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Nachtschichten

Ungleiches Paar: Die Jugendaffäre der Schüler Edibe und Simon führt zu einer verschwiegenen Schwangerschaft. Als das Schweigen zum Verhängnis wird, nach dem Tod der jungen Frau Vorwürfe gegen das Spital und die Krankenkasse laut werden, kämpfen eine Anwältin und eine ehemalige Kommissarin gegen Windmühlen.

Courtesy Of Unsplash and Erik McLean

«Warst du die ganze Nacht hier? Und hast nicht einmal gemerkt, dass die Heizung nicht funktioniert?», fragte Emma Mannie ihre neue Arbeitskollegin Anwältin Gabriela Pryzbelywski.

«Du solltest wissen, dass das zu viele Fragen aufs Mal sind, um sie einfach so beantworten zu können.»

«Zwei Fragen sind zuviele aufs Mal? Hirn eingefroren?»

Schlaflose Nacht hin- oder her, Gabrielas Augen sahen unmenschlich klar aus, so als sähen sie Dinge, die niemand sonst jemals sehen können würde. Obwohl Emma frisch geduscht war, fühlte sie sich im neuen Büro in der Seitenstrasse sofort wieder dreckig. Immerhin waren die Stühle neu.

«Das ist ein Loch hier und am Briefkasten haben sie den Namenszettel schon wieder abgerissen.»

«Was ist da schiefgelaufen?», überging Gabriela die Briefkastenthematik.

Emma holte ihre Notizen aus der Manteltasche und versuchte die Eckdaten des Falles so präzise wie möglich zusammenzufassen.

«Viel hat nicht gefehlt und du verstehst, wir sind in einem reichen Land und die Ärzte sind nicht wirklich schlecht.»

Was war schiefgelaufen? Warum sass Emma nach einer Karriere als Kommissarin in der kleinen Stadt, einem Job bei einer NGO in Zürich und Strandurlauben in Ägypten plötzlich in einem verlotterten Büro in einer Seitenstrasse im Kleinbasel und machte sie sich Sorgen, ob sie Flöhe, Bettwanzen oder sonstwas einfangen würde, und ja, Sorgen um ihre neuen Schuhe machte sie sich auch.

Die Geschichte mit dem «Pech»

Emma sagte:«Es geht um die Versicherung, die Klinik hat sich …»

«Wir werden irgendwann ein besseres Büro haben, aber hier geht es um den Tod eines Babys und niemanden interessiert es. Darum sind wir hier.» Gabriela wirkte hinter ihrem Second Hand Schreibitsich, als könne sie auf einer Müllhalde schlafen und sie hätte trotzdem keine Falte in der Bluse oder Dreck auf der Hose. Emma dachte, sie sollten endlich die Böden machen lassen, es würde sie weniger jucken.

«Im Jahr stirbt vielleicht ein Baby in der Schweiz, es könnte Pech gewesen sein.»

«Das ist deine Meinung? Als Ermittlerin?» Gabriela stand auf, beugte sich über den Tisch, wirkte wie eine alte Oma.

Emma, gestählt von unzähligen Rapporten als Beamtin, widerstand der Versuchung die Haare auszuschütteln, konzentrierte sich und legte den Fall dar.

Versicherungsschwierigkeiten

Ein Fall, der nicht kompliziert war. Grosses Spital. Grosse Notaufnahme. Kompetenz- und Versicherungsschwierigkeiten. Eine junge Türkin, die es irgendwie geschafft hatte, eine Schwangerschaft vor ihren Eltern zu verbergen und sehr, sehr lange an der Hoffnung festhielt, sie habe einfach Bauchschmerzen.

Emma sagte, kratzte sich am Kopf, war sich sicher, sie habe Läuse: «Normalerweise funktioniert die Triage sehr gut, Ärzte, Pfleger, sie reagieren sofort, wenn es ernst wird, bei Edibe lief es schief. Sie war zu jung, die Eltern im Istanbul-Grill nicht erreichbar. Dazu hatte sie – ich muss das nachsehen – ein Aneurysma. Tut mir leid, das zu sagen, sie verblutete innerlich vor der Selecta-Maschine. Aber die Leute vom Spital, du hättest sie sehen sollen, die haben geheult, wie die Schlosshunde. Im Kantonsspital hat das niemand gewollt.»

Die Frauen verliessen ihr Kühlschrankbüro. In der Seitenstrasse schliefen die Freaks noch den Schlaf der Gerechten, die Putzleute waren dabei, Besen, Eimer und andere Utensilien in Auots zu laden, die vielleicht nicht durch die nächste Kontrolle kommen würden. Ein normaler Wochentag. Noch eine Stunde bis zur Verhandlung.

Prügel

«Mein Eindruck: Die haben uns da drin verprügelt, und als wir am Boden lagen, haben sie einfach weiter zugetreten.»

Sie sassen an einem runden Tisch in der Bäckerei neben einem Museum, hungrige Leute eilten vor den Fenstern vorbei.

«Es ist der erste Tag und das wirklich ist nicht gut gelaufen», antwortete Gabriela: «Es war aber klar, dass sie argumentieren würden, dass Edibe ein schwangerer Teenager war, der medizinische Versorgung nicht ernstgenommen hat und dass es Zweifel gibt, ob das Spital so spät noch viel hat machen können.»

«Sie haben zu lange gebraucht, um diesen Scheiss mit der Versicherung abzuklären. Es ist einfach: Zuviel Bürokratie!», sagte Emma und überlegte, ob sie nicht schon einmal ein Curry-Sandwich essen sollte.

Etwas Romantik

Eigentlich war es eine romantische Geschichte, ein bisschen Multi-Kulti auch. Nach der Schule trafen sich die fleissigen Schüler Edibe und Simon um Hausaufgaben zu machen und um abzuhängen. Sie taten und mochten das immer öfter, obwohl Edibe an manchen Nachmittagen noch an der Kasse des Istanbul-Grills aushelfen mussten. Ironischerweise lebte der 24-Stunden-Betrieb in der Nacht davon, dass viele Nutten und Halbweltsgestalten an den grünen Formica-Tischen noch Pommes oder Döner assen.

Gleichzeitig getraute sich Edibe nicht, mit ihren Eltern oder auch nur mit ihren Brüdern oder Schwester darüber zu reden, dass sie mit Simon geschlafen hatte, etwas, was sie nicht bereute, aber auch nicht wusste, wie sie es einordnen sollte. Es mochte nicht die traditionellste türkische Familie sein, aber auch nicht die aufgeklärteste. Nach vielen Gesprächen und grossen Anlaufschwierigkeiten war sich Emma Mannie noch immer nicht ganz sicher, ob die Eltern – fleissige Leute, immer an der Arbeit –, realisiert hatten, was genau mit Edibe geschehen war.

Erste Male

«Da war kein Ultraschall, keine Untersuchung, nichts in neun Monaten, nachdem Edibe mit Simon gesprochen und ihn um Hilfe gebeten hatte, verboten ihm seine Eltern jeglichen Kontakt. Offensichtlich wollten sie kein türkisches Baby. Das klingt unglaublich jetzt, sie fragten ihren Sohn, ob er sicher sei, dass sie nicht noch mit anderen Typen geschlafen habe und ihm nun ihr Kind anhängen wollte», sagte Emma am Ecktisch in der Bäckerei. Keine gute Idee, gelangweilt vom Anstehen für Sandwiches drehten sich sofort die Köpfe in Richtung Fenster.

«Vielleicht übersehen wir etwas. Da sind Eltern, die ihre Kinder so gut wie möglich schützen wollen. Da sind Teens, die nicht wissen, was sie tun und es trotzdem tun. So war ich auch», sagte Gabriela Pryz…–ach vergiss es–, während sich Emma Mannie fragte, was ihre Partnerin meinte. Aber dann fragte sie es auch schon: «Du hattest dein erstes Mal mit fünfzehn?»

«Darum bist du der Detektiv, es war mit vierzehn, meine Mutter hat mich an den Haaren zur Frauenärztin gezerrt und seither nehme ich die Pille.»

«Meine Mutter wurde jung schwanger und sie wusste, wie es ist. Wir waren so schnell in der Apotheke, da konnte man gar nicht hinschauen.»

«Je früher du schwanger bist, desto länger bist du Mutter, willst du das sagen?»

«Detektivin und Psychologin? Nicht schlecht, aber wahrscheinlich, solche Sachen frage ich meine Mutter lieber nicht. Da ich Geschwister habe, denke ich, meine Eltern waren nicht unzufrieden oder unglücklich.»

Zehn Jahre bei der Polizei. Am nächsten Tag war Emma noch immer erstaunt, wie langweilig der gestrige Tag vor Gericht gewesen war. Eine Anklageschrift von dreissig Seiten. Sie hatte es nicht geschafft, alle zu lesen. Dafür wurde die ganze Story heruntergebetet, einzig dafür, dass die Anwälte und der Richter dann nochmals eine Auslegeordnung machen konnten. Zehn Jahre bei der Polizei und sie kam nicht damit klar, wie schwerfällig der ganze Prozess war. Hatte sie tatsächlich erwartet, es liefe ab wie den Fernsehserien vor denen sie regelmässig vor dem Urteil einschlief.

Heute war sie zum Kaffee verabredet. In der Cafeteria des Spitals. Da sie als Privatermittlerin keine Druckmittel in der Hand hatte, überzeugte sie einen der jüngeren und naiveren und zugegeben auch attraktiveren Ärzte davon, dass sie nicht nur auf der Seite der «Guten und der Veränderung» war, sondern vielleicht auch mit ihm ausgehen würde.

Einsicht der Krankenakten hatten sie gefordert. Fast nutzlos, aufgrund der Versicherungsabklärungen tauchte Edibe zwar im System auf, selbst die Voruntersuchung war erfasst, dabei war aber nichts Ausserordentliches aufgefallen. Ein leicht erhöhter Blutdruck vielleicht.

Im türkischen Laden in der Seitenstrasse kaufte Emma Bier. Die Büchsen würden im Kühlschrankbüro sicherlich kalt bleiben.

«Ausser Sex angeboten habe ich alles gemacht, ich muss sogar mit diesem übermüdeten Ärztebaby essen gehen, ihm sanft erklären, dass es nichts wird.»

«Detektivin, Psychologin und …»

«Mach’ nicht weiter, bitte.»

Gabriela lächelte, meinte: «Ich wollte Sexbombe sagen, aber OK …»

Zähe Nacht

Eine zähe Geschichte, die beiden Frauen gingen nochmals alles durch. Es half nichts. Das Büro wurde nicht wärmer, die Seitenstrasse nicht schöner und Emma dachte immer wieder, wie sehr sie eine Dusche brauchte. Die Geschichte blieb frustrierend. Eine junge schwangere Frau in der Notfallaufnahme eines grossen Spitals, eine gescheiterte, wenn auch nicht vergebliche Liebesgeschichte und am Ende die fehlende Kostengutsprache einer Versicherungsgesellschaft. Die Nacht vor dem dritten und letzten Prozesstag war zäh.

«Mein neuer Zweitfreund sagt, dass wenn der Notfall klar ist, dann geht alles schnell …»

«Edibe schaffte es nicht rein, was ist damit? Sie kippte vor dem Getränkeautomaten um.»

Irgendwo im Gebäude rumpelte es und Emma hoffte, es sei die Heizung. Unterdessen war draussen still geworden, manchmal johlte ein Betrunkener auf dem Heimweg. Aber hey, es war eine Seitenstrasse.

«Sie hatte einen leicht erhöhten Blutdruck, ihr Blut war ins Labor unterwegs und Edibe war jung und wirkte stark, ausser den Bauschmerzen, die Wehen waren und eben dem Aneurysma, aber da sie weder eine Ahnung hatte, was ihre Blutgruppe noch welches ihre Krankenkasse war, setzten sie sie in den Warteraum.»

«Du hast ihm die Krankenakte gezeigt?»

«Er sagt, an den Daten sei nichts falsch. Als Arzt meint er dagegen, falls ein Doktor mit ihr geredet hätte, wäre es vielleicht schneller gegangen, man hätte mehr gefragt, rausgefunden, dass es keine Voruntersuchungen gegeben habe.»

«Hätte es eine Rettung gegeben? Wenn sie schneller untersucht hätten?»

«Fentanyl, Blutverdünner, irgendsowas.»

«Sicher?»

«Mein neuer Zweitfreund sagt, wenn sie früher zum Arzt gegangen wäre auf jeden Fall, so ist es ein schrecklicher Unfall und bürokratisches Versagen und ein Albtraum. Sie hatte schon leichte Wehen und das ist für den Körper nicht leicht.»

Sex zu früh

Einige Stunden später sprach der Versicherungsanwalt von einer Tragödie, von Prävention und davon, dass manche Leute vielleicht zu früh Sex hätten. Sex ohne sich den Konsequenzen bewusst zu sein. Gabrielas vorgeladener Neonatologe bestätigte als Zeuge, dass ein rechtzeitiges Gespräch mit einem Arzt den Tod von Edibe wohl verhindert hätte. Emma sah die Tränen der Mutter und des Vaters von Edibe und war gelangweilt und angwidert zugleich. Die sterile Athmosphäre, bewusst nüchtern gehalten, half dabei wenig.

Nach drei Tagen ohne Schlaf fiel ihr auf, dass Gabrielas Augen die Laserqualitäten verloren hatten und obwohl sie nicht sicher war, ob ihre Partnerin in dieser Phase je geduscht hatte, fühlte sie sich nachdem sie durchgemacht hatten, völlig unhygienisch und zerknautscht, während Gabrielas Klamotten frisch und gebügelt aussahen. Die Frau sah aus, als sei sie am Wochenende Golfspielen gewesen und habe nach einer Massage eine schwierige, aber wichtige Biografie gelesen.

Vor dem Getränkeautomaten

Egal, Gabriela machte das Beste daraus. Sie stand auf, blieb seitlich vor dem Einzelrichter stehen und fing an: «In ihren letzten Sekunden hatte Edibe Durst, sie hatte Schmerzen, die sie für Bauchweh hielt, in Wirklichkeit hatten ihre Wehen eingesetzt, etwas, was sie nicht wahrhaben wollte und der Assistenzarzt, der sie aufgenommen hatte, sofort erkannt hatte, trotzdem setzte man sie in den Wartebereich. Versicherungsprobleme. Sie hatte Durst und wollte ein Cola. Sie hatte herausgefunden, dass das manchmal gegen ihre Krämpfe, die vermeintlichen Bauchschmerzen half.»

Der Richter schüttelte nur ganz leicht den Kopf. Zeitverschwendung, im kahlen Raum wurde es irgendwie eng. Gabriela ging auf die andere Seite der Abschrankung.

«Wir haben vieles gehört.Über die Verantwortung von Jugendlichen, sogar über Sex, es hilft aber nicht.»

Emma in einer der hinteren Reihen befürchtete bei dieser Pause, ihre Partnerin würde kotzen.

«Wir übersehen aber etwas dabei. Was wir übersehen? Sex? Verantwortung? Trotzdem stirbt eine junge Frau vor einem Getränkeautomaten, weil ihre Versicherung nicht antwortet, sie mit keinem Arzt sprechen kann, obwohl schon klar ist, dass ihre Wehen schon begonnen haben. Und wir getrauen uns hier vor diesem Gericht über Verantwortung zu sprechen, wirklich jetzt?»

Genug ist nicht genug

Das Kartonschild von Mannie & Pryzbelwski lag vor dem Briefkasten, ein Hund hatte sich daneben versäubert, die Wodkaflasche vom Trottoir schmiss Emma einfach in den Müll in der versifften Küche. Die Arbeit am Rapport über die Menschenhandelrecherche ging nach etwas Schlaf leicht von der Hand. Emma war nicht sicher, ob sie Gabriela anrufen sollte. Es war nicht gut gelaufen. Aber sie hatte das Plädoyer der Anwältin gemocht.

«Ich musste schon wieder ein neues Schild schreiben», sagte Gabriela zur Begrüssung: «Der Scheiss klebt nie richtig.»

«Du hast eine Schlabberhose und eine Jeansjacke?»

«Und eine Nespresso-Maschine, wir werden besseren Kaffee trinken.»

«Es ist immer noch kalt?»

«Du musst einfach den Abwart anrufen oder vielleicht heisst es Facility-Manager, aber dann heizen sie schon.»

Erkenntnis ist schwierig: Struktur, es dämmerte Emma, dass sie zu lange nach den Plänen von anderen Leuten gehandelt hatte. Bei der Polizei steigst du in jenes Auto, das dir zugeteilt wird. Wenn dir die Bleistifte ausgehen füllst du einen Schein aus und holst dir neue. Dir wird gesagt, wenn du zum Schiesstraining musst und wieviel Pausen du in deiner Phase des Beamtentums brauchst. Alles klar.

«Du siehst klein aus.» Trainerhose und Jeansjacke weckten Beschützerinneninstinkte.

«Ich bin klein. An was arbeitest du, sieht ganz gut aus, wichtig?»

«Naja, es ist leichter die Zuhälter festzunageln, als das, was wir versucht haben, ich konnte nicht genug herausfinden … Und ich bin vielleicht etwas gross für eine Frau, wer weiss.»

Zweifel

Gabriela wirkte noch kleiner, sah aus, als wolle sie sich in ihrer Jeansjacke verstecken, ihre Augen erloschen. Niemand konnte drei Tage ohne Schlaf in einer Nacht aufholen. Emma mochte Erfolge, sie mochte ebenfalls, dass sie all den meisten Kerlen – ausser den schlimmsten Psychopathen physisch gewachsen war – nun hockte sie mit einem weiblichen Zwerg in einem unterkühlten Büro und der weibliche Zwerg hatte den ersten Fall ohne weitere Umstände verloren.

Gabriela sagte: «Das war unsere erste Verhandlung, ehrlich gesagt, gegen eine grosse Versicherung, ein grosses Spital konnten wir das Spiel nicht gewinnen. Der Unterschied ist, dass das niemand sonst gemacht hätte. Die Hoffnung ist, dass sich Spital und Versicherung beim nächsten Mädchen mehr überlegen, sie schneller eine Konsultation bei einem Arzt bekommt.»

Es war noch nicht lange her, dass Emma selbst Teil einer riesigen Behörde gewesen war, sie verstand den Zwang von Abläufen, die Betriebsblindheit, die damit einherging, dennoch war sie enttäuscht, obwohl sie genau wusste, dass Gabriela ebenfalls Geld und Prestige bei einer grossen Kanzlei hinter sich gelassen hatte, um etwas zu verändern.

Istanbul-Grill

«Dieser Falaffel ist wirklich nicht super», immerhin waren die Formica-Tische im Istanbul-Grill einigermassen sauber. Gabriela verputzte überraschend schnell einen Döner, der viel zu fettig aussah und war dabei aufzustehen, um sich noch Pommes und einen Burger zu holen. Am frühen Nachmittag waren nicht mehr viele Gäste da. Es war schwer abzuschätzen, wie das Gespräch mit der Familie gelaufen war, die Trauer um die verlorene Tochter und das Baby überschatteten nach eineinhalb Jahren des Wartens auf eine Gerichtsverandlung noch immer Verfahrensfragen.

«Das war ein hartes Gespräch …»

«Das war’s wirklich, aber ich verstehe das», sagte Gabriela, die jetzt übermüdeter denn je wirkte. Vor den Fenstern fuhren die grünen Trams mit vernünftiger Pünktlichkeit. Limousinen warteten vor dem Hotel gegenüber, die Menschen erledigten ihre Botengänge, führten ihr Leben unter einem bedeckten Himmel, der wirkte als wäre Regen eine Erlösung für ihn.

Eine Parkbusse, einen Döner und eine Fahrt durch verstopfte Strassen später, stellte sich Gabriela Pryzbel… –ach, vergiss es – unter die Dusche, um sich ins Bett zu legen, während Emma ihren Laptop im Kühlschrankbüro holte, um ihren Report in der heimischen Wärme zu beenden.

Geblitzt

Auf dem Rückweg telefonierte Emma im Stau, total verboten, sagte ihre innere Polizistin, während sie plötzlich dachte, dass eine abgehalfterte Kommissarin und eine zwergenhafte Anwältin vielleicht nicht viel waren, aber sie die einzigen gewesen waren, die Edibe auf ihrer Seite gehabt hatte. Melodramatisch. Vielleicht. Aber auch wenn sie verloren hatten, fühlte sich die Geschichte plötzlich besser an. Dann wurde sie beim telefonieren geblitzt und der Nachmittag wurde noch teurer.

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Autor: Andy Strässle

Andy Strässle umarmt Bäume, mag Corinne Mauch und verleugnet seine Wurzeln: Kein Wunder, wenn man aus Blätzbums stammt. Würde gerne saufen können wie Hemingway, hat aber immerhin ein paar Essays über den Mann zu stande gebracht. Sein musikalischer Geschmack ist unaussprechlich, von Kunst versteht er auch nichts und letztlich gelingt es ihm immer seltener sich in die intellektuelle Pose zu werfen. Der innere Bankrott erscheint ihm als die feste Währung auf der das gegenwärtige Denken aufgebaut ist und darum erschreckt es ihn nicht als Journalist sein Geld zu verdienen.

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