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Der Geist in der Flasche

Der alte Mann versuchte seiner Tochter zu schreiben, kam mit seinem I-Phone aber nicht klar, seine Flüche verhallten ungehört in seinem Atelier. Er würde seine Haushälterin bitten müssen, der Tochter kurz zu schreiben. Die Gegenstände auf seinem Tisch hatten sich schon verändert, seit Jahren malte er die Weinflasche, immer die Gleiche, manchmal mit einem Apfel, manchmal mit einer anderen Frucht, manchmal mit einem verrosteten Werkzeug. Und doch. Und doch, zum ersten Mal seit Jahren hatte er das Gefühl nicht alles gesehen zu haben. Nicht alles gemalt zu haben.
Der alte Mann hatte damit gerechnet, dass der Arzt keine guten Neuigkeiten haben würde. Aber das es so schnell gehen würde? Was ihm geblieben war, war die Routine. Die eiserne Disziplin. Er stellte sich vor die Staffelei, nahm mit dem Pinsel Mass und skizzierte die Umrisse des Apfels. Trotz der hohen Fenster fehlte es heute an Licht. Er verzichtete trotzdem auf elektrisches Licht, wollte versuchen mit den Schatten zu arbeiten, auch wenn das nicht leicht fiel, weil er die Brille oben im Haus liegengelassen hatte.
Seit Jahren war seine Arbeit als monoton und einfallslos kritisiert worden. Die Weinflasche, die verrosteten Werkzeuge, der Apfel, aber vor allem die Flasche. Aus einem grossen Maler sei im Alter ein Künstler geworden, dem nichts mehr einfiel.
Der alte Mann hatte zu erklären versucht. Vergeblich. Er hatte die Geheimnisse der Weinflasche oder des Schraubenziehers voller Rost nie ergründen können, es hatte nie gerreicht. Vor seiner Staffelei fragte er sich der alte Mann, wann die Geheimnisse gestorben waren, wer die Welt die Welt so ausgeleuchtet und erklärt hatte, dass eine alte leere Weinflasche keine Geschichte mehr in sich barg.

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Autor: Andy Strässle

Andy Strässle umarmt Bäume, mag Corinne Mauch und verleugnet seine Wurzeln: Kein Wunder, wenn man aus Blätzbums stammt. Würde gerne saufen können wie Hemingway, hat aber immerhin ein paar Essays über den Mann zu stande gebracht. Sein musikalischer Geschmack ist unaussprechlich, von Kunst versteht er auch nichts und letztlich gelingt es ihm immer seltener sich in die intellektuelle Pose zu werfen. Der innere Bankrott erscheint ihm als die feste Währung auf der das gegenwärtige Denken aufgebaut ist und darum erschreckt es ihn nicht als Journalist sein Geld zu verdienen.

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