Letzten Herbst hatte ich das Gefühl, jetzt fällt mir die Decke auf den Kopf. Die Tage wurden kürzer, ich fühlte mich unausgefüllt, alleine. Und das noch unfertige Manuskript meiner „Powergrazien“-Trilogie lag schon wochenlang unberührt auf dem Schreibtisch herum. Ich musste raus, raus aus dem Homeoffice, endlich eine kleine Büro-Familie haben, die man morgens begrüsst, abends sich von ihr verabschiedet, nach einem produktiven Arbeitstag. Kurz, ich wollte in einem echten Büro arbeiten. Nicht so einem, das zmitzt in meiner Wohnung liegt, von dem man nicht sagen kann: „Ich gehe jetzt ins Büro/ich bin jetzt im Büro/war das ein mühsamer/angenehmer Weg ins Büro.“ Halt die Sachen, die beweisen, dass man echt arbeitet. Also stöberte ich in einem Online-Stadtforum, sah unter Bürogemeinschaft/Co-Working nach und entdeckte ein vielversprechendes Inserat: Man suchte Bürogspänli für kreative Bürogemeinschaft, alles inklusive. Die Lage war zmitzt in der City, also vieeel besser als zmitzt in meiner Wohnung. Die Besichtigung war subito möglich. Ich spazierte dorthin, bewunderte den angenehmen Fussweg, die zentrale Lage, ähem vorne an einer nonstop befahrenen Durchgangsstrasse, hinten aber durchaus lauschig.
Ich war begeistert – sooo viele interessante Leute, soo ein schönes Büro – und zog umgehend an meinem luxuriös eingerichteten Arbeitsplatz, ich musste nur noch mein Notebook einstöpseln. Irgendwie war alles doch ein wenig unwirklich, wie kam es, dass ALLES da war, sogar die schon perfekt gespitzten Bleistifte, die schönen Bilder, die gebügelten Handtücher, all die Utensilien in der Küche, das ganze feine Mobiliar? Er habe dieses Büro-Gesamtpaket von einem berühmten Designer übernommen, erklärte der Büroscheff. Toll dachte ich, so ein Glück, auch für mich.
Anfangs war alles einfach wunderbar, ich konnte jetzt sagen, ich gehe ins Büro, abends schritt ich müde, aber zufrieden durch meine Siedlung und strahlte dieses: Ich war wo, wo es wichtig war, aus. Ich fühlte mich endlich zugehörig, sogar zu all den Rasanten, die mittags in der City die Esslokale stürmen, den gerade angesagten Fastfood in Plastikbehälterchen ins Büro zurückschleppen, um es da hinunterzuschlingen oder nur halb gegessen in den Bürokübel zu werfen. Mit denen, die, ständig das Phone vor der Nase, kreuz und quer meinen Arbeitsweg bevölkerten, weil sie unbedingt in ein Büro mussten, um das Wirtschaftswachstum zu erhöhen. Das hier war eben eine ganz andere Welt, nicht meine popelige kleine dihei, in der ich eifrig recycelte, nichts fortwarf, mich dauernd fragte: Was mache ich eigentlich Richtiges und Wichtiges? Und wenn ja, wieso merkt das niemand?
Nicht so Bürogspänli, nennen wir sie mal: Ego-Erika, sie zweifelte nicht an ihrer höheren Bestimmung, tippte wies Bisiwätter und referierte nonstop und sehr laut in ihr Telefonkonferenz-Mikrophon, mittags schritt sie zur Mikrowelle und erwärmte streng gewürzten Asia-Food. Ich hielt den Atem an und kaufte etwas perplex Ohropax. Und dann fragte ich den Scheff, ob es eigentlich gewisse Regeln gäbe, in seinem/diesem Gemeinschaftsbüro, um sich gut zu vertragen? Nö, alle machten, was sie wollten, sagte er. Besonders Erika, die sei halt so eine Willensstarke. Ich zuckte zusammen, weil ich merkte, dass es da schon eine firme Allianz gab. Zwischen einer, die das Gemeinschaftsbüro als Privatreich betrachtet, und einem, der sich willig der Büroleitstute unterwirft.
Solange alles noch so neu und aufregend war, ich davon angesteckt, sogar recht viel schrieb, war aber alles eben – noch neu und aufregend. So ein Gemeinschaftsbüro ist nämlich wie eine Beziehung. Aber keine, in der nur zwei mitmischen, es ist eher eine Menage à viele. Bei der die einen nie da sind, andere hie und da, einige nonstop. Letztere garantiert diejenigen, die man am wenigsten mag. Und in einer solchen Menage spielen alle ihre ganz bestimmte Rolle; so wie sie es halt sonst auch tun, zuhause, bloss ginge mich das dann nix an, im Büro schon. Ja, Sie merken es, der Lack blätterte, die Verliebtheit in mein luxuriöses, externes Büro verflog peu à peu. Was soll ich sagen, ich begann mich zu nerven, ob dem ungelüfteten Büro-Mief, der mir morgens entgegenschlug, den verjästen Aludosen/Kaffeekapselbergen. Den Hustenorgien meiner Gspänli, die krank ins Büro wankten und mich prompt ansteckten. Ich merkte, wie ich die anderen beobachtete, mich dabei beobachtete, wie ich beobachtete. Beides etwa gleich schlimm.
Ganz ähnlich erging es einem Freund, der ein halbes Jahr gemeinschaftlich arbeitete. Seine Gspänli waren allerdings sehr alternativ und pochten auf umfassendes Recycling. So stand ein sehr grosser Komposter für Bioabfälle bereit, allerdings nicht draussen, sondern zmitzt im Büro. Eine Ameisenautobahn führte zwischen den Tischen durch, und als mein Freund Büchsli mit Ameisengift aufstellte, wurde er als Mörder beschimpft. Als er an einem Sonntag ins Büro kam, verbarrikadierten Wäscheständer den Space. Man trockne am Kochende hier eben die grosse Familienwäsche, so die Auskunft. Ah so, er hielt ein halbes Jahr aus, den letzten Monat bezahlte er nur noch die Miete und blieb lieber daheim, wo nichts miefte, und er wieder tun durfte, was er wollte.
Back in mein Büro: Hier war nun die bereits Phase eingeläutet, wo man die unschönen Seiten der Partnerschaft bemerkt, anfängt, sich aus dem Weg zu gehen, aber das tunlichst verbergen möchte. Man überlegt krampfhaft: Bin ich selbst zu anspruchsvoll/ui, pingelig? Was könnte ich tun, dass alles doch noch besser wird? Soll ich morgens besonders nett grüssen? Soll ich heimlich eine Runde putzen und lüften? Einen Kuchen spendieren? Ja, ich gebs zu, ich hab einiges davon gemacht, logisch veränderte sich gaar nichts. Wieso auch, prinzipiell finden ja alle: ich bin okay so. Sollen sich doch die anderen mühen. Halt wie in einer serbelnden Beziehung. Irgendwann resigniert man dann und denkt: Wie komme ich da bloss so schnell wie möglich wieder raus?!
So beginnt also nun die Trennungsphase, man notlügt, wieso man leiderleider gehen müsse, dann leitet man die Scheidung ein, sprich kündigt. Klar, ich war betrübt, kein Arbeitsweg mehr, nicht mehr mit wichtiger Miene verkünden können, dass ich wahnsinnig viel arbeite, im Büro und doch, doch, alles soo interessante Leute dort. Doch dann merkte ich, wie beschwingt ich mich wieder auf den Weg machte, auf den Heimweg in mein Kihei notabene, wie herzlich ich meine Wohnung begrüsste, wie ich mich freute, bald wieder im Badmantel über dem Notebook am Esstisch hocken zu dürfen, mit verstrubbelter Frisur. Alles nur ich selbst um mich herum. Und dieser allumfassende Frieden! Bis ich mir dann irgendwann wieder selber auf die Nerven gehe und ich denke: Ich muss wieder mal raus, aber dann kann ich ja auch in ein Kafi oder in die Bibi sitzen, das Notebook aufklappen und wichtig tippen. So muss ich ja gar niemandem erzählen, dass ich mich kürzlich scheiden liess – von jenem madig gewordenen Gemeinschaftserleben, zmitzt in der City.
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Foto: Also besonders appetitlich sah es bei mir zum Schluss auch nicht mehr aus…