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«Die Frau, die sich immerzu als Opfer sieht, der traue ich nicht»

Ein bemerkenswertes Buch: Ingrid Caven spricht. In 20 Fassbinderfilmen haben wir ihrem Stern beim Leuchten zugeschaut, später hat sie mit ihrer ausdrucksstarken Stimme eine zweite Karriere gemacht, als Chansonnière. Und sie kann unglaublich gut erzählen, diese letzte deutsche Diva, die in Paris lebt, Geschichten aus einem bewegten Leben. Ihr gegenüber sass, als geschmeidige, kenntnisreiche, kongeniale Interviewerin, die Autorin Ute Cohen («Satans Spielfeld», «Poor Dogs»), die ja auch immer wieder mal fürs KULT geschrieben hat.

Dabei herausgekommen ist ein Interviewband, den man verschlingt – und dabei muss man sogar aufpassen, dass man selber nicht verschlungen wird, von diesem Erzählstrom, all diesen Abenteuern, Begegnungen und Erkenntnissen. Fesselnde Geschichten über Fassbinder, Peer Raben, Wondratschek, Enzensberger, klingende Namen, die hier jedoch keineswegs die Hauptrolle spielen.

Denn die Hauptrolle spielt der Strom des Lebens, mit seinen Scherkräften, seinem lustigen Plätschern – und jenen grausamen Stürmen, die manche Schiffe einfach verschlingen und nie mehr zurückgeben.

  • «Cohen: Wie gut kennen Sie sich, Frau Caven? Caven: Zu gut, um wahr zu sein. Am liebsten erkenne ich mich ja in dem, was andere über mich denken und sagen.»

In diesem epischen Interview, es wurde in Paris und Berlin geführt, an den Wohnorten der beiden Protagonistinnen also, geht es oft um die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts, um kulturelle Aufbrüche, frische Winde, die durch die Gesellschaft fegten, aber auch um die Dekadenz, die sexuellen Ausschweifungen, die Drogen und kulturellen Wahnbilder, die folgten, um gesellschaftliche Männer- und Frauenrollen, über die la Diva – erfrischenderweise – ganz und gar eigenwillige Ansichten pflegt.

  • «Cohen: Hierarchien und Macht spielen offenbar eine grössere Rolle in der Liebe, als man gemeinhin denkt. Auch bei Ihnen und Fassbinder? Caven: Es war geradezu eine fixe Idee von ihm, dass alle Männer mich wollten, da hat er sich verhalten wie ein klassischer Idiotenmann. Andererseits hat Rainer, der sich richtig an mir festgebissen hatte, immer wieder gemeint, wir müssen eine andere Art Liebe ausprobieren, ausserhalb der gängigen Rollensysteme.»

Kulturapokalypse und Auferstehung, der Kreis scheint abgeschritten, doch das Leben geht weiter. Denn dieser Interviewband ist keineswegs nostalgisch, auf diesen Seiten findet keine Verklärung statt, dafür sind die Fragen und Antworten der Damen zu scharf formuliert, bezüglich der Vergangenheit, aber auch der heutigen Zeit.

  • «Cohen: Wie weit reicht der Aktionskreis eines Künstlers? Caven: Heutzutage gesellschaftlich wirksam zu werden ist für uns Künstler nicht mehr möglich. Das heisst aber nicht, dass wir aufhören sollten, zum Beispiel die Demokratie auf Teufel komm raus zu verteidigen!»

«Chaos? Hinhören Singen», das ist ein ganz besonderes Gesprächsbündel, ein Bändchen, das ich in Ehren halten werde.

Chaos? Hinhören Singen, Ingrid Caven. Ein Gespräch mit Ute Cohen.Verlag: Kampa Salon. ISBN 978 3 311 14023 8

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Autor: Christian Platz

Lebt in Basel. Arbeitet überall. Reist recht viel. Vor allem nach Asien. Und in den Deep South der USA. Verdient sein Geld seit über einem Vierteljahrhundert mit Schreibarbeiten. Vorher hat er als Pfleger in einer Irrenanstalt gewirkt. Hat mehrere Bücher veröffentlicht. Spielt seit 40 Jahren fanatisch Gitarre, zwischendurch singt er auch noch dazu. Schreibt unter anderem für Kult. Ist manchmal gut aufgelegt. Manchmal schlecht. Meistens so mittel. Sammelt Bücher, CDs, Filme, Artefakte. In einem psychisch leicht auffälligen Ausmass. Verfügt, bezüglich der Dinge, die er sammelt, über ein lexikalisches Wissen. Platz ist einerseits ein Wanderer auf dem Pfad zur linken Hand. Andererseits Neofreudianer mit Waffenschein. Liebt Blues und Voodoo, Rock'n'Roll und die schwarze Göttin Kali. Trinkt gerne Single Malt Whisky aus Schottland. Raucht Kette. Ist bereits über 50 Jahre alt. Macht einstweilen weiter. Trotzdem wünscht er nichts sehnlicher herbei als die Apokalypse.

WARNHINWEIS:
Dieser Mann tritt manchmal als katholischer Geistlicher auf, stilecht, mit einem besonders steifen weissen Kragen am Collarhemd. Dies tut er in gänzlich irreführender Art und Weise und ohne jegliche kirchliche Legitimation. Schenken Sie ihm - um Gottes Willen - keinen Glauben. Lassen Sie sich nicht von ihm trauen, ölen oder beerdigen. Lassen Sie sich von ihm keinesfalls Ihre Beichte abnehmen. Geben Sie ihm lieber Ihr Geld.

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