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Die Melancholie

Sie schleicht sich in meine Nächte, sobald der erste Herbstnebel die Strassenlaternen umschliesst,
ihr Licht in einen milchigen Schleier taucht.
Manchmal grüsst sie mich an heissen, unbeschwerten Sommertagen, wenn die Sonne die Oberfläche des Flusses in einen hypnotischen Glitzerteppich verwandelt.
Doch besonders behaglich fühlt sie sich in kalten, stillen Winternächten.
Sie kommt wie eine Naturgewalt.
Sie ist weich, niemals hart.
Sie ist wach und doch träumt sie.
Abgetrennt von Raum und Zeit denkt sie an fremde Gesichter, die ihr im Traum erschienen sind.
Ihre Welt ist farblos –
Sie strahlt in Schwarz und Weiss.
Sie flüstert mir warme Worte zu.
Ihr Hauch hallt in meinem Körper nach.
Ihr pulsierendes Echo erschüttert meine Seele.
Sie trennt mich ganz von meinem Körper, bis ich ihn nicht mehr spüre.
Ich spüre mich selbst nicht mehr.
Sie zeigt meinem Geist Farben und Formen, die nicht mal er selbst kennt.
Sie wiegt mich hin und her, bis ich frei von Gedanken bin.
Ihre Zärtlichkeit wiegt manchmal schwerer, als ich es ertragen könnte.
Sie berührt mich.
Mit ihr zu tanzen ist, wie im tiefsten Meer zu schwimmen.
Sie reisst mich mit in ihre Dunkelheit.
Gewaltlos legt sie ihre Geisterhand in meine,
haltend.
Ich folge ihr, ohne zu zögern.
Ich will gehalten werden.
Manchmal ist sie wie die Stille –
sie besteht aus dem Nichts zwischen zwei Momenten.
Sie nährt sich von dem Schwebezustand, in jenem Gedanken und Träume eins werden.
Aber die Stille ist leicht.
Und sie ist schwer.
In ihrer Schwere gesellt sich die Nostalgie zu ihr.
Die Sehnsucht nach den Geheimnissen vergangener Zeiten mischt sich mit ihrer Traurigkeit –
Eine Traurigkeit, die wie Nebel in den Baumwipfeln meiner Gedanken klebt.
Dieser Nebel haucht mir Leben ein.
Sie liebt die Schönheit ihrer Traurigkeit.
Sie schliesst mich in ihre Arme wie eine Mutter.
Sie gibt mir das Gefühl, etwas Besonderes zu sein.
Als würde sie mir Gedanken schenken, die nur ich zu denken vermag.
Sie weiss, wie sich mich einlullen kann.
Und ich wehre mich nicht.
Sie macht mich einsam.
Ihre Einsamkeit ist ein Trost.
Manchmal kann ich sie singen hören.
Sie singt von Blumen, die nur im Mondlicht erblühen.
Sie singt von zärtlichem Leiden.
Sie will mir weismachen, dass ich ganz nah am Abgrund stehe.
Ihre sirenenhafte Stimme brennt sich lodernd in meine Wahrnehmung.
Sie ist der bittersüsse Stich in meinem Herzen.
Für sie gibt es nur eine Seite, die Wolken zu betrachten.
Für sie gibt es nur dieses eine Sein, in diesem Moment.
So plötzlich könnte dieser endlose Moment vorbei sein –
Ich müsste mich nur aus ihrem trägen Strudel befreien.
Ich müsste nur gelassen lächeln.
Meine Augen werden schwer, aber sie will mich wach.
Ich darf nicht ruhen.
Sie will mich getrieben.
Ihre Unruhe ist kaum spürbar, wie ein sanftes Kribbeln auf der Haut.
Sie wird mich verlassen, sobald ich eingeschlafen bin.
Und wenn die Sonne aufgegangen ist, werde ich mich kaum an sie erinnern können.
Zeit, um meine Tränen zu trocknen.

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Autor: Susanne Grädel

Susanne Antoinette Grädel, wurde am 01.08.1990 in Bern geboren und hat einen Abschluss als Fotografin HF von der F+F Schule für Kunst und Design. Susanne schreibt Gedichte und Belletristik, malt, fotografiert und filmt. Seit über zehn Jahren versucht sie, ihre komplexen Gedanken und ausufernden Gefühle mit Lyrik und Belletristik in die Aussenwelt zu tragen. In ihren Texten untersucht Susanne die Melancholie in alltäglichen, ephemeren Situationen und entdeckt das poetische Potential in abgründigen Gedanken.

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