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Zeit der Dürre

An diesem Ort. Niemand hatte gesagt, dass es gleich so heiss sein würde. Der Motor ihres Jeeps war röchelnd und stammelnd verreckt, sie hatte kurz vor ihren Notizen aufgesehen. Die Sonne liess die Luft tanzen, sie strich die Haare aus ihren Augen und ihr Fahrer versuchte, den Motor mit dem Choke wieder zu starten. Es half nicht viel. In seinen Blick hatte sich ein Schatten gelegt. Es war nicht ratsam stehenzubleiben, nicht im Grenzgebiet. Sie legte ihre Notizen weg, schaute durchs hintere Fenster, fragte sich, ob bei so viel Trockenheit überhaupt eine Staubwolke zu sehen sein würde. Sie fluchte den Fahrer auf Englisch an, aber der Motor soff nur ab. Sie wünschte, sie hätte besser zugehört, als er ihr seinen Namen gesagt hatte. Hiess er Ayaan, Axaan oder so ähnlich, beim besten Willen, sie wusste es nicht mehr.

Sie sagte irgendetwas mit Axo-irgendwas und meinte, sie würden wohl besser rennen müssen. Sie stopfte ihre Notizen in ihre Cargohose, sah auf den Rücksitz und suchte nach einer Knarre. Im Grenzgebiet Somalia ergab es keinen Sinn lange drumherumzureden. Kam nicht darauf an, ob es Kenianer oder Somali waren, die dir die Extremitäten abschnitten. Der Fahrer spürte ihre Furcht, verstand sie aber nicht, sehr wahrscheinlich hatte ihm aber niemand die UN-Berichte gegeben, die sie gelesen hatte. Er war nur ein Fahrer, der sie für ein Butterbrot zum Flüchtlingslager hätte bringen sollen.

-Warum tue ich das, fragte sich Ines und wusste nicht, ob sie dafür all die Jahre studiert, die Scheissprüfungen abgelegt und sich einen Namen gemacht hatte. In dem Moment wusste sie nicht, ob sie es einfach gemacht hatte, weil ihre Beziehung gescheitert war, der Chefarzt sie nicht befördert hatte und sie das Gefühl hatte, einfach nicht weiterzukommen. Sie hatte keine Ahnung von Knarren, hatte aber nachgelesen, dass es in jedem Fall gut sei abzuchecken, ob das Magazin drin und der Sicherungshebel umgelegt war.

Dank der Bemühungen von A-irgendwas war der Motor des Jeeps endgültig tot. Ines wusste nicht, wieviel Zeit sie noch hatten, doch irgendwer würde es mitbekommen, irgendwer würde auf Geiseln hoffen, im Osten Afrikas fand sich immer jemand, der ein Geschäft machen wollte. Sie nahm das Gewehr und drückte es dem Fahrer in die Hand, sie zeigte ihm den kleinen Sicherungshebel. Ines war Psychologin, aber sie machte sich nur noch wenige Illusionen, die Dinge waren wie sie waren. Nicht gut. Bürgerkriege und Wirren, Kindersoldaten, Hunger, Unsicherheit und Waffen aus der ganzen Welt führten zu einem Chaos.

-Wir werden rennen müssen, wie der Teufel! Der Typ konnte mit dem Gewehr nicht viel anfangen, nicht schwierig zu merken, offenbar hatten sie ihr als Fahrer den einzigen Typen mitgegeben, der mit Waffen nichts anfangen konnte. Sie steckte eine Pistole in den Hosenbund, die andere behielt sie in den Händen, sie mussten aus dem Jeep raus. Am Horizont war noch nichts zu sehen, aber Ines war nicht sicher, ob sie die Guerillas kommen sehen würden.

-Sie werden ein Video auf Youtube stellen. Ein Video davon, wie sie dir die Kehle durchschneiden. Sie sagte ihm, dass ihr Name «Ines» war, immer wieder sagte sie «Ines, Ines, Ines», sie hatte keine Ahnung wie alt er war, aber es war klar, er würde zu jung sterben, wenn ihr nicht bald etwas einfiel. Er hiess Ayaan, ein dreiteiliger Name, so wie es in Ostafrika üblich war, sie sprach es falsch aus, aber er lächelte. Sie versuchte auf ihrem I-Phone zu checken, wie weit sie von der kenianischen Grenze weg waren. Sie hasste den Gedanken an das Video, die Idee, dass Leute es aus Langeweile anschauen würden.

-Deine Patienten haben Scheisse gefressen, sie haben dir erzählt, dass sie Scheisse fressen, anderen haben dir erklärt, sie würden gerne mit der Mutter schlafen wollen. Nicht viel sei dir fremd, hattest du gemeint, nicht viel könnte dich nocht erschüttern. Aber der Liebeskummer hatte Ines erwischt. Der Machtkampf in der Klinik und ohne viel darüber nachzudenken, hatte sie ein Stipendium beantragt um die psychischen Auswirkungen eines Bürgerkrieges zu studieren und so war sie schliesslich in Dabaab gelandet.

Ihre Sicht auf psychologischen Druck hatte sich schnell verändert. In einer Welt ohne Skrupel. Den eigenen Penis essen müssen. Mit der Maschinenpistole am Kopf die Tochter vergewaltigen. Söhne, die ihre Schwester verstümmeln und auf den Müll werfen. Kinder mit Knarren. De Sade, Dante und vielleicht Zombie-Italiener Romero, harmlose Waisenknaben, die nur eine leise Ahnung von Horror oder vielmehr Psychoterror hatten.

-Warum habe ich das wissen wollen?, dachte Ines, sie wusste nicht, ob es cool war, aus dem Auto auszusteigen, doch sie mussten so viel Wasser als möglich mitnehmen. Sie würden rennen müssen, es wäre anstrengend. Sie versuchte ihn zu fragen, ob er gegessen hatte. Ayaan verstand sie nicht und sagte etwas melodiöses, die Sprache war schön, klang wie Gesang. Am Horizont flimmerte etwas, schwer zu sagen, was es war. Den Notruf hatten sie schon vor einer Weile abgesetzt, die Antwort war aber nicht durchgekommen.

Ines ging raus, sie packte die Wasserbeutel in die Rucksäcke, sie liess die hintere Klappe des Jeeps offenstehen. -Sie werden ein Video machen, dachte sie und hoffte, ihre Eltern würden nicht zahlen. Sie gab A-irgendwas den Rucksack, das Atmen in der Hitze fiel schwer und doch würden sie rennen müssen. Sie wusste, sie hätte sich früher darum kümmern müssen, sie war einfach enttäuscht gewesen. Sie zerrte den Fahrer aus der Jeeptür, zeigte ihm die verdorrten Bäume, meinte, dort müssen wir hin.

Sie tranken einen Schluck Wasser, sie glaubte, er hatte sie verstanden, sie rannten. Ines hätte fast gekotzt, es ging nicht lange gut. Der Hubschrauber kam aus dem Nichts. Nicht einer von den Guten. I -Zu spät, zu spät, wir hätten früher anfangen sollen zu rennen, dachte Ines und sie wusste, dass die Leute hier immer rannten. Ines wusste, sie würden nicht davon kommen. Es würde ein Video geben. Sie versuchte zu schiessen, sie traf nicht.

Die Sonne ging unter. Die internationale UN-Truppe fand einen leeren Jeep. In der Umgebung gab es keine Spuren eines Kampfes. Einige Patronenhülsen wurden sichergestellt. Der Kommissar für Somalia würde einen Bericht verfassen. Den Amerikanern und Europäern wäre es egal. Dieses Land hatte nicht einmal eine Börse. Ines’ Eltern weinten, als der Finger in der Post kam, sie hatten Lösegeld gezahlt. Aber da war ein Video gewesen. Die Polizei hatte gesagt. Es tat ihnen leid, hatten sie gesagt.

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Autor: Andy Strässle

Andy Strässle umarmt Bäume, mag Corinne Mauch und verleugnet seine Wurzeln: Kein Wunder, wenn man aus Blätzbums stammt. Würde gerne saufen können wie Hemingway, hat aber immerhin ein paar Essays über den Mann zu stande gebracht. Sein musikalischer Geschmack ist unaussprechlich, von Kunst versteht er auch nichts und letztlich gelingt es ihm immer seltener sich in die intellektuelle Pose zu werfen. Der innere Bankrott erscheint ihm als die feste Währung auf der das gegenwärtige Denken aufgebaut ist und darum erschreckt es ihn nicht als Journalist sein Geld zu verdienen.

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