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Die Göttin in mir …

Die Dakini ist im tantrischen Buddhismus ein weibliches spirituelles Wesen. Eine Übersetzung von Dakini lautet «Himmelstänzerin». Der Tantra Buddhismus entstand als Gegenbewegung der traditionellen buddhistischen Lehren, in der man davon ausging, nur Männer könnten erleuchtet werden. Diese Annahme hält sich noch heute hartnäckig, obwohl es in der Geschichte sowohl in Tibet wie auch in Japan, China, Indien und anderen buddhistischen Ländern viele erleuchtete Frauen gab und heute viele Frauen zu Nonnen ordiniert werden. Glücklicherweise ändern sich alte Rollenmuster nun immer mehr. Das Weibliche und die Sexualität wurden und werden noch immer abgelehnt. So ist die Dakini im tantrischen Buddhismus eine wichtige Kraft, denn sie symbolisiert das Dunkle und das Ur-Weibliche. Häufig werden sie ein bisschen grausig dargestellt, mit blutgefüllten Schädeln, Dreizacken, Schwertern und Zeptern. Sie gelten als Befreierinnen von Leiden. Sie kann gnadenlos alles töten und abtrennen, was uns davon abhält, den rechten Weg zu gehen. Und diese Kraft ist nicht immer nur sanft…

Die Göttin in mir ist zornig. Sie schwingt Schwerter und vierzieht ihr Gesicht zu grausigen Grimassen. Ihre Augen quellen hervor und starren mich wütend an. Wenn ich sie so im Spiegel betrachte, macht sie mir Angst. Was will sie von mir? Was fordert sie?

«Nichts», ertönt eine ruhige, tiefe Stimme voller Liebe.

Ich erstarre.

Wie kann ein so furchterregendes Wesen so liebevoll klingen?

«Wer bist du?», frage ich zögernd.

«Ich bin deine wilde Weiblichkeit.»

«Was soll das bedeuten?» frage ich die unsichtbare Stimme.

«Ich bin Liebe. Ich bin Zorn. Ich bin Tod. Ich bin Leben.»

Langsam werde ich ungeduldig.

«Ich verstehe nicht!», antworte ich fordernd.

Plötzlich erklingt ein helles Lachen. Mir ist aber gar nicht zum Lachen zu Mute.

«Ich glaube, du hast sehr wohl verstanden!»

Wie, was habe ich verstanden? Was soll das?
Die Augen der Göttin blicken mich neugierig durch den Spiegel an.

Ich atme tief durch.

«Wie heisst du?», frage ich laut.

«Man nennt mich Dakini.»

«Und was willst du von mir?»

«Ich wecke dich auf.»

Ich schliesse meine Augen, mein Badezimmer und der Spiegel vor mir verschwimmen, lösen sich auf. Ich sehe, wie mich Dakini an die Hand nimmt. Ich scheine meinen Körper, meine Wohnung, meine Welt zu verlassen. Dakini führt mich in einen satten Garten. Endlose Fülle in Form von alten, hohen Bäumen, prallen Blumen und friedlichen Tieren. Ich blinzle in die Sonne und sehe, wie Dakini am Himmel auf den Wolken tanzt. Auf einmal scheint es, als würden zwischen den Wolken weitere Dakinis erscheinen. Weisse, schwarze, grüne, blaue, rote, gelbe… Sie alle strahlen Kraft, Freude, Leben, Liebe, Zorn, Tod und Neugeburt zugleich aus. Ich winke ihnen zu, doch sie tanzen unbeirrt weiter. Ihre Armreifen blitzen in der Sonne und erklingen wie Glocken. Sie verschmelzen mit den Wolken, dem Himmel. Sie verwandeln sich in die rauschenden Blätter der Bäume. Sie werden eins mit den süssduftenden Blüten. Sie graben ihre Hände tief in die Erde, bis sie in ihr verschwinden.

Sie geben sich hin einem wilden Geschrei, welches den ganzen Garten zum Beben bringt.

Im nächsten Moment öffne ich meine Augen und blicke erneut in mein erstauntes Gesicht im Spiegel.

«Verstehst du jetzt?», fragt die Dakini.

«Ich weiss nicht…», gebe ich zu, sichtlich irritiert.

«Sehr gut! Denn wir sind viele. Und wir stellen dein Weltbild auf den Kopf. Wir können wie eine Mutter sein, wenn du Trost suchst. Wir können unser Schwert zücken und zornig Fesseln durchschneiden, die uns in unserer Kraft hemmen. Wir können erhobenen Hauptes auf Barrikaden gehen. Wir können Altes sterben lassen und Neues in die Welt bringen. Wir sind Schatten und Licht zugleich. Und doch sind wir immer Liebe. Das Weibliche ist nicht dazu gemacht, statisch zu sein. Das Weibliche ist nicht dazu gemacht, immer lieb und nett zu sein. Das Weibliche steht fest verwurzelt in der Erde, ihre Arme zum Himmel erhoben. Wir sind nicht abgetrennt von dir. Wir sind du. Wir sind die Göttin in dir. Wenn du das Gefühl hast, verloren zu sein, haben wir den Weg in dein Herz bereits gefunden.»

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Autor: Susanne Grädel

Susanne Antoinette Grädel, wurde am 01.08.1990 in Bern geboren und hat einen Abschluss als Fotografin HF von der F+F Schule für Kunst und Design. Susanne schreibt Gedichte und Belletristik, malt, fotografiert und filmt. Seit über zehn Jahren versucht sie, ihre komplexen Gedanken und ausufernden Gefühle mit Lyrik und Belletristik in die Aussenwelt zu tragen. In ihren Texten untersucht Susanne die Melancholie in alltäglichen, ephemeren Situationen und entdeckt das poetische Potential in abgründigen Gedanken.

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