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Langsam fahren wir nach Irgendwo-Nirgendwo

Wasser überall, lebendiges Wasser, bewegtes Wasser, bis zum Horizont, ein gigantisches bebendes Wesen – die mächtige Mutter Ozean.

Nun steige ich hinunter. Die Tritte meiner Schuhsolen regen die Metallwendeltreppe zum Vibrieren an, Perkussions-Einsätze des Alltags, ich betrete unsere Kabine.

Da sitzt Du, am Pult, neben dem Bett, vor Deinem Schreibblock, in den Du Gedichte schreibst, die derart himmelschreiend wahnsinnig sind, dass sogar der grösste Narr, denn ich kenne – ich selber nämlich – vor ihnen kapitulieren muss.

Aus deinen dunklen Augen schiesst Du mir zwei freundliche Blitze entgegen, nächtlicher Gewitterhimmel.

Ich liebe Gewitter.

Du trägst nicht viel Textil. Ein bauchfreies Totenkopf-T-Shirt sowie eine hautenge, metallisch glänzende himmelblaue Trainingshose, auf der Dein Name steht, in roten Leuchtlettern: «Taura». Dieser prangt direkt auf jenen unverwechselbaren, unzerstörbaren, unwiderstehlichen Rundungen Deines Hinterteils.

Jenen Pforten eines Tempels, den nur Eingeweihte betreten können.

Und ich bin ja immerhin ein Eingeweihter: Tempelmeister an den Altären der Absurdität.

Du beschallst unsere Kabine gerade mit Musik. Iggy Pop. New Values: «I wish life could be Swedish magazines…» Gitarrenfeuer: Scott Thurston und James Williamson.

Es ist später Nachmittag. Draussen brennt die Sonne gnadenlos aufs Deck unseres rostigen Passagierschiffs herab, das langsam nach Irgendwo-Nirgendwo fährt, sich seinen Weg durch die Fluten pflügt.

Wir sind hier, gemeinsam.

Das ist der einzige Sinn unserer Reise – und das ist genug, mehr als genug sogar.

Ich schliesse die Kabinentür hinter mir, vorsichtig.

Noch weiss keine Menschenseele aus unseren Bekanntenkreisen, dass wir zusammen unterwegs sind.

Da fragst Du plötzlich: «Kann ich etwas für Dich tun?»

Ich verriegle die Kabinentür.

Zweimal.

Ich lasse einige Zeit vergehen, bis ich Antwort gebe. Wir starren uns gegenseitig in die Augen, ohne Lidschläge. Die Musik beherrscht den Raum. Ich biete Dir wortlos eine Zigarette an. Du ziehst sie aus dem Päckchen. Ich gebe Feuer. Du ziehst den Rauch tief in Deine Lungenflügel hinunter. Unsere Augen lassen einander nicht los.

Dann sage ich: «Ja. Es würde mich freuen, wenn Du Dich ausziehen würdest. Langsam. Schliesslich bist Du die beste Stripperin, die ich je gesehen habe, Amateurin hin oder her. Dabei könnte ich Dich filmen. Wenn Du dann nackt bist, möchte ich Dich gerne fotografieren. Eine tabulose Session. Gleichsam wie für ein klebriges Sex-Magazin aus den späten 1970er-Jahren. Es wäre wunderbar, wenn Du dabei unsagbar heisse Stellungen einnehmen würdest, einige davon recht anstrengend, die ich Dir präzise beschreiben will, denn ich kenne mich mit solchen Dingen aus, wie Du weisst. Aber Achtung, das Ganze wird mindestens zwei Stunden dauern. Danach könnten wir es miteinander treiben, wenn Du das passend findest.»

Du lachst, Du streckst mir Deine Brüste entgegen, lässt sie ein wenig wackeln, einige kleine frivole Wackler, unter Deinem Totenkopf-T-Shirt.

Dann sagst Du – mit einem Lächeln: «Eine weitere private Porno-Vorstellung auf hoher See? Ausserordentlich gerne. Doch ich wünsche mir, dass Du mir Deine Anweisungen im gröbsten Kommando-Ton erteilst. Wie ein Piratenkapitän, der eine entführte Fürstin verführt, unter Verwendung der schmutzigsten Worte, die Dir in den Sinn kommen – diese Sprachregelung gilt natürlich auch für die Spiele, die wir nach der Fotosession treiben werden. Zudem möchte ich andere Musik als Soundtrack. Am liebsten Commodores, das fünfte Album! Das passt immer prima zu schmutzigen Spielen. Wirst Du die Ausbeute aufs Internet hoch laden?»

Ich: «Ja. Natürlich.»

Du: «Umso besser! Darf ich anfangen?»

Ich: «Ich bitte darum.»

«Squeeze the Fruit» von den «Commodores» dringt aus den kleinen Aktivboxen, die ich aus Graustadt mitgebracht habe, in den engen Kabinenraum.

Schon legst Du los.

Schliesslich hat es keinen Sinn, für eine bessere Welt nur zu beten.

Am nächsten Morgen lade ich den Film und die Fotos aufs Internet hoch, in aller Herrgottsfrühe.

Nun wissen alle, dass Du und ich zusammen reisen: Freunde, Verwandte, Arbeitskollegen. Sie freuen sich gewiss wie die Schneekönige darüber, dass wir ein bisschen von unserem Leben mit ihnen teilen.

Und das Schiff fährt weiter…

…umgeben von der mächtigen Mutter Ozean, fährt weiter, bis wir in Irgendwo-Nirgendwo ankommen werden. Eine Fahrt, die ewig und einen Tag dauern kann. Immerhin, unsere Kabine ist die schönste Kabine des Multiversums, wegen Dir natürlich.

Und meine Kommandos geben dieser Schönheit sozusagen den letzten Schliff, dies getraue ich mich noch zu denken. Bevor mir das Denken den Dienst versagt, mich verlässt und Richtung Süden zieht.

Gut so, nun hat meine Seele mehr Platz.

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Autor: Christian Platz

Lebt in Basel. Arbeitet überall. Reist recht viel. Vor allem nach Asien. Und in den Deep South der USA. Verdient sein Geld seit über einem Vierteljahrhundert mit Schreibarbeiten. Vorher hat er als Pfleger in einer Irrenanstalt gewirkt. Hat mehrere Bücher veröffentlicht. Spielt seit 40 Jahren fanatisch Gitarre, zwischendurch singt er auch noch dazu. Schreibt unter anderem für Kult. Ist manchmal gut aufgelegt. Manchmal schlecht. Meistens so mittel. Sammelt Bücher, CDs, Filme, Artefakte. In einem psychisch leicht auffälligen Ausmass. Verfügt, bezüglich der Dinge, die er sammelt, über ein lexikalisches Wissen. Platz ist einerseits ein Wanderer auf dem Pfad zur linken Hand. Andererseits Neofreudianer mit Waffenschein. Liebt Blues und Voodoo, Rock'n'Roll und die schwarze Göttin Kali. Trinkt gerne Single Malt Whisky aus Schottland. Raucht Kette. Ist bereits über 50 Jahre alt. Macht einstweilen weiter. Trotzdem wünscht er nichts sehnlicher herbei als die Apokalypse.

WARNHINWEIS:
Dieser Mann tritt manchmal als katholischer Geistlicher auf, stilecht, mit einem besonders steifen weissen Kragen am Collarhemd. Dies tut er in gänzlich irreführender Art und Weise und ohne jegliche kirchliche Legitimation. Schenken Sie ihm - um Gottes Willen - keinen Glauben. Lassen Sie sich nicht von ihm trauen, ölen oder beerdigen. Lassen Sie sich von ihm keinesfalls Ihre Beichte abnehmen. Geben Sie ihm lieber Ihr Geld.

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