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An ihrer Sprache sollt ihr sie erkennen

Einige finstere Gedanken zu KULT-Autorin Ute Cohens neuem Roman «Poor Dogs», einem psychologischen Thriller aus der Eiszeit der Seele.

«Ihre Liebe war ein denkbar unmöglicher Zustand, der durch ein winziges molekulares Fehlverhalten ins Wanken geraten könnte».

André und Eva sind eben keineswegs Bonnie und Clyde. Sie vereinigen sich nicht in einem lodernden Feuer der Liebe, das sie am Ende verbrennt. Es ist nicht die Gnade des Todes, der sie entgegen eilen. Vielmehr sind sie Widergänger, die den Tod in sich tragen, während sie von einer Ewigkeit zur nächsten taumeln.

Sie tun dies nicht, weil alle Lust Ewigkeit will.

Sie tun es, weil der Tod eine Kapitulation bedeuten würde, die es in ihrem Lebens- und Liebeskonstrukt – und kompliziert ist es – nicht geben kann, nicht geben darf.

Vor drei Jahren hat die Autorin Ute Cohen – in ihrem ersten Roman «Satans Spielfeld» – eine Mädchen-Jugend im Zeichen würgender sexueller Unterdrückung geschildert. Mit ihrem neuen Werk entführt sie uns in eine Zone der Erwachsenen, in der die grenzenlose Freiheit zu herrschen scheint, die am Ende jedoch nur einen weiteren Kerker darstellt, ein Design-Gefängnis gewissermassen, in dem die Seele fortwährend stirbt, ohne zur Erlösung zu gelangen.

Liebe, Geld, Luxus, Sex, Erfolg, ein Leben unter der (Piraten)-Flagge der New Economy, eine Fahrt zu den Gestaden der Freiheit, der Unabhängigkeit, so soll die Reise aussehen, die das Paar gemeinsam angetreten hat.

Bewaffnet sind sie mit den Werkzeugen der europäischen Hochkultur (schliesslich hat man sich Bildung angeeignet), aber auch mit jenem modernen Business-Jargon, der ominöse Heilsversprechen in den (Welt-)Raum stellt, die in Tat und Wahrheit jedoch derart unverbindlich sind, dass sie jederzeit mit leichter Hand gebrochen werden können. Ihr Schlachtfeld ist die Unternehmensberatung, ihr Schlachtvieh sind die Erfolgreichen, denen sie ihre Dienste – und teuer sind sie – verkaufen, um ihnen dann am Ende das Fell über die Ohren zu ziehen, vom lebendigen Leib.

Der Deal ist ihr Fetisch, verbrannte Erde das – durchaus gewollte – Resultat.

Bei Ute Cohen hat die Sprache immer einen doppelten Boden, die Sprache, das Werkzeug von André und Eva, die Tiefe vortäuscht, jedoch lediglich Abgründe verbirgt.

Ihr Habitus, geprägt von Kultur, Stil und Savoir-vivre, verbirgt die Tatsache, dass ihr Leben eigentlich eine Hetzjagd ist, von einem Schauplatz zum nächsten, die Früchte werden laufend geerntet, doch der Genuss dieser Ernte ist am Ende nur bittere, unaufhörliche Pflicht, das Vergnügen wird zur Strafe, so sieht es im dunklen Spiegel jener Erfolgswelt aus, die sich das Paar geschaffen hat.

An der Sprache sollt ihr sie erkennen, jener Mischung aus Hochkultur und Management-Soziolekt, die nichts mit Bedeutung oder Wahrheitsfindung zu tun hat, sondern immer bloss effekthascherisches Mittel zum Zweck, immer boss Waffe bleibt. Und unter dieser feinen Tünche feiert die Primitivität Urstände.

Die Sexualität des Paars ist eben auch nur ein Martyrium, eine Leistungsmaschine, sie wollen den erotischen Olymp erklimmen, landen aber auf dem Kalvarienberg.

Der einzige Gewinn, der am Ende übrig bleibt, ist der Krankheitsgewinn, ist eine schmerzhafte, eine mörderische Jouissance, die das Zeichen der Freiheit auf der Stirn trägt, jedoch eine Strafkolonie im Herzen.

Eva ist es, die am Ende aus diesem Gefängnis fliehen muss, weil sie von den Dämonen der Verdrängung aufgefressen wird, auch sie bei lebendigem Leib, Tag und Nacht, ein Prozess, der sie an Körper und Seele derart verwundet, dass sie einfach aufgeben muss, sie entflieht dem Zwielicht jener Ewigkeit in der Schattenwelt, in der André für immer verharren wird, weil er Teil davon ist, das Wort Aufgeben kennt er nicht, in seinem privaten Inferno.

«Poor Dogs» bleibt ein klassischer Gesellschaftsroman, aber einer aus der Hölle.

Satan dehnt sein Spielfeld aus, über die ganze Welt der Erwachsenen. Und ja, man kann diesen Roman durchaus geniessen, im Sinne eines Krankheitsgewinns, einer schmerzhaften Jouissance eben.

Eine Demimonde aus Lust und Schmerz, Samt und Rasierklingen, Kultur und Barbarei, das ist die Welt, in die uns Ute Cohens Buch entführt. Erbarmungslos.

«Poor Dogs» von Ute Cohen ist im Septime Verlag erschienen (ISBN: 978-3-902711-87-8).

 

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Autor: Christian Platz

Lebt in Basel. Arbeitet überall. Reist recht viel. Vor allem nach Asien. Und in den Deep South der USA. Verdient sein Geld seit über einem Vierteljahrhundert mit Schreibarbeiten. Vorher hat er als Pfleger in einer Irrenanstalt gewirkt. Hat mehrere Bücher veröffentlicht. Spielt seit 40 Jahren fanatisch Gitarre, zwischendurch singt er auch noch dazu. Schreibt unter anderem für Kult. Ist manchmal gut aufgelegt. Manchmal schlecht. Meistens so mittel. Sammelt Bücher, CDs, Filme, Artefakte. In einem psychisch leicht auffälligen Ausmass. Verfügt, bezüglich der Dinge, die er sammelt, über ein lexikalisches Wissen. Platz ist einerseits ein Wanderer auf dem Pfad zur linken Hand. Andererseits Neofreudianer mit Waffenschein. Liebt Blues und Voodoo, Rock'n'Roll und die schwarze Göttin Kali. Trinkt gerne Single Malt Whisky aus Schottland. Raucht Kette. Ist bereits über 50 Jahre alt. Macht einstweilen weiter. Trotzdem wünscht er nichts sehnlicher herbei als die Apokalypse.

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Dieser Mann tritt manchmal als katholischer Geistlicher auf, stilecht, mit einem besonders steifen weissen Kragen am Collarhemd. Dies tut er in gänzlich irreführender Art und Weise und ohne jegliche kirchliche Legitimation. Schenken Sie ihm - um Gottes Willen - keinen Glauben. Lassen Sie sich nicht von ihm trauen, ölen oder beerdigen. Lassen Sie sich von ihm keinesfalls Ihre Beichte abnehmen. Geben Sie ihm lieber Ihr Geld.

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