Hinter dem Fenster, das Paar, draussen vor dem Fenster, das Nichts, keine Wolke am Himmel, weil halt auch kein Wetter sein kann, wenn nichts ist. Die Frau und der Mann räkeln sich in tiefen Sesseln, auf reich bestickten Kissen, mit Dämonensiegeln aus der Goetia, jenem seltsamen Buch, das inter-dimensionale Kontakte ermöglicht, die manchmal eher flüchtig, dann wieder enorm, ja schockierend handfest sein können. Fast wie das Internet, nur mitreissender, ein echtes Hullabaloo, bei dem halt schon mal die eine oder andere Existenz aufs Spiel gesetzt wird.
«Ach, die Existenz, diese Angelegenheit wird mit fortlaufender Zeit keineswegs angenehmer», sagt Lura heiser, sie trägt einen – und da kann man nun wirklich nicht «nur» sagen, dafür ist der Anblick zu spektakulär – Micro Slingshot aus spiegelnden, aus glänzenden Pailletten, dazu silberne Stiefel, so unglaublich hoch, so unglaublich eng, so herzerwärmend pornografisch.
Um es zu glauben, muss man es gesehen haben.
Nun zieht sie an einer langen, dünnen, goldfarbenen Zigarette, nach kurzem Verdrehen ihrer tiefschwarzen Augen, so schwarz wie arterielles Blut, bläst sie den Rauch der Zimmerdecke entgegen, die mit einem Motiv, inspiriert von einer Geschichte aus dem Alten Testament dekoriert ist. Es zeigt die glücklichen Trompetenbläser und die zusammenbrechenden Mauern von Jericho – sowie deren Wächter, einige stürzend, mit panisch geweiteten Augen, aufgerissenen Mäulern, andere zerschellend oder bereits zerschollen.
Ein randabfallender Rosengarten des Triumphs und des Todes.
Der Zigarettenrauch riecht einerseits organisch, fast ein bisschen faulig, gleichzeitig duftet er nach chemischer Fabrik, alter Schule, Flüssen gleich, die durch industrielle Zentren strömen, wie sie einst im Sommer riechen konnten, wenn das Wasser eine regenbogenfarbene Schicht trug.
Ein Hauch von Nostalgie.
«Plötzlich wollten sie alle exzellent sein», sagt Manus. «Sie waren einmal gut. Dann haben sie einen hochzertifizierten sowie -dekorierten Experten von der Grossen Schule geholt, ein teures Unterfangen. Er hat ihnen Exzellenz verschrieben. Dann war fertig mit gut. Schade, ich habe gut immer gemocht – und wenn es einmal exzellent war, habe ich mich darüber gefreut, denn in solchen Momenten haben sich alle Elemente zu einem ausserordentlich günstigen Arrangement gefügt, meine Laune als Kunde, die Stimmung im Betrieb, das Wetter, die Wolken, die ganze Welt. So etwas kann nur eine Ausnahme sein, sonst funktioniert es nicht…»
«Eben» wirft Lura ein. «Dann sind sie schlecht geworden, das unmögliche Streben nach Dauerexzellenz hat alle Elemente des Guten verdrängt, welche die Grundlage des Betriebs und seines Erfolgs ausmachten. So verkehrte sich die Bedeutung des Wortes Exzellenz gerne in ihr Gegenteil. Wer sich der Exzellenz verschreibt, landet in der Gülle.»
Seit da draussen, vor den Fenstern, nichts mehr ist, halten sich Lura und Manus ständig in ihrer Wohnung auf, die Dinge, die sie zum Leben brauchen, entnehmen sie täglich einer Einrichtung, welche sie «Die Klappe» nennen. Ihre Bestellungen rufen sie laut in ein elegant gebogenes goldenes Horn, welches über der wundersamen Einrichtung aus der Wand ragt.
Wie lange sind sie schon hier?
Egal, denn es ist immer schön warm. Wie es sein soll, kommt diese Wärme von unten. Lura hat die Gewohnheit entwickelt, permanent Dessous zu tragen, zunehmend knappere allerdings, unbequemere auch, denen das altehrwürdige Wort Reizwäsche eher entspricht, die allesamt aus «Der Klappe» stammten.
Manus seinerseits war immerzu komplett nackt.
Es könnte ja nun sein, dass sie in ihrer Raumblase oft sexuelle Abenteuer erleben, doch so ist es nicht. Ihr Aufzug und seine Blösse bringen lediglich neurotisch-kinesthätische Marotten zum Ausdruck, bar jeder Bedeutung. Ist es doch ausschliesslich das Lesen, das sie begeistert.
So sitzen sie in ihren tiefen, weichen Thronen, prima Furzsesseln übrigens, in die sogar eine Vorrichtung eingebaut ist, die ihnen jegliche Toilettengänge erspart, und liquidieren ganze Gesamtausgaben; Weltliteratur, Philosophie, Geschichte, Biographien. In einem früheren Leben hatten sie sich noch für Bilder, bewegte Bilder, mit Klängen unterlegte bewegte Bilder sogar, begeistert. Doch diese Begeisterung ist geschwunden, hat sich in Ekel verwandelt, nachdem das fröhliche Bilderfest zunächst zu einer beunruhigenden Bilderflut und schliesslich zu einem unerträglichen Bilderbombardement mutierte, das nur zu Asche verbrannte Synapsen hinterliess.
Und jene Leere.
In diese Leere zogen nun die Buchstaben ein, Wörter und Sätze, Absätze, hundert Seiten, tausend Seiten, abertausende von gedruckten Seiten, stille Sprache, von den Augen entziffert, vom Gehirn entschlüsselt und verdaut. Langsam und bedächtig. Das ist nun ihr Lebenselixier. Sie sind Lesefanatiker. «Bist Du jetzt durch mit dem Engels?», fragt sie. Er: «Jaja, wenn Du den Meyrink geschafft hast, bin ich sicher so weit. Danach kommt bei mir allerdings die Frau Lessing an die Reihe.»
Lesen ist für die Beiden, das versichern sie sich gegenseitig oft und gerne, das Zweibeste – «doch das Beste…», pflegen sie singend hinzuzufügen, dreimal, wie es der Teufel halt will, dabei schrauben sich ihre Stimmen in sphärische Höhen, «…ist der Tod, ist der Tod, ist der Tod».
Alle drei Tage führen sie ein, wie sie es zu nennen pflegen, «banales Gespräch», zur Erholung vom Durchsteigen unzähliger Textwände, der heutige Austausch drehte sich – wie berichtet – um Exzellenz. «In 72 Stunden könnten wir über Optimierung reden oder über jenen entsetzliche Wortpopanzen, den Begriff zielführend», so sie. Antwortet er: «Lass uns die Optimierung zuerst zerfetzen. Zielführend kann warten.» Lura nickt und sagt: «Gut. Ich stelle den Wecker.»