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High mit Chef Gaston: «Rumänien» Part Three Of Three

Der Dreh eines Werbespots für ein Effizienznahrungsmittel der Poldi-Gigamärkte endete in einem Debakel. Kotzende Models im Bikini, ein italiensicher Schauspieler der von Gift spricht und ein Shitstorm. In der Marketing-Abteilung der Gigamärkte ist nun Querdenken angesagt. Aber das kommt irgendwie nicht so gut raus.

Emiliano Alvaro Montetorrano war nach Rom zurückgekehrt. Bessere Rollenangebote. Die Poldi-Gigamärkte hatten den bekifften Regisseur entlassen und ihm die Schuld am Fehlschlag gegeben. Meine veralteten, unmodischen Markenklamotten hingen wieder im Schrank und es schien unwahrscheinlich, dass ich je wieder etwas von den Poldi-Gigamärkten hören würde.

In Zürich hatte ich einige Seiten aus der «Metzgersmeistertocher» vor rund einem Dutzend Leute vorgelesen und die Sache mit Chef Gaston war für mich gegessen gewesen. Nachdem mir Max-Bert und Anna-Lara gesagt hatten, Poldi hätte schon hunderttausend von den Chef Gaston-Gerichten bestellt gehabt, hatte ich Ihnen noch ein paar E-Mails geschrieben, um mich bei ihnen für die Besserwisserei zu entschuldigen, hatte aber nicht erwartet, je wieder etwas von ihnen zu hören. Dabei war mir klar gewesen, dass sie beide nie daran gedacht hatten auch nur einen Bissen des von ihnen mit den Schlagworten «Miami und Action» versehenen Boeuf Bourguigion zu essen. Dafür, dass der Frass sofortigen Brechreiz auslöste, konnten sie nichts und ich wollte mindestens kurzzeitig ein besserer Mensch werden.

«Die Poldi-Leute brauchen jemanden, du musst ihnen helfen!», sagte Adrian, mein literarischer Agent, der mich normalerweise einfach ignorierte, am Telefon, ich stand gerade in der Bäckerei an der Ecke und konnte mich nicht entscheiden, welches Brot besser zum Chianti aus dem Supermarkt passen würde, denn Käse hatte ich ja schon.

«Es muss klarwerden, dass Poldi die Leute nicht vergiften wollte», sagte Adrian mit ernster Stimme: «Du musst sagen, dass du es nicht warst und der Welt eine Geschichte erzählen, so dass alle wissen, es war nicht der Fehler von Poldi.»

«Niemand kann diesen Dreck fressen», erwiderte ich fröhlich, ich hatte auch gerade noch etwas Geld übrig, aber die Verkaufsdame in der Bäckerei sah mich erschrocken an, da ich schon eine Weile lang auf die Brote in ihrem Rücken gestarrt hatte. Dieser kleine Einwand stiess bei Adrian auf taube Ohren, da es sein Job war, seltsame Künstler zu betreuen, war er es seine zweite Natur, irrationale Einwände zu ignorieren. Er sagte: «Das spielt keine so grosse Rolle, es sieht so aus, als wäre eines dieser Weiber eine Influencerin gewesen und da sind noch Filmaufnahmen – das ist nicht gut. Aber sie ist ‘ne heisse Blondine …»

Die Bäckersfrau warf mir einen düsteren Blick zu und ich ging raus, liess dabei fast mein I-Phone fallen und fragte überflüssig: «Darf man das denn noch so sagen, schliesslich verkehrst du doch in diesen künstlerischen Kreisen», Adrian unterbrach mich schneller als ich denken konnte und meinte: «Die Kreise, in denen du auch verkehren solltest, um endlich mehr Erfolg zu haben, meinst du diese Kreise?»

Wie gesagt, das Gespräch lief nicht gut und am Ende vergass ich noch, Brot zu kaufen – obwohl ich den Käse schon hatte – aber schon am Nachmittag hockte ich wieder im aschenbecherlosen Konferenzzimmer der Poldi-Gigamärkte. Anna-Lara war noch immer sehr ausgeschlafen, Max-Bert trug für einmal keine Krawatte, er meinte, dass ihm dies helfen würde, querzudenken, neue Wege einzuschlagen. Er sagte, er habe «Die Metzgersmeistertochter» gelesen und dies habe ihn überzeugt, dass ich der richtige Mann für «die Sache» sei. Anna-Lara nickte viel zu beflissen.

«Leute, euer Boss hat euch irgendeinen Scheiss befohlen und ihr habt dieses giftige Zeug noch an Lager, aber ich habe keine Ahnung von Metzgereien und von Töchtern auch nicht. Ehrlich gesagt, in diesen Tagen habe nur von wenigen Dingen eine Ahnung und wie ihr wisst, bin ich zu euch immer völlig ehrlich.»

Naja, das war Bullshit, aber wenn interessiert’s. Die Poldi-Gigamärkte waren unter Druck, das Boeuf Bouriginion war Tag für Tag in den Schlagzeilen und das Boulevardblatt «Jetzt» hatte sogar Emiliano Alvaro Montetorrano interviewt, der davon sprach, dass das Fertiggericht unglaublich «scifo» sei und sogar andeutete, es könne sich um eine Verschwörung der EU handeln könne, denn schliesslich würde die EU immer die Franzosen bevorzugen und die Italiener benachteiligen. Schwer zu glauben, dass dieser Typ ein weitgereister berühmter Charakterdarsteller war, wenn er nicht einmal wusste, dass er für einen Werbespot in die Schweiz gereist und die ganze Sache viel mit Vermarktung, aber wenig mit Frankreich zu tun hatte.

«Aber du hast eine Ahnung von Lebensmitteln? Von Metzgereien, wir müssen wieder sympathisch werden, wir können dir Geld anbieten, wir würden in die Richtung gehen wollen, in die <Richtung>, verstehst du?» Nun, nun, hatten sie ein neues Wort «Richtung» und sie meinten nur ich als renommierter Schriftsteller könne es mit der blonden und Influencerin aufnehmen, um die Vorwürfe entkräften zu können, denn ich hätte ja ein «ganzes» Buch über Nahrung geschrieben, und wie heikel es sei, mit Nahrungsmitteln umzugehen.

Was eine Influencerin war, wusste ich im Grunde genommen nicht so genau, es spielte aber auch keine Rolle, da die Poldi-Bosse bereit waren, Geld dafür auszugeben, dass ich mich mit der hübschen Blondine, Elena Kurosawa, traf und mit ihr einige Interviews gab. Eigentlich hatte ich keinen Grund, aber ich hatte ein schlechtes Gewissen gegenüber Anna-Lara und Max-Bert, sie arbeiteten für die Poldi-Gigamärkte, sie hatten von Flamingos, Miami, Action und Dynamik geschwafelt und dann als französischen Gourmetkoch einen pummeligen Italiener engagiert, der umgeben von leichtbekleideten Models auf Filmaufnahmen, die offensichtlich weltweit viral gingen, unchristliche, italienische Flüche rumbrüllte, obwohl er nur einen kleinen Happen seines eigenen Boeuf Bourginion in den Mund genommen hatte, dabei half es noch weniger, dass all den jungen Damen das geübte Lächeln verging, nachdem sie ebenfalls einen Happen genommen hatten und sie nur würgend und manchmal kotzend dasassen und vergeblich versuchten weiter zu lächeln, da sie um ihre Gage fürchteten.

Lokalfernsehen ist so eine Sache, es ist klein und poppelig und niemand schaut es an, als Schriftsteller ginge man natürlich gerne hin, um ein bisschen das Gefühl zu haben, man könne für sein Werk Werbung machen und anschliessend gegenüber den Buchhändlern und dem Verlag eine grosse Klappe haben zu können, man habe alles gegeben und sich als «Künstler» in die Niederungen des Fernsehens begeben.

Aber eben, ich hatte das Studio in Zürichs Westen nicht so schnell gefunden, noch rauchen müssen, meine Ausreden waren endlos, dazu brauchte Elena Kurosawa endlos bis sie geschminkt war und ich hatte noch immer keinen blassen Dunst davon, was sie eigentlich machte und warum die Poldi-Gigamärkte sie ernst nahmen. Gute Frage: Die Poldi-Gigamärkte besassen viele Millarden, unzählige anonyme Supermärkte und beschäftigten mehrere tausend Leute, warum sollte sich dieser Konzern vor einem Model fürchten, einer Frau also, die sich in den Bikini schmiss, um Geld zu verdienen. Dagegen hatte ich ja nichts, aber ich verstand es eben nicht so ganz. Ganz klar war mir auch nicht, warum ich derjenige war, der nach Zürich zum Lokalsender reiste, um mit ihr ein Interview zu geben. Aber es war nicht schlecht bezahlt und die Poldi-Gigamärkte glaubten immer noch, dass ich eine Ahnung von Nahrungsmitteln hätte.

Es half nicht viel. In der Maske wischte mir eine nette junge Frau, die Asche von meinem Kragen, tupfte etwas Pampe auf meine Wangen und schliesslich hockte ich im Talk-Studio einer properen jungen Frau gegenüber, die den Glanz des Universums und der modernen Welt geradezu perfektionierte. Im Gegensatz zu mir hatte sie sich vorbereitet, war völlig nüchtern, sportlich, intellektuell unbescholten und hatte sich besser informiert. Die Scheinwerfer sprangen an, die Kameraleute gingen in Position, mir wurde schwindlig und der propere Giftzwerg, der die ganze Sache moderieren würde, war eben schon wieder ein Giftzwerg.

«Keine Sorge, keine Sorge», hatte der neuerdings querdenkende Max-Bert gesagt, man habe dem Regionalsender ein Budget von Werbespots in Aussicht gestellt, es seien im Talk keine kritischen Fragen zu befürchten. Anna-Lara pflichtete ihm im aschenbecherlosen Konferenzzimmer zu und obwohl ich gemeint hatte, ich müsse darüber nachdenken, war mir klar, ein Übermass an Würde hätte ich gar nicht verlieren, da die zweite Auflage von «Die Metzgersmeistertochter» bei Kritik und Publikum wie ein Stein untergegangen war und einer der Literaturkritikerbesserwisser, der gar ein Karo-Pochettli in seiner Hemdtasche zur Schau trug, dem Buch den Rest gab, in dem er erklärte, die Story sei weltfern, da sich doch niemand mehr für Metzger interessierte, wenn die Welt sich mit «Digitalisierung und künstlicher Intelligenz» beschäftigen müsse und überhaupt sei Fleisch doch scheisse.

Was kannst du da noch sagen: Natürlich dreht sich die Metzgersmeistertochter nicht um Fleisch oder ideologische Ernährungsfragen, ganz offensichtlich ist sie auch nicht «Woke», sie ist auch nicht gegen Gleichstellung, es ist einfach eine kleine Geschichte einer Tochter und einem Witwer, die versuchen ihre Metzgerei in einer Quartierstrasse am Leben zu erhalten. Der zentrale Konflikt ist dabei, dass die Tochter zu ihrem Vater steht, stehen will, aber sieht, dass die Metzgerei im Aussenquartier der kleinen Stadt irgendwann schliessen muss, nicht nur, weil sie ökonomisch keine Chancen hat, die Vorschriften ändern und sie den Gestank von Blut und Eingeweiden hasste, sondern weil sich das Quartier um die kleine Metzgerei herum sich mehr und mehr veränderte und niemand mehr weiss – so wie sie, die es hasst, dass Schweine zwar schreien und stinken, wenn sie sterben, aber es ein besserer Tod ist, als die massenhafte Hinrichtung in den Schlachthöfen. Aber sie weiss es, die Metzgersmeistertochter, sie weiss, ihr Vater macht es besser und als kleiner Metzger schmeisst er auch weniger weg. Und trotzdem hasst sie ihren Vater dafür, dass er Kälber und Schweine umbringt.

Meine Interviewvorbereitung bestand darin, fasziniert zu beobachten, wie der Moderator seinen Stuhl solange nach oben pumpte, bis er sich über uns erhob und mich weiter zu fragen, warum plötzlich überall Zwerge anzutreffen waren. Ich hätte mitbekommen sollen, dass er er allerlei Zeitungen und Ausdrucke von Internetportalen in die Höhe hielt, um uns vorzuwarnen. Als die Scheinwerfer ansprangen und der Regisseur die letzten fünf Sekunden herunterzählte, hätte ich eigentlich ahnen können, dass der Typ, egal wie klein er war, der Story nicht würde wiederstehen können.

«Wie haben Sie den Nachmittag erlebt, Sie sind ja Schriftsteller, Sie können uns sicher beschreiben, wie es zu den Vergiftungsersheinungen kam?»

Wie gesagt, ich war nicht vorbereitet. So beschrieb ich die Flucherei von Emiliano, die Kotzerei der Models und sprach, davon, dass offensichtlich niemand bei Poldi das Boeuf Bourginion jemals versucht hatte. Unterdessen schwitzte ich ein wenig, weil ich ahnte, dass das Ganze füchterlich schief lief. Während ich eigentlich die Gigamärkte verteidigen sollte, haute ich sie noch mehr in die Pfanne.

«Ich habe dein Buch gelesen, es ist toll, es ist ganz anders, als was ich sonst gelesen habe», sagte Elena Kurosawa und ignorierte die erste Frage des Moderators vollständig. Dämlich grinsend erwiderte ich, ich würde vielleicht das Gleiche sagen, wenn ich es gelesen hätte. «So geht’s natürlich nicht», meinte der Typ vom Sender und fragte, wie ich den Dreh des Werbespots mit dem berühmten Star aus Italien, Emiliano Alvaro Montetorrano, denn wirklich erlebt hätte, schliesslich sei Emiliano ein richtiger Star. Erneut hatte ich keine Ahnung, was man denn da sagen konnte: Er war ein kleinwüchsiger Italiener, der einen französischen Gourmetkoch verkörpern sollte. Darum sagte ich, dass sich Emiliano vor allem wie ein kleines Kind aufgeführt habe und er für die Rolle auch nicht die ideale Besetzung gewesen sei und sogar gedacht habe, die Franzosen hätten ihn vergiften wollen, obwohl er hätte merken können, dass er in die Schweiz eingeflogen worden war.

Die Influencerin hatte eine tolle Strategie, sie hatte es durchdacht. So fragte sie der Moderator: «Elena Kurosawa, Sie sind ja eine tolle Influencerin und sie sind ein Model, haben Sie denn nicht recherchiert, wofür sie ihren Namen hergeben?»

Sie sah ernst und unschuldig aus und meinte: «Markus, ich habe den Poldi-Gigamärkten vertraut, ich bin ja ein Model und ich kaufe auch da ein, da konnte ich nicht wissen, dass bei diesem Auftrag giftiges Essen involviert sein würde, meine Salate und die Papaya-Protein-Säfte sind immer sehr gut und alle wissen, meine Marke steht dafür, dass ich mich Gesundheit einsetze.»

Die Scheinwerfer schienen sehr hell, es wurde warm und Markus meinte: «Sie sind ja ein Schriftsteller, sie haben ein preisgekröntes Werk über Nahrungsmittel geschrieben, sie gelten als Feinschmecker und trotzdem waren sie bei diesem Skandal dabei, wie erklären sie sich das?» Über Fernsehen muss man verstehen, dass wenn dich die Moderationsperson sagt, dass man etwas erklären sollte, dann solltest du es auf keinen Fall tun.

«Leider ist unsere Sendezeit vorbei, wir danken herzlich Elena Kurosawa, Influencerin und dem Autor des Romans «Metzgersmeisterstochter» und morgen begrüssen wir den vielversprechenden Schriftsteller aus der kleinen Stadt, der über Hirnchirurgie und Dudelsackpfeifen sprechen wird.» Für die Studioleute war jetzt Feierabend, eine kleine Hektik wegen den Mikrofonen entstand und endlich rauchte ich auf der Strasse unter den verschlungenen Betondschungelstrassen eine Zigarette.

Es ist nie falsch, zu sagen, was du denkst, ausser im Fernsehen. Ich gebe es zu. Das kotzende Model war nun die Schriftstellerin. Sie verstand mein Werk besser als ich, wenn sie es denn geschrieben hätte und es schien, dass wenns sie es denn geschrieben hätte, es besser und erfolgreicher hinbekommen hätte und der Moderationstyp hatte alles gemacht, um die Werbespots zu bekommen und nach komplizierten Erklärungen nur noch Elena zum Thema gemacht. Du musst es ihr lassen, Elena hatte diese Dinger auf Lager, gute Sache, sie kannte Poldi-Produkte, sie antwortete auf die Frage, warum sie gekotzt hätte damit, offensichtlich hätten die Gigamärkte einen Fehler gemacht. Darum sei sie so froh, dass es möglich sei, auch mal ein Aspirin im Poldi-Gigamarkt zu bekommen.

Schwer zu sagen, was schlimmer ist, der Vortrag über ein Mädchen, das eigenständig werden will und deren Vater ein Metzger ist? Etwas, was sie verstehen kann, will und vielleicht sogar muss und doch ihren Vater, der verwitwet ist und sie ihnn nicht vor der Zukunft bewahren kann, weil sie selbst ja die Zukunft ist und doch arbeitet sie an seiner Seite. Wie gesagt, wenn du am Fernsehen gefragt wirst, wie man etwas verstehen soll, so beantwortet man dies nicht mit einem Vortrag, sondern man sagt Dinge, wie: «Die Poldi-Gigamärkte haben es nie schlecht gemeint und die Poldi-Giga-Märkte unterstützen grosszügig wohltätige Zwecke».

Die Zeit reichte kaum für die Heimreise von Zürich zurück in die kleine Stadt. Nach wenigen Stunden beschrieben mich sämtliche Internetpostillen und die Webseiten der Zeitungen als selbstverliebten Wichtigtuer, der über Metzgereien schwadronierte, statt über den Giftskandal beim Poldi-Werbespot Auskunft zu geben. Und während es wahr war, dass das Gericht offenkundig sehr widerlich war, so war doch niemand vergiftet worden. Zwar hatten einige von den Models die Gelegenheit genutzt Interviews zu geben, über den Frass zu fluchen und die Aufmerksamkeit zu geniessen, doch weiter war nichts Schlimmes geschehen.

Sicher es war beeindruckend gewesen zu sehen, wie ein einziger Bissen ein solches Gewürge auslöste, doch schien es nicht sicher, ob das Boeuf Bourginion wirklich giftig war. Immerhin, das Interview war schnell vergessen und das Interesse an mir nahm so schnell ab, wie die zweite Auflage meines Romans untergegangen war.

Erst einige Wochen später wurde klar, welch schlimme Folgen die Querdenkerei von Max-Bert haben konnte. Die Poldi-Gigamärkte kehrten mit dem Boeuf Bourginion in die Medien zurück kaum hatte sich die Aufregung gelebt. Unschwer zu erraten, dass Geld, wahrscheinlich viel Geld Emiliano Alvaro Montserano dazu motiviert hatte, mehrere tausend Portionen des Boeuf Bourginion von Chef Gaston persönlich in einigen Waisenhäusern in Rumänien zu verteilen.

Die Geschichte war mit der grossen Kelle angerührt worden, den Schweizer Medien war die Reise bezahlt worden, Luxusbusse standen an Orten, wie Iesi oder Ploiesi bereit, um den Tross zu transportieren, es gab auch Gerüchte, dass sofort nach den Verteilaktionen Sicherheitsleute dafür sorgten, dass die Fotografen und Videoleute gleich wieder in den Bus stiegen, um zu vermeiden, dass Filme oder Videomaterial von würgenden Kindern um die Welt gingen.

Die Hintergrundgeschichte von Chef Gaston leuchtete mir noch vom Schreibtisch auf meinem Computer entgegen und manchmal wenn ich am Morgen meine Mails checkte, obwohl ich eigentlich genau wusste, dass da keine neuen Botschaften warten würden, wurde ich philosophisch, fühlte mich schuldig: Zwar hatte ich nur Bullshit über einen Typen geschrieben, dessen übersensibler Gaumen und dessen überpenible Arbeitsweise ihn zu einem Gourmetkoch machte und doch fühlte ich mich dafür verantwortlich dieses Bullshit-Kaskade ausgelöst zu haben.

Vielleicht war es auch die Treppe des Bullshits, irgendwo – naja vielleicht weit oben auf der Pyramide des Bullshits – hat einer eine Scheissidee, er beauftragt einen anderen Scheisskerl Scheisse für ihn zu erfinden und die Scheisse – der Kraft der Schwerkraft folgend – fliesst dann immer weiter nach unten. Eine Kaskade von Scheisse. Na gut, die Theorie hatte einen Fehler, aber ich arbeitete daran: Es war nicht klar, wie die Scheisse zu so unglaublich viel mehr Scheisse werden konnte, wie es geschehen konnte, dass ganz offensichtlich niemand den ganzen Mist mit einem Schlauch irgendwo auf der Bullshit-Treppe einfach wegspülte oder wieso niemand, wirklich niemand auf dem Weg nach unten einen Hochdruckreiniger und Gummihandschuhe hatte und bereit war, eines oder bedies von diesen beiden Dinge zu benutzen, schliesslich war die Welt voll von ihnen.

Einige Wochen lang, länger als mir lieb waren, suchte ich auf dem Internet nach Anzeichen, dass die Kindersterblichkeit in Rumänien gestiegen war, als aber allzu offensichtliche Signale ausblieben, gab ich die Recherchen wieder auf. Denn irgendwie war die Kindersterblichkeit in Rumänien so oder so beunruhigend.

Foto: Andrei Banta/Unsplash

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Autor: Andy Strässle

Andy Strässle umarmt Bäume, mag Corinne Mauch und verleugnet seine Wurzeln: Kein Wunder, wenn man aus Blätzbums stammt. Würde gerne saufen können wie Hemingway, hat aber immerhin ein paar Essays über den Mann zu stande gebracht. Sein musikalischer Geschmack ist unaussprechlich, von Kunst versteht er auch nichts und letztlich gelingt es ihm immer seltener sich in die intellektuelle Pose zu werfen. Der innere Bankrott erscheint ihm als die feste Währung auf der das gegenwärtige Denken aufgebaut ist und darum erschreckt es ihn nicht als Journalist sein Geld zu verdienen.

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