof früher.»

«Du solltest nicht warten.»

Ich musste etwas sagen, die Verbindung war zerbrechlich. Das elektrische Rauschen übertönte meinte fiebrigen Gedanken: «Es ist kein Schnee gekommen.» Du fragtest, ob ich einen Hirnschlag gehabt hätte. Ob ich besoffen sei? Du sagtest, du würdest deinen Einsatz vielleicht verlängern, du könntest noch mehr Erfahrungen sammeln. «Realität», sagtest du, dir käme in Bogota alles wirklicher vor.

Die Lesung in der Churer Altstadt war ein Debakel. Zuerst ging alles ganz gut. Ich las einige bewährte Kurzgeschichten, ein Auszug aus einem meiner nicht besonders erfolgreichen Bücher und die zwei Dutzend Anwesenden waren von meiner literarischen Kompetenz überzeugt. Ich hatte ein paar Gläser Wein getrunken, mein Kopf fühlte sich ziemlich leicht an. Es folgte nur noch ein kurzes Gespräch mit dem Publikum. Die Frage lautete, was ich geschrieben hätte in meinem halben Jahr hier.

Ich hätte irgendetwas sagen sollen, etwa, dass mich beschäftige, dass der Bischof hier gegen die Schwulen sei, er Abtreibung für Mord halte und das alles erst noch gerne an die grosse Glocke hänge. Dann wäre ich als kritischer Zeitgenosse durchgegangen. Selbst vom Flanieren im Stadtgarten hätte ich sprechen können. Aber nein. Ich antwortete, dass ich genau einen Satz geschrieben habe. Einen einzigen Satz. Diesen hätte ich mit einem Kugelschreiber auf einen Zettel geschrieben, den Zettel gefaltet und nach Bogota geschickt. In der lokalen Zeitung stand dann, dass es verwerflich sei, dass ich bei all dem Geld, das ich bekommen habe, meinem Publikum nicht einmal diesen einen Satz mitgeteilt hätte.

«Ich werde warten», hatte ich auf den Zettel geschrieben. Mehr war da nicht. Ein halbes Jahr warten in Chur, nur um noch mehr zu warten. Ein paar Tage wurde ich durch die Presse geschleift, galt als launischer, arbeitsscheuer Literatur-Opportunist, der mit 35 schon seine besten Tage hinter sich hatte. In der Alpenstadt hatten mich einige Leute in den Bars gesehen, so dass ich für manche Blätter als Warnung galt, was ein ungeregelter Alltag mit einen  anstellen konnte.

Du hattest meinen Zettel nie bekommen, hattest deine Koffer vorher schon gepackt und warst abgeflogen. Du sagtest, ich hätte dir sagen sollen, dass ich dich vermisst hätte, es sei dir komisch vorgekommen, dass ich nichts sagte, nichts schrieb und immer wenn du anriefst nie mit dir redete. Von meinem Zettel erzählte ich dir nie etwas, stattdessen erklärte ich dir, dass die Churer Bischöfe immer die Schlimmsten seien, dass sie immer dumme Sachen sagten. Das sei so, sagte ich.

«Die Bischöfe? Echt?», sagtest du und machtest dich für die Arbeit im Insel-Spital fertig.

Foto: Unsplash/Joshua Rawson-Harris

  

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Autor: Andy Strässle

Andy Strässle umarmt Bäume, mag Corinne Mauch und verleugnet seine Wurzeln: Kein Wunder, wenn man aus Blätzbums stammt. Würde gerne saufen können wie Hemingway, hat aber immerhin ein paar Essays über den Mann zu stande gebracht. Sein musikalischer Geschmack ist unaussprechlich, von Kunst versteht er auch nichts und letztlich gelingt es ihm immer seltener sich in die intellektuelle Pose zu werfen. Der innere Bankrott erscheint ihm als die feste Währung auf der das gegenwärtige Denken aufgebaut ist und darum erschreckt es ihn nicht als Journalist sein Geld zu verdienen.

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