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«Buen Saira, Swiss Television»

Kalte Füsse, grelle Scheinwerfer und zu viele Schafe, Oceanna war sich nicht sicher, ob sie die Berge, das Rätoromanische und ihre Heimat nicht doch lieber hinter sich gelassen hätte. Aber mehr als ein leeres Hotelzimmer wartete da auch nicht.

Die Aussicht war atemberaubend, der Tag anstrengend gewesen, inmitten von grünen Wiesen, hungrigen und total blöden oder verblödeten Schafen verfluchte Oceanna jenen Tag, an dem sie unten in Chur gesagt hatte, sie wolle auch einmal etwas «journalistisches» abdrehen. Sie hoffte nur es seien auch Schafe auf dieser Wiese gewesen, denn die Geissen waren ihr kaum weniger verblödet vorgekommen und irgendwann war es ihr nicht mehr so wichtig gewesen, welche Schwierigkeiten die Viecher auf der Alp hatten. Es tat ihr ja leid, sich einzugestehen zu müssen, dass sie mittlerweile den bösen Wölfen half.

Die Kälte drang durch ihre Gummistiefel, ihre Interviewpartner schienen allesamt wortkarge Idioten zu sein und niemand, niemand – da war sie sich inzwischen sicher – würde sich noch dafür interessieren, ob noch ein Schaf oder eine Ziege von einem der Wölfe gefressen würde, die es irgendwo noch gab. Unterdessen hatten die Graubündner Jäger, die Naturschützer und alle anderen Typen, die gute Ideen hatten es geschafft, dass es zwei angeschossene Jäger gegeben hatte, worauf man sie in die Höhe geschickt hatte, um der Sache nachzugehen.

Diavel portiat

«Diavel portiat», beschied ihr der erste Sturkopf, was sie fasziniert hatte, aber Wölfe, die sie auch nicht interessierten, hiessen hier «louf» und jeder alte Sack und sie würde noch ältere Säcke kennenlernen, würden sie immer «figlia» nennen, für Oceanna sahen diese Menschen immer gleich aus, sie waren unrasiert, lebten isoliert in einer seltsamen Hütte, wuschen und rasierten sich zu wenig mit kaltem Wasser, liessen sich umsonst von verlorenen, viel jüngeren Ökos aus der Stadt helfen und die einzige zeitgenössische Frage, die sie noch hatten, ob es den «Sogge-Hitsch» noch gebe, der in einem Autobahn-Rondell bei Landquart aus einer Holzhütte oder aus einem Wohnwagen heraus Wollsocken verkaufte, wogegegen sie ja eigentlich nichts einwenden wollte, was ihr aber nicht gerade als wesentliche Frage erschien.

-Das «Fritz & Fränzi» in der Nähe der Bäckeranlage in der City von Zürich bot dir Paletten und Fässer zum Draufsitzen an, dafür konntest du zusehen, wie irgendwelche Leute im Hinterzimmer irgendwelches Zeugs in Tanks schütteten um Bier oder in kleineren Tanks Gin zu brauen. Nicht einfach. Sicher. Bottiche mit eingelegten Oliven waren da auch noch.

Oceanna hatte die Aufzeichnung der Sendung hinter sich. Ihre Jugend auch. Sie war verabredet und wusste nicht, was sie denken sollte. Das Bier im Fritz & Fränzi war widerlich, selbst wenn es selbstgebraut war, dafür kostete es viel zu viel. Ihr tat der Arsch auf dem Fass weh. Aber die Sitzgelegenheit galt als hip und hatte den Vorteil, dass niemand der nicht vollends mit Gin oder selbstgebrautem Bier zugeschüttet war, übermässig lange sitzen bleiben würde.

«Buen Saira!» Gleissende Scheinwerfer in Chur und jetzt hockte Oceanna auf einem Fass in Zürich und wusste, die Hippies hier würden nie von einem «Luif» gefressen werden, gleichzeitig wusste sie aber auch, dass der «Diavel» sich kaum für schlecht geschützte Schafe oder in den Bergen umherirrende Ziegenherden interessieren würde.

Schwarz vor Augen

Vor ihren Augen wurde es schwarz und einen Augenblick lang meinte sie, ihr sei etwas auf den Kopf gedonnert oder der Stress der ersten Moderationen sei doch zu viel gewesen, aber es war nur Ramon, der ihr mit seinen Händen die Augen zu gehalten hatte.

«Überraschung, Überraschung!», rief er begeistert, obwohl sie verabredet waren. Oceanna bot an noch eine Runde an der Bar holen zu gehen, um ihren schmerzenden Hintern zu entlasten, doch Ramon war schon auf den Beinen. Als Kameraperson blieb ihm selbst nach langen Drehtagen und seltsamen Entscheiden der Bosse immer noch viel Energie.

-Hat etwas mit der frischen Luft zu tun, dachte sie, ohne jemals wirklich danach gefragt zu haben. Aber Ramon war OK und er lieferte dank seiner weltgewandten Art und seinem Status als Stammgast im Fritz und Fränzi zwei Aperol Spritz überraschend schnell, was im Anbetracht der Lage hilfreich war.

«War das jetzt nicht doch sehr langweilig? Ich meine, was sollen die Leute damit anfangen?»

«Dass es Sogge-Hitsch nicht mehr gibt, ja das ist tragisch.»

«Aber darum ist es doch gar nicht gegangen, oder?»

«Oh, Shit, aber ich bin nur der Kameratyp, aber ich hoffe, es hat gut ausgesehen und alles war scharf. Cheers.»

«Buen Saira», Oceanna hatte den ganzen verdammten Nachmittag Moderationen vor Roboter-Kameras aufgenommen, die seltsame Geräusche von sich gaben, wenn sie da über die Schienen glitten, ein Sound, der ihr nicht geholfen hatte, weniger nervös zu werden.

«Cheers, danke für den Drink, ich hoffe, ich war nicht allzuschlecht.»

«Iss ok, iss schon ok, doch, doch ganz gut.»

«Es ist doch langweiliger Scheiss und wir machen das die ganze Zeit, irgendein alter Idiot der über seine Geissen, Kühe oder sonst ein Vieh jammert und gleichzeitig essen wir dann in einem Kaff, wo sie die Schule dichtgemaht haben. Wo ist da die Logik?Viecher vor Schülern?»

Ramon streckte sich, lächelte cool und sie war nicht sicher, ob er wirklich nur mit dem Autoschlüssel in seiner Hosentasche spielte: «Das ist Fernsehen, Oceanna, es ist das Schweizer Fernsehen, aber du bist jetzt Moderatorin, da hilft jetzt Nachdenken nicht viel weiter.»

Immerhin war seine Hand jetzt wieder an der frischen Luft.

Wölfe und Teufel

Einige Drinks später – «Diavel portiat» – war sie bereit ihre Bedenken zu vergessen, obwohl sie noch immer nicht ganz sicher war, dass Teufel und Wölfe die wirkliche Bedrohung in diesen Alpen waren. Ramon war in seinem Element und sein Lachen nach einigen von diesen Gin aus den kleinen Fässern ansteckend. «Lange Tage, lange Nächte», flüsterte er in ihr Ohr. Oceanna bestellte trotzdem ziemlich schnell einen Uber.

In der Stadt war die Luft nicht frisch, betrunken, wie sie war, dachte sie die Luft roch wie ein gebrauchter, lauwarmer Handschuh und einen Augenblick lang vermisste sie die Höhe, doch dann kam ihr Auto und sie war froh, ihre erste Moderationsschicht hinter sich gebracht zu haben. Als sie aus dem Wagen stieg, fragte sie der Fahrer, was «Buen Saira» denn eigentlich bedeute. Sie sagte nur «Diavel Portiat» und schwankte auf ihr anonymes Hotelzimmer zu.

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Autor: Andy Strässle

Andy Strässle umarmt Bäume, mag Corinne Mauch und verleugnet seine Wurzeln: Kein Wunder, wenn man aus Blätzbums stammt. Würde gerne saufen können wie Hemingway, hat aber immerhin ein paar Essays über den Mann zu stande gebracht. Sein musikalischer Geschmack ist unaussprechlich, von Kunst versteht er auch nichts und letztlich gelingt es ihm immer seltener sich in die intellektuelle Pose zu werfen. Der innere Bankrott erscheint ihm als die feste Währung auf der das gegenwärtige Denken aufgebaut ist und darum erschreckt es ihn nicht als Journalist sein Geld zu verdienen.

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