in

Mauern einreissen

Wir liegen da wie einsame Wölfe,
wie die Wölfe, die lautlos durch die dichten Wälder unserer Seelen pirschen.
Wir sind diese Wölfe, wie wir hier auf der Matratze liegen.
Sie ist bodenlos und endlos wie das tiefste Meer.
Und wir verlieren uns darin.
Wenn ich meine Augen öffne, zucken sie,
jagen die Lichter, die sich mit jedem Wimpernschlag vermehren.
Ich habe Angst.
Ich schliesse meine Augen und tauche ins Licht.
Jetzt ist mein Blick ruhig, nach innen gerichtet.
Ich atme laut und stöhne auf.
Mein Herz schlägt schnell, ich kann es schlagen sehen.
Ich kann meinen Herzschlag sehen.
Mein Herz rast so laut, als wäre es überall,
als wäre es unendliches Leben,
als wäre ich nichts anderes als mein eigener Herzschlag.
Ich habe keine Angst mehr,
ich treibe auf Wasser,
ich bin in Watte gepackt,
ich pflücke die Früchte, die das Leben mir geschenkt hat,
ich höre dir zu, wie du leise kicherst.
Du kicherst über den surrealen Anblick vor deinem inneren Auge.
Wir sprechen über unsere tiefsten Geheimnisse.
Und doch sagen wir nichts – habe ich das nur erdacht?
Meine Zunge ist schwer, wenn ich spreche.
Ich klinge wie jemand anderes, wenn ich spreche.
Ich fühle deine Worte, sie dringen in mein Herz ein.
Ich fühle, wie du dich wehrst.
Ich fühle, wie lange schon du diese Worte mit dir herumgetragen hast,
ohne sie jemals auszusprechen.
Ich fühle deine Haut auf meiner,
in meiner.
Wir sind ein einziger Organismus,
ein wilder Kreis,
eine Pflanze mit kräftigen Ranken.
Wir sind ein und dieselbe Person und unsere Haut ist ein Magnet.
Meine Haut zieht deine Haut an.
Wir schlagen Wurzeln in die Matratze, die nun unser Refugium ist.
Ich spüre prickelnde Wasserstrahlen in meinem Mund,
du wässerst mich.
Das Wasser schiesst in meine Wahrnehmung,
kitzelt meine Lethargie.
Wir können uns nicht bewegen, unsere Hüllen schwitzen.
Manchmal verlieren wir unsere Worte.
Manchmal spricht meine Haut zu deiner Haut.
Die beiden sprechen dieselbe Sprache.
Jetzt stehen wir auf und meine Augen zucken nicht mehr, nicht im Moment.
Aber mein Blick verwehrt sich der Welt.
Wird das so bleiben?
Wir stehen draussen im Schnee.
Der Wind ist eisig, doch ich fühle nichts.
Mein Körper macht, was er will.
Er will sich setzen,
er will sich schwingend wiegen,
er will dich umarmen,
er will sprechen,
sprechen,
sprechen,
er will laut atmen, wenn du dich auf mich legst,
er will zucken, wenn du mich berührst,
er will zu warmer Erde werden, wenn er sich wieder hinlegt,
er will lächeln, wenn wir Magnete sind.
Aber er weint keine Sekunde lang.
Ich muss die Augen wieder schliessen.
Ich sehe Musik,
ich höre die Musik in mir,
ich spüre, wie die Rhythmen in meinen Körper eindringen,
mein Herz zum Beben bringen,
ich sehe die Melodien und ich sehe die Bässe,
ich sehe die Verwirrungen der Musik,
die Beschaffenheit der Musik,
die Lichter der Musik,
ich sehe, was die Musik mit mir macht,
ich sehe die immer selben Saiten einer Gitarre schreien, vibrieren, klirren.
Meditativ.
Mein Kopf will wippen,
meine Arme wollen Wellen schlagen,
meine Finger wollen imaginäre Tasten drücken.
Und ich lasse es geschehen.
Ich spüre alte Geister um mich herum.
Ich sehe rote Kreise und längst vergessene Muster,
die sich in mein Gehirn brennen,
die mich nach Hause bringen,
die vor meinem inneren Auge zur Musik tanzen.
Sie tanzen und drehen sich um sich selbst.
Und die Kreise werden zu tanzenden, pulsierenden Schlangen.
Das Rot leuchtet von innen, es wechselt die Farbe und bleibt doch das ein und dasselbe Rot. Es wird blau und grün und gelb.
Und doch bleibt das Rot.
Ich öffne die Augen und sehe dich, klar und deutlich.
Wir reissen Mauern ein, in dieser Nacht,
wir zerschlagen jeden Stein, der uns im Weg steht,
wir stimmen uns auf einander ein,
wir verlieren unsere Körper,
wir verlieren unsere Seelen,
wir verlieren unsere Augen, in dieser Nacht.
Und doch können wir nur gewinnen, in dieser Nacht.
Ich komme nicht zur Ruhe.
Meine Hülle liegt neben deiner und bewegt sich nicht.
Aber mein Kopf rennt, unaufhörlich.
Und meine Augen sind explodierende Sterne,
sie wollen nicht schlafen.
Als hätten sie Angst, den neuen Tag zu verpassen.
Mein Kopf kämpft,
meine Seele kämpft,
sie kämpfen um ein kleines bisschen Ruhe.
Die Sonne geht auf.
Und wir sind noch immer ein einziger Organismus,
ein wilder Kreis,
eine Pflanze mit kräftigen Ranken.
Bald wird’s vorbei sein.

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Autor: Susanne Grädel

Susanne Antoinette Grädel, wurde am 01.08.1990 in Bern geboren und hat einen Abschluss als Fotografin HF von der F+F Schule für Kunst und Design. Susanne schreibt Gedichte und Belletristik, malt, fotografiert und filmt. Seit über zehn Jahren versucht sie, ihre komplexen Gedanken und ausufernden Gefühle mit Lyrik und Belletristik in die Aussenwelt zu tragen. In ihren Texten untersucht Susanne die Melancholie in alltäglichen, ephemeren Situationen und entdeckt das poetische Potential in abgründigen Gedanken.

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