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Jene vielen unheiligen Heiligen, die mir Trost gespendet haben

Bin also im Strassengraben gelandet, in einer Stadt, nach der alle Wege führen. Und, glauben Sie mir, es ist nicht Rom. Es ist wohl eher Pompeij, kurz vor dem Vulkanausbruch, San Francisco, kurz vor dem Erdbeben von 1906, Nagasaki, kurz vor der Explosion des infernalischen Fat Man.

Im Strassengraben gelandet, es regnet in Strömen, ich liege genau zwischen dem chaotischen motorisierten Strassenverkehr einer blutroten Nacht und den seelenlosen Vergnügungssüchtigen, die sich auf dem Gehsteig gegenseitig schubsen und drängen. Neuen entmenschten Attraktionen eilen sie entgegen, Innuendos des Obszönen, Überdosis vorprogrammiert…

…sowie die Leere danach. Kein Leviathan, aus diesem vermaledeiten Universum oder halt einem anderen stammend, könnte diese Leere verdrängen, geschweige denn ausfüllen.

Die Welt stirbt, sagt mir mein fiebriges Hirn, wie ich da im Strassengraben liege.

Aber ich werde vorher abtreten, mit einem betrunkenen Schwanengesang, der kein einziges Wort der Anklage enthalten soll, der vielmehr das Leben feiern wird und all die wunderschönen Verirrungen und Verwirrungen des Körpers und der Seele, die mich in diesen Strassengraben geworfen haben.

Trotzdem bin ich dankbar…

…für die Hitze und die Glut, für die Kälte und das Eis, für Lust, Liebe, Hass, ja sogar für die enttäuschten Erwartungen. Das Nichts, denke ich, mein nächstes Ziel, wird doch um einiges weniger zu bieten haben. Doch das Nichts, denkt da etwas anderes in mir, ist jenes Wasser, in dem sich alles Leiden auflöst, wie Zucker im Morgenkaffe vergeht, bei Anbruch eines neuen Tages, der vielleicht der schlimmste Tag deines Lebens sein wird oder der beste.

Doch was ist schon gut?

Ich liege hier im Strassengraben. Und jenes Grosse, Wesentliche, Prägende marschiert mir durch den Kopf, das ich in meiner Zeit kennenlernen durfte, eine Kavalkade der Wehmut: St. Perdurabo, St. Django Reinhardt, Sta. O, Sta. Kali, Sta. Cecilia, die in der Santerie mit Oshun synkretisiert wird, Orisha des frisch fliessenden Wassers, des erotischen Übermuts. Dazu kommen noch die vielen weiteren unheiligen Heiligen, die mir Trost gespendet haben, natürlich sind auch Ctulhu, Madame Laura, Bugs Bunny mit von der Partie. Sie winken mir fröhlich zu, die Noten, die Buchstaben, die Zeichen; die Fragen und Erkenntnisse, Farben und Linien, Titten und Ärsche.

Obwohl ich im Strassengraben liege, Whisky-Flasche in der rechten Hand, schaffe ich es gerade noch, meine linke Faust zu erheben, zu einem letzten Salut, an den Wahnsinn, das Wagemutige, das Wahre.

Und ein weiteres Mal rinnt mir der reine Schauer des Lebens übers Rückgrat runter, einer Champagner-Dusche gleich.

Im Strassengraben gelandet. Und ich wühle in der Tasche meines alten grauen Staubmantels, nach einer Zigarette, jener letzten Zigarette, die man nicht einmal Todeskandidatinnen und Todeskandidaten vorenthält, jedenfalls dort nicht, wo ich herkomme. In jener gloriosen Gegend nämlich, wo der Milchmann mit der Glatze an sonnigen Nachmittagen sanft die Hausfrauen fickt, auf dem Küchentisch, während die Ehemänner im Büro von jenen Sekretärinnen stundenlang geblasen werden, die unter den Pulten knien.

Doch finde ich in meiner Manteltasche keinen Sargnagel, sondern etwas komplett anderes, einen Lazy Girl String Tanga von Anais Lingerie nämlich. Ein Memento, das mich an einen meiner Geburtstage erinnert. Lange ist es her. Ich bin heimgekommen. Da stand eine riesige Torte im Wohnzimmer. Ich bestaunte das Backwerk für einen Moment.

Und dann bist Du aus dem Tortendeckel hervorgebrochen, wie ein Springteufel aus seiner Kiste, in opulenter Reizwäsche, mit Stiefeln. Du hattest Dich für mich eingebacken. Darauf folgte ein fröhlicher Nachmittag, gefolgt von einem noch spassigeren Abend.

Spasiba, flüstere ich.

Und eine alkoholische Träne rollt mir in den Hemdkragen.

Im Strassengraben liege ich. Und da tragen sieben Herren plötzlich eine massive Dame, einen wahren Wal, sie trägt ein quer gestreiftes Badekleid aus den 1920ern, über den Gehsteig. Sie ist wohl eine Vierteltonne schwer. Die Herren wollen dieses Monstrum gewiss in den Club Jerome bringen, einen Sexpalast, der gleichzeitig noch eine Sushi-Bar, eine Bowling-Bahn und ein Schreberschlachthof ist. Sie sind merklich in Eile. Plötzlich entgleitet ihnen die Last. Die massive Dame fällt…

…in den Strassengraben. Direkt auf meinen abgemagerten Leib. Der Aufprall tötet mich sofort. Ich freue mich – über diesen adäquaten Abgang.

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Autor: Christian Platz

Lebt in Basel. Arbeitet überall. Reist recht viel. Vor allem nach Asien. Und in den Deep South der USA. Verdient sein Geld seit über einem Vierteljahrhundert mit Schreibarbeiten. Vorher hat er als Pfleger in einer Irrenanstalt gewirkt. Hat mehrere Bücher veröffentlicht. Spielt seit 40 Jahren fanatisch Gitarre, zwischendurch singt er auch noch dazu. Schreibt unter anderem für Kult. Ist manchmal gut aufgelegt. Manchmal schlecht. Meistens so mittel. Sammelt Bücher, CDs, Filme, Artefakte. In einem psychisch leicht auffälligen Ausmass. Verfügt, bezüglich der Dinge, die er sammelt, über ein lexikalisches Wissen. Platz ist einerseits ein Wanderer auf dem Pfad zur linken Hand. Andererseits Neofreudianer mit Waffenschein. Liebt Blues und Voodoo, Rock'n'Roll und die schwarze Göttin Kali. Trinkt gerne Single Malt Whisky aus Schottland. Raucht Kette. Ist bereits über 50 Jahre alt. Macht einstweilen weiter. Trotzdem wünscht er nichts sehnlicher herbei als die Apokalypse.

WARNHINWEIS:
Dieser Mann tritt manchmal als katholischer Geistlicher auf, stilecht, mit einem besonders steifen weissen Kragen am Collarhemd. Dies tut er in gänzlich irreführender Art und Weise und ohne jegliche kirchliche Legitimation. Schenken Sie ihm - um Gottes Willen - keinen Glauben. Lassen Sie sich nicht von ihm trauen, ölen oder beerdigen. Lassen Sie sich von ihm keinesfalls Ihre Beichte abnehmen. Geben Sie ihm lieber Ihr Geld.

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