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Der Liebesdoktor

Als Lisa anrief und sagte, sie müsse heute Abend länger arbeiten, starrte ich gerade auf die Bildschirme im Schneideraum und versuchte, nicht über die Computertastatur zu kotzen. Ich hatte ein Monster geschaffen. Stolz hatten die Bosse eine halbe Stunde vorher an einer Sitzung verkündet, es werde noch eine weitere Staffel von «Der Liebesdoktor» produziert werden können, und da es Interesse aus dem umliegenden Europa gebe, würden wir sogar drei Folgen mehr pro Saison liefern müssen. Es war mir vorgekommen, als drehe sich das Sitzungszimmer leicht, doch das konnte daran gelegen haben, dass ich vor dem Meeting auf der Terrasse einen Joint reingepfiffen hatte. Lisa hatte meiner Stimme nicht über den Weg getraut: «Du kannst dich doch nicht jedes Mal zukiffen, nur weil ihr eine Folge zusammenschneiden müsst.»

Etwa die Hälfte des Films, zwanzig Minuten Minuten, lagen im Rohschnitt vor, Editor Horst passte noch ein paar Übergänge an und würde dann seine Jacke vom Haken nehmen, um Feierabend zu machen. Wie alle Techniker beim Fernsehen war er dauernd unzufrieden mit der Qualität des Bildmaterials, mit dem Ton sowieso und egal, ob niedliche Pinguine, aussterbende Elefanten oder nie gesehene Filmaufnahmen von Schneeeulen als Rohmaterial vorgelegen hätten, er hätte die Bilder platt und inhaltlich leer empfunden.

Beim «Liebesdoktor» lag es nicht am Filmmaterial, dagegen war leider die kleine, charmante Idee die Geschichte von einem etwas tolpatischigen aber liebenswerten Arzt zu erzählen zu etwas ganz anderem geworden. Zu meiner Ehrenrettung konnte ich sagen, wenigstens hatte ich an dieser Folge nicht mitgeschrieben, zwar hatte ich sie produziert und war als Regisseur für ein paar Aussenaufnahmen eingesprungen, jede weitere Verantwortung lehnte ich ab, weshalb ich zu Lisa vorhin gesagt hatte: «Anders ist das Ganze nicht auszuhalten.» Sie sagte nur trocken, ich sei nicht der einzige, dessen Job ab und zu schwierig sei und meinte, sie müsse weitermachen.

Horst überspielte das heute geschnittene Material, ich sass neben ihm in der kleinen, schallisolierten Kabine und schrieb Lisa, dass ich sie vermisste. Der Cutter sagte zynisch: «Die oben sind zufrieden, was?» Das Filmmaterial lief während des Speicherns auf dem dritten Bildschirm schneller durch und die Fratze des «Doktors» geisterte schattenhaft dämonisch über den Schirm. Nach zehn Folgen hatte das Management des Schauspielers mehr Close Ups gefordert und der Mime selbst war zur Einsicht gelangt, es entspreche seinem Charakter besser, wenn er beim Publikum mehr als «Frauenheld» ankomme. So war aus dem tolpatschigen Frauenversteher und talentiertem Mediziner, der in den ersten zehn Folgen Pech in der Liebe hatte, dafür aber Menschenleben rettete, ein notgeiler, arroganter Arsch geworden, dem niemand, der auf drei zählen konnte auch nur die medizinische Behandlung seines Hundes anvertrauen würde.

Im Fernsehgeschäft waren die Bosse immer die «oben». Die «oben» labberten gerne über Qualität, über Mehrwert für den Zuschauenden, über einen Bildungsanspruch und davon, dass die Produktionen Herz, Herzblut haben müssten, um anzukommen, verstanden zu werden. Die «oben» waren oben, weil diejenigen, die die Filme drehten immer untendran in den untereren Stockwerken schufteten, um etwas zu produzieren, was die oben dann kritisieren konnten.

Als Typ, der einige komplett unbrauchbare Kunstfilme geschrieben, gedreht und bezahlt hatte, verstand ich von Herzblut mehr als mir lieb war: Denn daran hatte es nie gefehlt. Lisa hatte die ersten Drehbücher des «Doktors» gelesen und mich unnachgiebig damit aufgezogen, dass ihr die amourösen Missgeschicke bekannt vorkämen und behauptete, die kleinen amourösen Unglücke seien kein Runnig Gag, sondern biografisch. Auf jeden Fall hatte das Studio zunächst kein Vertrauen in das Projekt gehabt, ich hatte schon gespürt, wie mein letzter Strohhalm nachgab und hoffte nur, dass ich nicht bald schon wieder Pizza ausliefern müsste, um einigermassen über die Runden zu kommen. Als japanische oder chinesische Investoren auf den Plan traten, bewilligte die obere Etage zehn Folgen, vielleicht weil die Investoren meinten, etwas mit Ärzten geht doch immer.

So schrieb ich die Drehbücher und die oben gaben mir freie Hand, sie hatten wohl alle Hände voll damit zu tun sich gegenseitig wegen des Asien-Deals auf die Schultern zu klopfen. So war der Liebesdoktor in den ersten Filmen das Gegenteil gewesen. Ein Arzt, der den Krankenschwestern gute Tipps geben konnte, wie der Hase in der Liebe lief, selbst aber einen Hasen nicht erkannt hätte, wenn er auf seinem Bettrand hockte.

Horst sah mich nur müde an, er kannte die Geschichten alle und kannte sie von vielen Filmemachern wie mir: Das Studio nahm dein Projekt und verhunzte es, bis du es nicht mehr erkennen kannst, so bald deine Filme nur ein bisschen Erfolg haben. Und Horsts resignierter Blick machte deutlich, wir idealistischen Trottel würden nie eine Ahnung haben, wie man einen erträglichen Film machte. Von einem «guten» Film zu sprechen, hätte Horst umgebracht und noch nie hattee ihn jemand die Worte aussprechen gehört. Bergmann, Fellini, Kieslowski, Scorsese, mit denen musste man ihm nicht kommen und wenn du den Namen Rivette oder denjenigen eines anderen französischen Regisseurs erwähntest, wurde ihm sofort schlecht und er murmelte still: «Zufall, alles Zufall.»

Naja, vielleicht konnte man selbst etwas, was man gerne und gut macht, zu lange und zu viel tun. Technisch konntest du nichts gegen den «Liebesdoktor» sagen: Die Bilder liefen flüssig ab, die Einstellungen besassen Hintergrundschärfe, wo nötig, verschwammen dramatisch, wo es passte und für unbearbeitetes Rohmaterial war der Ton erstaunlich klar. Der Crew, dem Regisseur konnte nicht einmal Horst ernsthaft einen Vorwurf  machen. Wie immer, wenn in der Filmwelt etwas ein bisschen Erfolg hatte, wurden die Dinge schnell kompliziert, um nicht zu sagen, es ging schnell und steil bergab. Und die oben machten es natürlich nicht einfacher. Ich starrte auf das eingefrorene, leicht verzerrte Bild von Adrian als der Computer den letzten Frame des bisher geschnittenen Materials erreicht hatte.

Wir hatten früher viel Pizza ausgeliefert, der «Liebesdoktor» und ich, immer den billigen Mist und immer irgendwo in eine entlegene Ecke von München. Damals hatte ich immer ein bisschen zu Adrian aufgesehen: Immerhin hatte er einen Agenten, während ich nicht einmal mehr Lisa so richtig für meine Drehbücher oder Projekte begeistern konnte, was ich ihr weder vorwerfen konnte, noch wollte, denn nächtelang hatte sie meinen Plänen gelauscht, mit mir Dialoge getestet und war tagelang auf meinen Sets rumgesessen und hatte aus ihrer Tasche meiner Crew Kaffee und Sandwiches bezahlt.

Es war toll gewesen, Adrian als Leidensgenossen für eine Rolle besetzen zu können, wir hatten das Geld für die ersten zehn Filme vom Studio bekommen und konnten den Pizzen erst einmal ein herzhaftes «Arrividerci» zu rufen. Anfangs hatte er die Rolle verstanden, die Idee, er mochte es, dass der Doktor nicht nur gut doktern konnte, sondern auch Frauen gut verstand, aber wenn es um ihn selbst ging, ein kompletter Depp war. Ein «Idiot Savant» nicht gerade ein neues Muster in der Fernsehgeschichte, dafür bewährt, und es hatte mir erstmals gereicht, um die Miete zu bezahlen und mit Lisa in ein Lokal essen zu gehen, das einen Weinkeller besass.

Die Geschichte mit den Close Ups war normal, jeder Schauspieler wollte mehr Close Ups. Nicht jeder bekam sie. Aber Adrian hatte ja seinen Agenten, den ich mittlerweile zu tiefst hasste. Kaum war der Doc in der Serie etabliert und kaum wäre es zu schwierig und zu teuer geworden, den titelgebenden Star aus den Filmen rauszuschreiben, weil das Publikum an ihm hing, hatten seine Forderungen begonnen, am Ende verlangten Adrian und sein Agent sogar das Skript vom Studio etwas früher und redeten noch ins sinnloseste Detail rein. Nichts gewesen, mit Bergmann und Fellini, obwohl ich den Doktor erfunden hatte, interessierte sich niemand für meine Meinung und der Doktor wurde einfach immer schlimmer und immer seltsamer. Hauptsache die Einschaltquote stimmte.

Auf jeden Fall war ich im Geschäft und musste mir am Morgen keine Kohle für einen Burger und etwas Bier geben lassen, bevor sie arbeiten ging. Nie ein Problem, Lisa glaubte an Kreativität, mochte mich, übersah meine Erfolglosigkeit und erklärte, obwohl es mich in den Wahnsinn trieb: «Es muss Leute geben, die das Unmögliche, das Vergebliche versuchen, eine Welt ohne Don Quijote wäre sinnlos.» Klar, Lisa verstand schon etwas von Literatur, aber warum musste sie mich ausgerechnet mit einem der grössten Wahnsinnigen der Weltliteratur vergleichen. Beinahe über Nacht war aus mir, als einem Typen mit «Projekten», die entweder unbezahlbar oder erfolglos waren, ein Fernsehmensch geworden. Klar, für die oben war ich immer noch mit dem Makel des Schreibers behaftet, also jemandem, der mehr Ideen hat als für ihn und vor allem fürs Geschäft gut sein kann.

Horst nahm die Jacke vom Haken, er hatte das Filmmaterial in die entsprechenden Ordner gespeichert, diesenj einen Namen gegeben, so dass automatisch einen Back Up gespeichert wurde, verständlich, denn die da oben wollten nicht das ganze Material verlieren, nur weil auf ihren Servern alle Ordner «Ordner 1» hiessen und falsch oder gar nicht abgelegt worden waren. Die letzte Sequenz, die er in die gefühllos betitelte Datei «LD 23» abgelegt hatte, war etwas schwierig gewesen. Es lag aber nicht am Doc.

Der Doktor stieg gerade aus seiner schwarzen Luxuskarrosse (gesponsert), überraschenderweise hatte er sich diese plötzlich in Folge sechzehn zugelegt, eine Routineaufanhme wurde durch die Bezahlung zu einer wichtigen Einstellung und irgendwo musste da noch eine Sonnenbrille (gesponsert) mit drauf, doch den Take hatten wir noch nicht gefunden und drum hatten wir Feierabend gemacht. «Praktikantenjob», hatte Horst gemurmelt. Praktikantenjob hiess nichts anderes, als dass man die gesponserten Eisntellungen raussuchen musste.

Zwar waren meine Drehbücher nie erfolgreich gewesen, so dass ich die Probleme mit bezahlten Aufnahmen ehrlich gesagt nicht so gut kannte. Mir fehlten die Erfahrungen, etwa, diejenige, dass man die oben tatsächlich davon überzeugen musste, dass ein Chirurg kaum mit Sonnenbrille operieren könne. So schrieben wir regelmässig nachträglich Szenen in die einzelnen Folgen hinein, in denen der Darsteller bedeutungsvoll und elegant sein Jackett (gesponsert) auf den Rücksitz des Kabrios schmeissen musste. Nicht einmal im schlechtesten Drehbuchkurs bekäme man eine solche Szene durch, da sie schlicht Zeitverschwendung war, doch «Product Placement» half Kameras, Kabel und Löhne zu bezahlen und trotzdem hasste es jeder, der damit zu tun hatte.

Gesponserte Einstellungen waren wie Scherben auf dem Spielplatz, Drogen auf dem Pausenhof, niemand kam damit klar, aber ganz weg brachte man sie einfach nicht. Nicht einmal die Sponsoren selbst hatten Freude daran. So viel Geld und dann siehst du den fetten Schlitten nicht richtig oder der Liebesdoktor zieht das gesponserte Jackett gleich wieder aus, weil er ja schlecht im Anzug im Krankenhaus Dienst leisten konnte. «Oh, der BMW», hatte Horst gemurmelt, der das Auto zufällig beim Schnelldurchlauf erspäht hatte. Er schrieb den Timecode heraus, nickte und murmelte mit einer von düsteren Vorahnungen geschwängerten Stimme: «Bis Morgen» und war weg.

Lisa war erst spät nach Hause gekommen und hatte keine Energie mehr gehabt, um viel zu reden, sie wolle unter die Dusche und dann ins Bett. Im Gegensatz zum «Liebesdoktor»  hatte sie als Assistenzärztin nach ihren Diensten keine Lust mehr auf einen flotten Ritt im Kabrio oder die Energie für einen Streit in der Weinbar, sie wohnte auch nicht in einem Loft, der direkt in die Wohnung fuhr und eilte auf dem Heimweg noch an eine Vernissage um möglichst die Galeristin flachzulegen. Der Eindruck täuscht nicht: Aus dem «Liebesdoktor» war nach zwanzig Folgen definitiv der Pornodoc geworden. Egal, Lisa wollte es  nicht mehr hören und ich brachte den Spruch auch nicht mehr über die Lippen.

Horst und ich hatten die Sequenzen aufgeteilt, um schneller fertigzuwerden, selbstverständlich hatte ich alles mit dem Kabrio bekommen, aber die Bilder zusammenzuschneiden,  war besser als einfach als Produzent im Sessel zu hocken und erneut zu erleiden, was der Doc da wieder machte. Da ich das Skript gelesen und an den Konferenzen mit denen da oben gewesen war, wusste ich so oder so ziemlich genau, was der Typ machen würde. Wir steuerten auf den Höhepunkt der Staffel zu und er versuchte eine Affäre mit einer «netten», aber harmlosen Krankenschwester und einer etwas weniger netten Galeristin auszubalancieren. Als Autoren hatten wir den Versuch aufgegeben, ihn nach etwas wie der wahren Liebe suchen zu lassen oder auch nur den Schein zu wahren. Da die Einschaltquoten stiegen, störte das weiter niemanden. Man konnte das gut rationalisieren: Er war einfach lebensfreudig, der gute Doc. Dass es bei seinem Frauenverschleiss in den letzten Folgen ähnlich romantisch gewesen wäre, wenn er russische Nutten gevögelt hätte , störte offensichtlich niemanden und die Finanzleute in Asien schauten vor allem dafür, dass die Kasse stimmte und vielleicht störte sie es nicht weiter, wenn das Deutsche Publikum diesen Schrott ansehen musste.

Lisa rauchte vor dem Studio eine Zigarette und wartete. Ich hatte gedacht, sie würde am Abend länger arbeiten und hatte mich mit Horst zum Biertrinken verabredet. Im Biergarten unter den Platanen fragte Horst, ein Hypochonder der ersten Stunde auf der Suche nach Gratis-Tipps, Lisa über allerlei Krankheiten aus, aber selbst nach dem dritten Mass und einigen Joints hinter einer Hecke, blieb sie überraschend still, obwohl sie normalerweise nach Bier und Hasch Kicheranfälle und Hunger bekam. Vielleicht hätte ich es merken sollen, als sie nicht nach Hause gehen wollte. Noch einen, sagte sie, noch einen, obwohl sie kaum mehr das schwere Glas zu halten vermochte. Später verfrachtete ich sie in ein Taxi und sie murmelte sie hätte morgen frei genommen. Sie habe sich freigenommen und sie wolle mich verlassen, sie würde morgen ausziehen.

Die dritte Staffel war in Planung, ich schrieb den letzten Dreck in meine Drehbücher und spürte es nicht, selbst dass ich nun selbst in einem modischen, viel zu teuren Loft wohnte, kümmerte mich nicht weiter. Die Erinnerungen in unserer alten, aber gemütlichen Studentenbude waren schlicht zu viel geworden. Der Liebesdoktor hatte unterdessen die Chefärztin geschwängert, was ihn aber weiter nicht daran hinderte, mit wechselnden Luxuskarrossen jedem Rock hinterherzukurven. Regie hatte ich nie mehr geführt, den Anblick von Adrian und seinem Agenten ertrug ich nicht mehr, dafür schrieb ich einen Storybogen, der direkt in den Wahnsinn führte.

Der Doktor soff, vögelte, machte schleimige Sprüche und würde bald sein eigenes krankes Gehirn operieren müssen. Die Chefetage war begeistert, während ich viel mehr mit Horst herumsoff, als ich das hätte tun sollen. Im Studio glaubte niemand, dass es noch schlimmer kommen könnte und doch geht es immer schlimmer und wenn der Absturz einmal begonnen hat, gibt es nur einen Weg: noch weiter runter.

Die Sitzung mit denen da «oben» war länger gegangen und ausnahmsweise hatte ich drei Joints geraucht, zufrieden mit der schlagartigen Zunahme von Hirnoperationen und damit, dass der Liebesdoktor reihenweise andere Ärzte operierte, sie damit von bislang unheilbaren Krankheiten und Tumoren befreite, forderten sie jetzt für die Storyline in der vierten Staffel mehr Dramatik. Ein Mord könnte eine gute Idee sein, der Liebesdoktor könnte neben seinen zahlreichen Affären, den Operationen und der Vaterschaft ja gleich noch einen Kriminalfall aufklären. Zufriedenheit am Sitzungstisch. Die Bürofürze nickten sich zu, sie waren zufrieden. Als kleiner Kreativer am Tisch, der zuviel und zulange studiert hatte, dafür zu wenig von den Leiden des Managements und noch weniger von der Notwendigkeit der Optimierung des Profits verstand, blieb nicht viel, ausser die Klappe zu halten.

Jedes Drehbuch würde drei bürokratische Stationen überwinden müssen,  deshalb war der Kreativität von denen da «oben» keine Grenzen gesetzt, sie würden einfach einen anderen Drehbuchautor anheuern, der den Mord in die nächste Staffel hineinschrieb. Ich schwankte leicht auf dem Gehsteig vor dem Studio, nicht nur, weil während der Sitzung ein Teil meines Gehirns abgestorben war, sondern wegen des letzten Joints, den ich auf dem Balkon reingezogen hatte. In der Abendsonne glitzerten die fetten Schlitten, oben genehmigten sich die Bosse noch einen feinen Scotch und gratulierten sich zu ihrer Kreativität.

Autofahrten, Operationen, die Geburt seines Kindes, der Liebesdoktor hatte alle Hände voll zu tun, was die Jagd auf Verbrechen anging, war Sherlock Holmes gegen den Chirurgen ein Waisenknabe. Im Schneideraum blieb Horst weiterhin schlechtgelaunt und hoffte vergeblich, endlich einem anderen Projekt zu geteilt zu werden. Noch immer verstand ich nicht genau, warum mich Lisa so abrupt verlassen hatte. Jahrelang hatte sie mich unterstützt und selbst an meine schrägsten und unfinanzbarsten Projekte geglaubt und war doch plötztlich weg gewesen. Obwohl ich sie ab und zu nach Mitternacht nicht immer nüchtern anrief, sagte sie mir nur trocken, sie habe «eine Pause» gebraucht. So richtig konnte ich die Drehbücher nicht mehr auseinanderhalten, dennoch war nicht schwierig vorauszusehen, dass wir mit der Verbrecherjagd den Karren überladen hatten. Kurz nach der ersten Schiesserei vor dem Krankenhaus – eine Unterweltsabrechnung – begannen die Einschaltquoten zu fallen und mittlerweile grüssten mich die Bosse auf dem Flur nicht mehr.

Wäre ich ein so toller Detektiv wie der Doktor gewesen, so hätte ich früher rausgefunden, was ich mit Lisa falsch gemacht hatte, oder mindestens hätte ich mir selbst eine Glücks-Pille gegen Liebeskummer verschreiben können oder im Härtefall hätte ich mir einfach das eigene Gehirn operiert und alles wäre in Ordnung gewesen. Na gut, wäre ich der Doktor gewesen, so hätte ich eher Viagra oder eine andere Donnerpille gebraucht, um meine zahllosen Geliebten bei Laune halten zu können.

Doch diese Geschichte endet einfach: Der Liebesdoktor wurde abgesetzt, ich bekam einen Schreibjob beim «Hafenkrankenhaus», an dem offensichtlich nicht nur Sexsüchtige arbeiteten. Der Liebesdoktor dagegen schien sich überschätzt zu haben. Während Adrian mir vor etwas mehr als einem Jahr Lisa ausgespannt hatte, schien er sie die ganze Zeit betrogen zu haben, als Schauspieler versuchte er im Kino Fuss zu fassen, was ihm wahrscheinlich gelingen würde. Am Ende war es eine weinende, verletzte Lisa, die mich fragte, ob ich mich an die zweite Folge erinnern würde, es sei die gewesen, als seine Freundin den Doktor verlassen habe, weil er zu viel arbeite und zu viel mit anderen Frauen spreche, die Freundin habe das Beste gewollt und nicht gewollt, dass er unglücklich sei, schliesslich müsse er fit sein, um seinen Patienten zu helfen.

Lisa sagte, sie hätte es besser wissen müssen, aber sie sei auf Adrian reingefallen, weil er eine Rolle gespielt hatte, «spielen wir nicht alle eine Rolle?», fragte sie mit grossen, braunen Augen, die ich noch immer liebte. Es half mir wenig, dass sie mir als Medizinerin sagte, dass Adrian ihr immer wieder ärztliche Tipps gegeben habe, Tipps bei denen sie manchmal mit mir im Zimmer gewesen war, als ich das medizinische Problem gegoogelt hatte und sie nachher gefragt hatte, ob ich es richtig verstanden hatte und es so schreiben könne.

Es half wenig, dass ich das Drehbuch für ihre Affäre geschrieben und darüberhinaus gleich auch noch den Hauptdarsteller engagiert hatte. Es half wenig, dass Adrian sie schlecht behandelt und ich ihr das im Vorneherein hätte sagen können. Es half wenig. Wir hatten einander verloren. An den Liebesdoktor.

Foto: Jesse Orrico/Unsplash

      

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Autor: Andy Strässle

Andy Strässle umarmt Bäume, mag Corinne Mauch und verleugnet seine Wurzeln: Kein Wunder, wenn man aus Blätzbums stammt. Würde gerne saufen können wie Hemingway, hat aber immerhin ein paar Essays über den Mann zu stande gebracht. Sein musikalischer Geschmack ist unaussprechlich, von Kunst versteht er auch nichts und letztlich gelingt es ihm immer seltener sich in die intellektuelle Pose zu werfen. Der innere Bankrott erscheint ihm als die feste Währung auf der das gegenwärtige Denken aufgebaut ist und darum erschreckt es ihn nicht als Journalist sein Geld zu verdienen.

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