Der gute Hans Himmelblau und der Barbier

Der gute Hans Himmelblau öffnete die Tür zu einem schmucken, in dunkelrot gehaltenen Raum und vernahm sogleich das klimpernde Harfenspiel, welches den Lärm der Strasse noch unter dem Türrahmen zu übertönen vermochte. Es würde nicht viele Läden an dieser Strasse geben, in deren Inneren man den regen Verkehr und das Rauschen und Hupen und die Menschen um diese Uhrzeit so gar nicht hören würde – und dies wohl unter anderem auch aufgrund dieses kitschigen Harfenspieles aus dem Radio -, so dachte es sich der gute Hans Himmelblau und trat also ganz ein.

Aus einer kleinen Hintertür trat nun der anscheinend türkische Barbier, er nannte sich Cacikci Çocuk – zumindest stand dies so in grossen Buchstaben auf der Eingangstür und dies sah für Hans Himmelblau irgendwie türkisch aus -, in den Raum und grüsste mit einem breiten Lächeln im Gesicht und einem sympathischen Kopfnicken, welches gleichzeitig ein klein wenig auch schon in Richtung des noch freien Stuhles in der Mitte des Raumes deutete. Also setzte sich der gute Hans Himmelblau und zog seinen Hut vor Cacikci Çocuk und um sich die Haare schneiden zu lassen.

Sie hatten vom Mond gesprochen, welche zu dieser Jahreszeit bereits am späten Nachmittag am Himmel stand, von den Strassenlaternen und vom Wetter. Oder wie Cacikci Çocuk zu sagen pflegte: „Hier immer kalt. Auch wenn warm draussen.“ Und erst, als der gute Hans Himmelblau sich vom gemütlichen Stuhl erheben wollte – die Haare indes viel zu kurz, doch er traute sich aus Respekt nicht, etwas zu sagen – sah er das kleine Schild über dem Spiegel, auf welchem mit dickem, schwarzen Filzschrift geschrieben stand: „Wer schon ein Mal hier war – 10% Rabatt“.

Der gute Hans Himmelblau runzelte die Stirn und wies den Barbier nach kurzem Überlegen schliesslich höflich – und mit seiner sanftesten Stimme – darauf hin, dass man das Wort „mal“ in diesem Fall wohl klein schreiben würde. In Cacikci Çocuks Gesicht erhoben sich die schwarzen, dichten Brauen, derweil seine dunklen Augen gleichzeitig immer grösser wurden. Der Barbier schien einen Moment lang erstaunt ob der Aussage des fremden Kunden. Und schliesslich fragte Cacikci Çocuk mit skeptischem Unterton nach, ob sich der fremde Kunde bei seiner Aussage denn auch sicher sein würde. Weiter erkundigte er sich – im gleichen Atemzug – auch, ob wenn es denn tatsächlich so sein würde, wieso denn dem so sei und ob, wenn es denn auch wirklich so sein würde, es dafür denn auch eine Regel gäbe.

Der gute Hans Himmelblau war sich nun plötzlich doch nicht mehr ganz sicher. Er kannte keine genaue Regel zu seiner Behauptung, sondern hatte zuvor bloss gedacht und gemeint, das Schild würde besser – und irgendwie richtig (das Wort „richtiger“ gäbe es wohl nicht, dachte sich der gute Hans Himmelblau nun für einen kurzen Moment) – aussehen mit einem kleinen „mal“. Trotzdem wollte er sich vor Cacikci Çocuk keine Blösse geben und behauptete drum mit einem leichten, aber selbstsicher wirkenden Nicken: „Immer wen man aus ‚mal’ das Wort ‚einmal’ machen kann, schreibt man es klein. Und wenn es mehr als einmal ist, dann auch. Zum Beispiel paarmal.“ Und der gute Hans Himmelblau fügte weiter an: „Ausser du willst explizit betonen, wie viele Male es denn sein sollen. So hätte hier aber nur Rabatt, wer erst ein einziges Mal sich von dir die Haare hat schneiden lassen. Das ist die Regel.“

Als der gute Hans Himmelblau zuhause angekommen war, zündete er sich eine Zigarette an und versuchte im Internet die richtige Definition des kleinen „mal“ zu finden. Nach fast einer Stunde war sich Hans Himmelblau noch immer nicht sicher, ob seine Behauptung denn nun richtig sein würde oder nicht. Auf manchen der empfohlenen Seiten wurde mehrere Tausend Buchstaben lang irgendein Nonsens erklärt, den sich kein Mensch merken können würde. Auf anderen Seiten (die unter anderem Mittelschulvorbereitung.ch hiessen, was dem guten Hans Himmelblau besonders verwirrte, da er es selber nie in die Mittelschule geschafft hatte) musste man jene Sätze mit dem kleinen „mal“ als einzig richtiger Weg auswendig lernen. Allerdings waren dies viel zu viele und doch bei weitem nicht wirklich alle Sätze mit einem kleinen „mal“.

Und so dachte sich der gute Hans Himmelblau, auch weil er keine Lust mehr auf das Internet hatte, er würde in Zukunft seine eigene Regel einfach weiter benützen. Selbst wenn er vielleicht der Einzige sein würde und die Regel zudem wohl auch nicht ganz verständlich sei für alle. Doch Hans Himmelblau verstand sie. So dachte er es sich zumindest und wusste drum auch, so für sich selber, dass die Regel irgendwie auch richtig war.

Dann erinnerte sich der gute Hans Himmelblau noch einmal an Cacikci Çocuks Worte zurück. Der Barbier reagierte auf die Regel-Ausführung Hans Himmelblaus zuvor nämlich mit einem leichten Kopfnicken, welches gleichzeitig ein klein wenig auch schon in Richtung des Ausgangs gedeutet hatte. Schliesslich hatte Cacikci Çocuk gemeint: „Manchmal ist besser, wenn unklar. Wenn besserwisserische Kunde mehr als einmal kommt, jetzt ich kann nämlich sagen, er hat keine Rabatt mehr“.

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Autor: david

Eine strategisch geschickte Inseratplatzierung

Eine Leinwand um seine Lieblingsfilme anschauen zu können