Wenn der Himmel über New Orleans weint, fliessen die Tränen zumeist in Strömen. Die Wolken entladen sich mit Macht, Regentropfen trommeln auf die sturmerprobten Dächer der traditionsreichen Distrikte dieser US-Südstaatenmetropole; des French Quarter, des Seventh Ward, des Garden District…
Und der Pegelstand des Mississippi, Old Man River genannt, schwillt bedrohlich an. Die Trommelwirbel der Regentropfen lösen für einen Moment die Rhythmen der Strasse ab, welche diese Stadt durchdringen, vom Nachmittag bis spät in die Nacht hinein.
Denn hier lebt die Musik, der Jazz, der Blues, der Funk, die Folklore.
Doch jetzt hat die Symphonie des Regens die Strassenkünstler und Marching Bands unter die schützenden Arkaden getrieben, welche die schmalen Strassen des French Quarter säumen, die sich nun für einen Moment in Bäche verwandeln. Der plötzliche Wolkenbruch hat die Musiker überrascht: Wasser tropft von Hutkrempen und Basstuba-Trichtern – und dort hinten reibt einer fluchend seine Trompete trocken.
Die Geister leichter Mädchen
Heute ist der Sturm nur kurz. Aber heftig. Er markiert den Übergang eines heissen Septembertages in eine schwüle Nacht. Die Wolken haben sich aufgelöst, ein schmaler Mond taucht den Jackson Square in fahles Licht: Die Bühne für die Wesen der Nacht ist eröffnet.
Hier steht die famose St. Louis Cathedral, das Wahrzeichen einer alten Stadt, in der unzählige Geister durch die Viertel schleichen.
Es sind die Geister der spanischen und französischen Kolonialherren, der geschundenen Sklaven, der Piraten, die hier einst ganze Stadteile beherrschten, die Phantome verstorbener Musiker, Falschspieler und leichter Mädchen, die vielleicht einem letzten, überschäumenden Besäufnis zum Oper gefallen sind – oder elendiglich verhungert.
Hier gibt es zornige, melancholische, weise Geisterwesen und die zahllosen Nachtschwärmer werden von ihnen allen inspiriert. Es sind unzählige unterschiedliche Gestalten, tote und lebende, aus vielen Regionen dieser Welt, die N’awlins oder The Big Easy, wie die Stadt im hiesigen Slang genannt wird, geprägt haben.
In kultureller und spiritueller Hinsicht. Und ganz klar, diese Stadt ist auch ein Zentrum der Voodoo-Kulte, hier GrisGris genannt, doch das ist eine andere Geschichte…
Das mörderische Feuer
Die Kathedrale schaut seit 1850 auf das Treiben am Jackson Square hinunter. Sie ist die traditionsreichste katholische Kirche der grossmehrheitlich evangelisch geprägten USA. Vorher standen an diesem Platz schon zwei kleinere Gotteshäuser.
Das erste wurde 1718 gebaut und am Karfreitag 1788 durch das ebenso katastrophale wie mörderische Feuer von New Orleans zerstört. Die zweite Kirche konnte 1794 eröffnet werden– auf ihren Grundmauern wurde später die Kathedrale errichtet.
Der Jackson Square hält einen Rekord: An keinem anderen Ort der Vereinigten Staaten wurden über einen so langen Zeitraum hinweg ununterbrochen katholische Gottesdienste abgehalten. Doch an den Wesen der Nacht, die sich täglich vor der Kathedrale versammeln, wenn die Sonne schlafen gegangen ist, hätte der Papst wohl keine besondere Freude.
Sie würden ihn wahrscheinlich eher dazu verlocken, jenen Teil des alten Rituale Romanum zu zelebrieren, der zur Grundausstattung eines jeden katholischen Exorzisten gehört: „Exorcizo te, immunde spiritus, in nomine Patris et Filii et Spiritus Sancti…“ Und so weiter…
Wegen der vielen Morde
Auf unseren Streifzügen hatten Tanith und ich in den letzten Nächten wieder mal Kontakt zu verschiedenen Kreaturen der Dunkelheit: Zum Beispiels gestern. In einem Nachtclub ohne Namen, den mir ein einheimischer Jazz-Saxophonist empfohlen hatte, der seinerseits jeden Abend im gleichen Club an der Bourbon Street auf der Bühne steht.
„Hat die Lady starke Nerven?“
Hat der Jazzmann mich, mit Seitenblick auf Tanith, gefragt. „Sicher“, sagte ich, „sie ist in der Punkrockszene aufgewachsen und glühender Fan von Horrorfilmen“. „Dann ist ja gut“, sagte er – und schreibt mir die Adresse auf einen Zettel. „Aber nehmt ein Taxi. Ihr wisst schon, wegen der vielen Morde, es kann jeden treffen…“
Keine Kameras, keine Fotos
Der namenlose Club öffnet seine Pforten erst um Mitternacht. Sein Eingang liegt im hintersten Winkel eines schmalen versteckten Innenhofs.
Über seiner Tür prangt anstatt einem Namensschild ein Bild des Teufels, der ja auch in jedem Tarotspiel vorkommt, auf der Karte Nummer 15. Der Club ist ein Treffpunkt für Wicca-Hexen und -Hexer, für allerlei Anhänger schwarzmagischer Ideen – und für Vampire. Jawohl, in New Orleans gibt es Vampire. Wir betreten den Schuppen. Streng hat uns der Türsteher die wichtigsten Regeln mit auf den Weg gegeben: „Keine Kameras, keine Fotos.“
Der Club ist ein dunkles Kellergewölbe, überall seltsame Altäre, mit ausgestopften und eingelegten Tieren sowie Knochen übersäht, Bässe dröhnen aus mächtigen Boxen, garniert mit Gesängen, die wie unheilvolle Beschwörungslitaneien klingen.
Die meiste Gäste sehen aus wie die exotischeren jener Okkult-Nachtvögel, die sich auf dem Jackson Square versammeln. Wir werden an der Bar von Andy angequatscht, ein über und über tätowierter Typ, er mag an die sechzig Jahre alt sein, mit schulterlangen weissen Haaren.
Eine knallrote splitternackte Teufelsbraut, komplett mit gespaltenem Huf, Dreizack und Hörnern, ziert sein T-Shirt. Coop-Zeugs. Andy ist ein umgänglicher Mensch, obwohl er Tanith permanent mit Anmachsprüchen überzieht, die von ausgeklügelten Zweideutigkeiten nur so strotzen, und sie zudem mit feuchten Augen auszieht – und auf seinem geistigen Bildschirm wohl ausgiebig nackt posieren lässt. Aber irgendwie schafft er es, dabei ganz charmant und intelligent zu wirken. Er arbeitet als Verkäufer in einem CD-Laden.
Er erklärt uns die okkulte Szene vor Ort, macht uns auf die Erkennungszeichen der verschiedenen magischen Gruppierungen aufmerksam, die anwesend sind. Andy sagt: „Das ist teilweise keine spontane oder lockere Szene.
Viele der Leute hier sind straff organisiert. In Orden mit eigenen Ritualen, streng hierarchisch aufgebaut, mit geheimen Einweihungsbräuchen, manche davon sind ganz schön schaurig…“ Dann, zu Tanith gewandt: „…andere davon sind eher aufregend, die möchte ich der Lady gerne näherbringen, wenn sie Interesse hat, aber hier ist nicht der richtige Ort dafür. Ich kann Dir meine Adresse geben…“
Tanith lacht nur und sticht Andy heftig mit ihrem rechten Zeigefinger in seinen beachtlichen Big Ass-Bierbauch.
Im Becher ist Blut
Plötzlich werden alle Anwesenden unruhig und schauen zur Treppe hinüber. Ein Typ betritt den Raum. Bleich, mager wie ein Skelett, von einem schwarzen Ledercape und langen pechschwarzen Haaren umhüllt, in seiner linken Hand ein grosser, durchsichtiger Plastikbecher. Der Becher enthält eine rote Flüssigkeit. Er wird von zwei Frauen begleitet, die noch bleicher sind als er selbst.
Sie tragen Netzstrümpfe und Lederminiröcke. „Das ist Angel, hoher Offizier eines Vampirkultes “, so Andy mit gedämpfter Stimme. „Und im Becher ist Blut. Diese Leute sind echt pervers, sie leben wie Vampire aus Filmen und Romanen.
Die beiden Frauen sind seine Dienerinnen. Sie sind stolz darauf, wenn Angel ihnen Blut abzapft und es trinkt. Sie tun alles, was er will. Darunter sicher auch Sachen fürs Gemüt, die ich gerne mit Lady Tanith ausprobieren würde…
Aber im Ernst – ich mag diese Leute nicht. Sie sind okkulte Faschisten, sie sind straff organisiert, es gibt sie inzwischen in einigen Teilen der USA, sie haben sogar eine eigene Zeitschrift, sie sind böse…“
“Fermo Posta Tinto Brass”
Tanith will nun zurück ins Hotel. Doch vorher müsse sie noch schnell auf die Toilette. Sie verschwindet also im Gedränge der obskuren Gestalten. Während ich weiterhin Andys Lüsternheiten zuhören darf: Er beschreibt mir gerade die Stiefel, in denen er Tanith gerne sehen würde, nur in Stiefeln, versteht sich: “Diese Dinger, die bis über die Knie hinauf gehen, aber ganz aus so Lederriemen gemacht sind, wie Sandalen, griechisch-römischer Tempelprostituierten-Stil, wie in Caligula. Hast Du Caligula gesehen?”
Ich habe natürlich alle Filme von Tinto Brass gesehen, mein Favorit ist allerdings “Fermo Posta Tinto Brass”, naja, wir haben wieder ein Gesprächsthema: Andy mag europäische Sleaze-Filme. Hätte ich in New Orleans, Louisiana, nicht erwartet. Eher noch Russ Meyer…
Nach einer halben Ewigkeit kommt Tanith wieder zurück, sie scheint plötzlich etwas bleich geworden zu sein, aber vielleicht liegt das auch nur am fahlen Licht im Club der schwarzmagischen Zunft. Wir gehen also, Andy will unbedingt Taniths Handy-Nummer haben. Sie aber bleibt hart.
Sumpf der Träume
Wir steigen also wieder in die schwüle Nacht hinauf, winken ein Taxi ran – und lassen uns ins Royal Sonesta fahren. Im Zimmer angekommen geschieht zunächst das Unvermeidliche. Ich erspare Euch – diesmal – eine Schilderung dieser Vorgänge, liebe Gemeinde. Danach versinke ich tief im Sumpf der Träume.
Plötzlich wache ich auf, weil ich einen scharfen Schmerz am Hals verspüre… Taniths Zähne. Sie versucht mich in die Halsschlagader zu beissen. Shit, sie ist wohl auf der Toilette des namenlosen Nachtclubs von einem Vampir gebissen worden…
Ich habe gar keine Bissmale an ihrem Hals gesehen. Habe mich wohl zu sehr auf andere Körperteile konzentriert. Wie auch immer. Ich wehre mich nach Kräften. Schlage ihr die Nachttischlampe mit Wucht über den Kopf, reisse die Gideon’s Bible aus der Nachttischschublade und halte sie mit der heil’gen Schrift in Schach.
Sie faucht mich an. Ihre Zähne sind schon ganz schön lang und spitz geworden. Wie sie endlich am Boden liegt, pfähle ich sie mit einem Stuhlbein. Direkt durchs Herz… Es wirkt.
Sie liegt jetzt ruhig da – und ihr Körper zerfällt langsam und ganz brav zu Asche. Ich reibe also Weihwasser in meine kleine Bisswunde, das habe ich immer dabei, für den Fall der Fälle. Dann zünde ich jenen halben Blunt wieder an, der im Aschenbecher liegt. Ich genehmige mir einige tiefe Züge und brenne die Wunde dann mit dem Ding sorgfältig aus.
Für einen Moment riecht es nach human barbecue. Ich lege mich aufs Bett – und schlafe wieder ein. Schlafe den Schlaf der Gerechten.
Es ward ein langer, harter Tag…