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High mit Videospielen

Versteckt hinter einem Felsen liegen, unten auf der Strasse haben die bösen «Preggies» den Ortseinfahrt neben der Kirche mit einem Bus blockiert, vom Hügel aus gelingt es aber nicht, die religiösen Weltuntergangsfanatiker zu erschiessen, drum runter und es zuerst einmal mit dem Baselballschläger und der Maschinenpistole versuchen, gerade als ich jeden rund um den Bus flachgelegt hatte, vibrierte mein Telefon auf diese penetrante Art, die verlangte: «Geh’ ran, geh’ ran».

Natürlich nahm ich nicht ab, sondern ging in eine virtuelle Bar, in der mir die Bardame erzählte, die Weltuntergangsfanatiker hätten schon den ganzen Ort im Griff, sie sagte, dass die Typen brutale Tyrannen waren und das ganze Städtchen in Angst und Schrecken versetzen würden. Zusammen mit einem verlausten, wolfsähnlichen Hund, arbeitete ich als Hilfssheriff und war die letzte Hoffnung der nichtreligiösen Einwohner. Der Apparat auf dem Couchtisch rüttelte und schüttelte schon wieder.

«Hör’ mal, ich hab’ besseres zu tun!», sagte ich zu Adrian. Mein literarischer Agent war unterdessen der einzige, der mich noch anrief, vor allem der Anruf von Carla auf den ich eigentlich hoffte, kam einfach nicht, kein Wunder hatte ich sie doch einige Male nach Mitternacht angerufen und gut möglich, dass ich dabei nicht ganz nüchtern versucht hatte, sie zu überreden, ihren neuen Freund zu verlassen. Schwer fiel es ihr nicht, mich zu durchschauen, sie sagte ruhig und kalt: «Du hast dir keine Mühe gegeben, wir hatten keine Zukunft mehr und nun bist du beleidigt, weil ich einen anderen habe.»

Natürlich versuchte ich über die «Zukunft» zu diskutieren und darüber, dass man schliesslich in der «Gegenwart» leben müsse, nicht wahr?, doch sie wünschte mir nur eine «gute Nacht» und unterbrach die Verbindung. Soviel zum Leben im «hier und jetzt», weitere Anrufe nahm Carla dann nicht mehr an. OK, ab und zu riefen noch unterbezahlte Spinner an, die mir eine neue Krankenkasse oder sonst irgendeinen Kram schmackhaft machen wollten.

«Hast du schon das Neueste gehört?» Adrian begann diese Gespräche immer mit irgendwelchem Klatsch aus der Kulturszene der kleinen Stadt und Neuigkeiten aus dem «literarischen Betrieb», während ich mir vorstellte, wie er schnittig modisch gekleidet, mit perfekter Frisur sich in seinem Bürostuhl zurücklehnte, erklärte er mir, dass der vielsprechende Schrifsteller bereits über seinem nächsten Werk sässe, wie er vom Verlag gehört hatte, sogar der Arbeitstitel sei bekannt, das neue Buch hiesse «Das Dudelsackatelier» und es drehe sich um einen jungen, talentierten Hirnchirurgen, der der Liebe wegen seine Karriere aufgebe und seiner Liebe nach Schottland folge.

Mehr beschäftigt kurz darüber nachzudenken wie hirntötend doch diese Ego-Shooter waren, hörte ich nicht diszipliniert zu. Klar, die Games waren sehr, sehr gut gemacht, so sah «Hope Falls» im entlegenen Montana mit seinen Wassertürmen und der detailverliebten Main Street toll aus, eine fast perfekte Illusion, selbst die Video-Menschen wirkten und bewegten sich menschlicher als je zuvor. Zugegeben ich war nicht auf dem neuesten Stand, vielleicht sah die nächste Generation der Videokreaturen noch menschlicher aus. Auch die Stories des Games waren sorgfältig ausgearbeitet, auch wenn der Name «gefallene Hoffnung»  für eine Stadt vielleicht ein wenig dick aufgetragen war, selbst wenn sie im mittleren Westen lag.

«Es gibt eine Überraschung», sagte Adrian mit aufgeregter Stimme: «Die Liebe des Chirurgen ist ein Typ, verstehst du? Ein Typ!» Natürlich versuchte er jetzt rauszufinden, ob ich wisse – er druckste ein bisschen herum, weil er nicht wusste, wie er politisch korrekt fragen sollte – ob der vielversprechende Schriftsteller schwul sei. Ich liess ihn «äh» und «ah» machen und überlegte, ob mein eigenes Gehirn vom vielen Gamen nicht doch teilweise abgestumpft oder gar ins Koma gefallen war. Da hetzte ich Knarre im Anschlag stundenlang hinter diesem grauen Hund hinterher, versuchte, allerlei Zeug zu finden, um noch besser bewaffnet zu sein, um dann hinter einem Schuppen oder eben Felsen hervorzustürmen und alle abzuballern, die im Weg standen.

«Ihr wart doch in Montreux zusammen, weisst du ob er äh, oh, homosexuell ist?»

Homosexualität hätte dem vielversprechenden Schriftsteller wenigstens etwas Farbe verliehen, aber wie er verschämt auf der Heimreise erzählt hatte, hatte eine Dame am Kolloquium sein Herz gebrochen.

Es gab keinen Grund das Adrian brühwarm aufzutischen, ich sagte nur: «Der Typ ist ein Langweiler, so ein Kulturfuzzi, woher sollte ich jetzt eine Ahnung von diesen Dingen haben, aber ich weiss, doch so viel, wenn in einem Roman Hirnchirurgen und Dudelsäcke vorkommen, dann kann es nichts werden.»

Grosse Worte für einen Typen, der sich den Arsch vor seiner Glotze mit einem Videospiel plattdrückte und dessen Kreativität sich darauf beschränkte über andere Schreiberlinge zu motzen. Adrian dagegen störten diese Kleinigkeiten nicht weiter, er war ein Mann des Geschäfts, ein Rädchen im literarischen «Betrieb», Geschäftspartner der Verlage, menschliches Elend oder gar Not waren nicht seine Welt, seine Welt waren Deals, kulturelle Wichtigtuereien und das hochstilisieren bedeutungsloser Werke.

Er meinte: «Der <vergessene Goldfisch> war ein Erfolg, der Typ hat schon über dreitausend Bücher verkauft und er wird unser Land an der Buchmesse in Leipzig vertreten.»

Vielversprechend wie der vielversprechende Schriftsteller war, musste er also bald wieder etwas vielversprechendes tun, eine Sache, die ich ihm nicht übelnehmen konnte.

Ich starrte auf meinen eingefrorenen Bildschirm und musste dabei weichgeworden sein, ich erklärte meinen literarischen Agenten, dass der Typ auf der Rückreise von Montreux Liebeskummer gehabt hatte, weil er eine Grossmutter gevögelt hatte. Selbstverständlich stimmte das auch nicht genau. Irene war zwar einen Moment über vierzig gewesen, doch durchaus eine heisse und sympathische Dame und weder der vielversprechende Schriftsteller noch ich selbst konnten behaupten, wir seien wesentlich jünger, so dass «Grossmutter» einfach gemein war. Aber ich hatte noch immer mit der Idee des <Dudelsackatelier> zu kämpfen. Liebe, Chirurgie und Dudelsäcke, da kam doch einiges zusammen.

Die Spielmodi von «Far Cry 5» waren kompliziert, so galt es, Verbündete zu finden, kurz, Leute, die weder religiöse Fanatiker waren noch an die Endzeit glaubten. Wann diese Endzeit kommen würde, bestimmte der fiese Priester Joseph Seed, der seine Sekte «Project at Eden’s Gate» mit eiserner und selbstverständlich, böser Hand führte und nebenbei Crystal Meth abkochte. Alles gut gemacht, finster auch, doch letztlich musste ich zugeben, dass es hirnbetäubend war, so hatte ich im Laufe des Spieles diesen verlausten Hund befreit, dem ich nun hinterherhechelte und der mich nun von Massaker zu Massaker führte.

«Hörst du mir überhaupt zu?», fragte Adrian, was mich sofort wieder an die Dudelsäcke erinnerte, so dass ich grinsend sagte: «Ja, klar, klar.»

«Du weisst also, dass du eine Pressekonferenz machen musst, um die zweite Auflage von <Die Metzersmeistertochter> vorzustellen, der Verlag besteht darauf, du musst es tun.» So lagen also die Dinge: Ich lachte innerlich einen Typen wegen Dudelsäcken aus, gleichzeitig hatte meine einzig einigermassen kreative Meisterleistung das Wort «Metzgerei» im Titel.

Unnötig zu sagen: Als böser Sektenführer bist du natürlich geschäftstüchtig, so lässt du – natürlich – deine Jünger Drogen herstellen, ebenso lässt du die «Guten» entführen und setzst sie unter Drogen, was das Gameplay dann weiter kompliziert, da der Spieler plötzlich in einer Traumwelt herumlatschen muss.

«Ich vermisse Carla», sagte meine Stimme. Was zum Teufel sagte meine Stimme da? Klar, ich hatte zu lange mit niemandem mehr gesprochen.

«Pressekonferenz, du musst eine Pressekonferenz geben und da ist dann sicher eine Schlampe dabei, die mit dir trinkt. Das wird schon gehen.»

«Dir ist schon klar, dass ich nicht darauf hinauswollte.»

«Sie hat recht, du musst mehr vor die Haustüre, du musst raus, es hat keinen Sinn, dass du da drinnen rumhockst, das habe ich gemeint, deswegen ist Carla weg. Sie hat es nicht mehr ertragen.»

«Wie geht es ihr?»

«Es geht ihr gut, sie hat nach dir gefragt.»

«Was wollte sie denn wissen?» Meine Playstation drohte damit in den Ruhemodus zu wechseln, was nicht weiter schlimm gewesen wäre, wenn ich nur gewusst hätte, ob der blöde verlauste Hund und ich schon über den letzten Speicherpunkt hinausgewesen wären.

Die Drogenträume im Spiel waren düster, so musste man verladen, wie man auf «Bliss» eben war,  «die Herde ausdünnen», also alle Leute killen, die man killen kann, weil das einer der sympathischen Sprösslinge des Priesters für eine gute Philosophie hält. Euthanasie der Schwachen.

«Sie war besorgt, sie wollte wissen, wie es dir geht und ob du noch immer so viel trinkst. Sie freut sich aber darüber, dass dein Buch nochmals erscheint, sie sagt, du seist froh gewesen, als du die <Metzgersmeistertochter> geschrieben hast.»

«Es ging so, ich habe mich viel in Metzgereien rumgetrieben.»

«Ok, wenn du es sagst.» Ein Signal, das Adrian dabei war, das Gespräch zu beenden. Verständnis für den verschrobenen Schriftsteller, um den er sich kümmern musste, weil der Verlag eine zweite Auflage wollte. Er hatte,gesagt, was gesagt werden musste und würde noch einen zweiten Anruf machen und bei seinem nächsten weiter über Dudelsäcke sprechen.

Zugegeben, um aus der Drogenwelt rauszukommen, hatte ich viele virtuelle Menschen «euthanasiert», aber nach einigen Stunden spielen, fühlten sich Erfolge immer sinnloser an. Zwar lockerten Filmchen das Game auf und doch wurde das Leben vor der Mattscheibe langsam langweilig. Konnte gut sein, ich wurde einfach zu alt für die Gamerei. Nicht, dass Gamen schlecht in eine Welt gepasst hätte, in der die Wirtschaft zur Zockerei verkommen war, reiche Länder Leute im Meer ersaufen liessen, um noch reicher zu werden und in den Nachrichten mehr als einen lieb sein konnte, singende Schlittenhunde auftraten.

Ich starrte auf den Bildschirm ohne viel zu tun, die Absurdität der Gegenwart wurde nicht schlecht widergespiegelt, so rannte man mit einem verlausten Hund den sieben Siegeln hinterher und wenn du eine Dosis der Drogen erwischst, wirst du mit dem Song «Only You» vom bösen Kult kontrolliert und bringst willkürlich Menschen um. So etwas verdarb einen für alle Zeiten den Song und wirkte gleichzeitig völlig krank.

Ich versuchte Adrian zurückzurufen, um ihm zu sagen, er solle die Pressekonferenz vergessen. Die Argumente waren nicht schwer zu finden: In der Welt der apokalyptischen Kulte, der Epoche der Verschwörungstheorien und der «Reichsbürger», die eine selbsterfundene Fahne im Vorgarten wehen liessen, ihren eigenen verlausten Hund auf den Briefträger hetzten, würde sich niemand für die Metzgerei an der Ecke interessieren, die pleite ging, weil die Leute aus der Nachbarschaft lieber vorabgepackten Aufschnitt kauften, als einen kleinen Laden zu besuchen, der genau auf dieses Geschäft mit dem Aufschnitt angewiesen war, damit die kleine Familie finanziell über den Monat kam.

Mein literarischer Agent musste meine Reaktion vorausgeahnt haben, trotz mehrerer Versuche erreichte ich nur seine Combox und würde wohl bis zum jüngsten Tag auf den Rückruf warten können, und wie ich in den virtuellen Bergen von Montana gelernt hatte, konnte die Apokalypse jeden Moment eintreten, Nicht, dass der Weltuntergang Reverend Seed davon abgehalten hätte, äusserst geschäftstüchtig seine Anhänger zu instrumentalisieren und die Anwohner von Hope Falls zu terrorisieren und das obligate, ausufernde Blutbad zu veranstalten. Für einen Typen, dem es schnell zu viel geworden war, selbst in der allerkleinsten Metzgerei herumzuhängen, der vor dem Eingang des Spitals wartete, wenn er seine Freundin abholte, weil er einmal gesehen hatte, wie sie einen kleinen Abszess aufstach, war es erstaunlich, dass ich Stunden damit zubrachte, virtuelle religiöse Spinner abzuballern und anfangs noch mehr Stunden damit verbrachte, von den Idioten erschossen zu werden.

Um den Reiz der Spiele zu ergründen, musste man kein schwuler dudelsackspielender Hirnchirurg sein, um zu wissen, dass die Games auf einem uralten Bedürfnis aufbauten: Menschen mögen keine unfertigen Dinge, wir wollen die Dinge klären, sie zu Ende bringen, eine Chance haben, Gewissheit zu erlangen. Wir mögen Geschichten die einen Anfang, eine Mitte und ein Ende haben. Wir wollen Klarheit darüber, ob der Hirnchirug und sein Dudelsackliebhaber glücklich sind, sie dudelnd gemeinsam dem Sonnenuntergang entgegen gehen können.

Wir mögen es mit dem Weltuntergang zu spielen, es erhöht unseren Dopaminspiegel, gibt uns einen Kick, aber im Grunde mag unser Gehirn Ordnung, so erkennen wir die Schlange im Gras und können rechtzeitig davonrennen. Grob gesagt, ist das wohl wie unser Hirn funktioniert, da wären noch ein paar linguistische und literarische Feinheiten, aber wer hat noch die Nerven für diese Details. Vielleicht ist da noch das «Entkörperlichte», einmal kurz abgesehen vom Dopamin-High, in einem Game gibt es nicht einmal richtige Drogen, einen Kater vielleicht, nach all den Stunden vor dem Bildschirm und klar, die Leute werden fröhlich aus dem Weg geräumt, schliesslich musst du ein Level weiterkommen und ja, du brauchst Ordnung in deinem Gehirn, darum geht das Geballere in Ordnung und zu dem ist alles nur virtuell.

Während ich so auf die abgedrehten Sequenzen starrte, die sich wiederholten, weil ich ja nicht spielte, war mir schwer bewusst, ich war weder ein Philosoph noch ein Moralist, was auch immer das wäre, ich wäre weder in der Lage noch hätte ich Lust darauf eine Wertedebatte zu führen, zwar war ich ein überzeugter Freudianer, aber natürlich einer, der nicht überzeugt war, dass jede Reise ans Ziel führen könnte, oder dass Sex immer die Antwort auf alles wäre.

Die Oberfläche des Spiels war geil, wie gesagt die Idee einer Sekte angeführt von einem Typen der glaubt auserwählt worden zu sein, um seine Anhänger vom drohenden Kollaps der Zivilisation zu beschützen und der dann mit der Drogenkocherei und Dealerei genau zu diesem Kollaps beitrug, war postmodern dystopisch und angenehm finster. Die Apokalypse war immer ein angenehmer und passender Grusel. Auch wenn ich gerade nur die «Metzgersmeistertochter» und einige Kurzgeschichten zusammengebracht hatte, hinterliess mich die Dramaturgie zunehmend ratlos: Je mehr ich gamte, um so mehr kam mir das Szenario so vor, als sei das alles eine Ausrede pseudomilitärische Stories zu lancieren.

Mittlerweile schien jeder mittelmässige Drehbuchautor oder eben Szenarist zu wissen, was es bedeutete, «die Herde auszudünnen», den Gegner zu schwächen, in dem man nicht gezielt, aber immer wieder tötete. Darwinismus, vielleicht? Warum sich Mühe machen, sich in die Nähe einer nachvollziehbaren Geschichte begeben, wenn es genügte, Waffenfetischmus zu pfegen und Lösungen mit Fallschirm und Maschinenpistole im Anschlag gefunden werden konnten.

Keine Überraschung, diese Narrative machten Beziehungen schwierig, schliesslich galt es immer jemanden zu rächen, so dass es nicht zu Darwinismus führte, sondern die Verdrängungslogik einer zu Tode gelangweilten Überflussgesellschaft repräsentierte. Viele Worte, schwierige Zusammenhänge, ich weiss, doch als Schriftsteller konnte es einen schon den Wind aus den Segeln nehmen, dieser Moment, in dem Erzählungen zu Versatzstücken wurden, Vergewaltigungen, Morde und Folter nur zum Anlass grausam Rache zu nehmen. So etwas ging immer in Ordnung, so lange nur die Programmierung gut und die Bilder so hochaufgelöst waren, dass selbst die beste Grafikkarte an den Anschlag kam.

Ich starrte auf mein I-Phone, überlegte, ob ich Carla einmal tagsüber und einigermassen nüchtern anrufen sollte, nicht zu letzt, um sie um Rat zu bitten. Zwar war ich sicher, kein Journalist würde zur Pressekonferenz über ein Buch kommen, dass erst nach einem Internet-Shitstorm ein zweites Mal gedruckt wurde, aber vielleicht brauchte es die Blamage nicht. Während es mir weder an intellektueller Abwechslung noch an Videogames oder gar an Drogen fehlte, so fehlte mir der Austausch von Gedanken, die Auseinandersetzung mit Gefühlen, die einen nur das Gespräch mit anderen Menschen geben konnte.

Verwirrende Meinungen, verworrene Stimmen, abstruse Ansichten und Irrtümer, das alles fehlte einen mit der Zeit, selbst wenn ich manchmal viel Zeit in Kneipen verbrachte, fehlte mir Verständnis. Wie der Metzger, also der Held, in der «Metzgersmeistertochter» hatte ich mich beruflich und privat in die Isolation manövriert, in dem ich zumindest intellektuell stur an aufklärerischen Werten festhielt, die so ausser Mode waren, dass es in der Literatur nicht mehr als exotisch galt, wenn Hirnchirurgen plötzlich Hirne und Chirurgie aufgaben, um in Schottland Dudelsack spielen zu lernen. Nichts gegen all diese Dinge, doch gleichzeitig wuchs mein Unbehagen gegenüber dem stets eskalierenden Schwachsinn.

Neu war das nicht, Othello und Desdemona, Romeo und Julia, dies nur bei Shakespeare und dann wären da ja noch die alten Griechen, die auch vor nichts halt machten. So kann man die Odyssee durchaus als Entwicklungsroman, als Reise eines Kriegers zur Zivilsation begreifen, muss man aber nicht. Auch «Sein oder nicht sein» ist eine geile Frage von Hamlet, genauer betrachtet, bedeutet sie auch nur soviel wie das Abgleiten in den Abgrund des Wahnsinns.

Das Szenario im Dudelsackatelier war voraussehbar: So reist der Hirnchirurg der Liebe nach Schottland nach, da dudeln die Liebenden dann rum, entweder entwickelt sich der Plot dann so, dass der Chirurg der einzige ist, der eine gewisse Prozedur durchführen kann oder noch etwas höher gehängt, nur er, der eben seine tiefe Liebe zur schottischen Volksmusik und der verregneten, matschigen Landschaft entdeckt hat, irgendeinen Tumor in seinem Kopf feststellt, so dass eigentlich nur er selbst sich operieren kann. Von den herzlichen Einheimischen und seiner schwulen Liebe befeuert, nimmt er sich nun vor, das Unmögliche zu schaffen und sich auf irgendeine beliebige Weise selbst zu operieren. Grosses Kino. Absoluter Schwachsinn. Niemand merkt das mehr.

Metzgereien hatte ich nie gemocht. Als Typ, der abgesehen von einigen Aushilfsjobs nie früh hatte aufstehen oder hart hatte arbeiten müssen, war mein Verständnis für einen Berufsmann begrenzt, der sich schon früh morgens in Gummistiefeln durch den Schleim und Blut von allerlei Eingeweiden kämpfte, nur um Tiere zu töten. Was ich mit minimalen Recherchen und meist flauem Magen aber gelernt hatte, war das es irgendwie sympathischer und weniger unpersönlich war, wenn du den Typen kennst, der die Viecher killt und der Typ, der die Viecher killt, der mag diese Viecher sogar und schlachtet sie trotzdem, doch er versucht es so zu tun, dass die Angst der Tiere ihr Fleisch nicht verseucht. Dieser Metzger ist keine Fabrik, er hat keine modischen Produkte, er hat Fleisch, Fleisch, dass er mit seinen eigenen Händen hergestellt hat, mit seinen eigenen Augen hat er das Vieh angesehen, bevor er den tödlichen Bolzen zwischen die Stirnlappen gesetzt hat. Er ist ein Mensch, der ein Handwerk hat, mag sein, es ist altmodisch, doch damit ist auch Stolz verbunden.

Da sass ich also nun, in einer Kuhle die mein Hintern auf dem Sofa eingegraben hatte, weil ich soviel gamte und fragte mich erneut, wie oft uns Stories erzählt worden waren, in denen ein Tyrann, ein Führer eines Kult oder ein korrupter Politiker seine Gefolgschaft so einschüchtert hat, so dass die Verbindung zur Aussenwelt unterbrochen wurde. So siehst du zwar aus dem Fenster, erkennst aber nicht mehr, was da draussen ist, weil du darauf angewiesen bist, dass dir jemand erklärt, ob das Kumulus oder andere Wolken sind, die eben aus Westen kommen oder dann eben nicht, über all dem vergisst du natürlich, dass es noch niemanden gibt, der die Richtung des Wolkenzuges verhindern kann und die Erklärung, warum es dir nach dem Einkaufen auf den Kopf pisst eigentlich nicht so wichtig ist.

Der verlauste Hund führte mich aus dem Ort raus, weiter vorne brannte wieder ein Bus, die Strasse war blockiert, immerhin hatte ich mir einen virtuellen Drink hinter die Binde geschüttet, eine Verbündete gewonnen und ein Päckchen gesammelt, dass mich heilen würde, falls ich angeschossen werden würde. Mit dem Herz war ich nicht immer bei der Sache und so explodierte der Bildschirm rot, ich war gerade erschossen worden. Genug war genug, es war zwar noch hell, damit eigentlich zu früh, um einen trinken zu gehen, was mich nicht weiter störte, schliesslich war es nicht so, dass ich Wichtigeres zu tun hatte. Dummerweise hatte ich den letzten Speicherpunkt noch nicht erreicht gehabt, so dass ich den Hund noch länger neben mir haben würde und der ganze Mist in dieser Welt von vorne beginnen würde.

Das Bild ist ein Screen Shot von Far Cry 5, zur Wiederverwendung gekennzeichnet.

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Autor: Andy Strässle

Andy Strässle umarmt Bäume, mag Corinne Mauch und verleugnet seine Wurzeln: Kein Wunder, wenn man aus Blätzbums stammt. Würde gerne saufen können wie Hemingway, hat aber immerhin ein paar Essays über den Mann zu stande gebracht. Sein musikalischer Geschmack ist unaussprechlich, von Kunst versteht er auch nichts und letztlich gelingt es ihm immer seltener sich in die intellektuelle Pose zu werfen. Der innere Bankrott erscheint ihm als die feste Währung auf der das gegenwärtige Denken aufgebaut ist und darum erschreckt es ihn nicht als Journalist sein Geld zu verdienen.

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