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Depression ist kein Zeichen von Schwäche, sondern ein Kompass zu dir selbst – und deiner wahren Stärke

Carlos Leal ist ein 52-jähriger, in Hollywood lebender Schweizer Schauspieler und Fotograf, früher Break Dance Artist, Songwriter und Rapper, mit spanischen Wurzeln. Eine der prägendsten Leitfiguren der europäischen Hip Hop Szene. 1987 gründete der charismatische Street Artist in Lausanne, zusammen mit DJ Just One, Lead-Sängerin Déborah & Co., die legendäre frankofone Kult-Combo Sens Unik. In jeder Hinsicht game changing, besonders gesellschaftspolitisch.

 

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Röschtigraben zugeschüttet – und Stress aufgebaut

Was Politikern in über siebenhundert Jahren Landesgeschichte nicht gelang, schaffte Carlos Leal innerhalb von drei Jahren – mit seiner Überzeugung und Entschlossenheit, die Welt besser machen zu können. Dieser Secondo schüttete im Alleingang vier Milliarden Hektoliter positive Energie in den Röschtigraben – und die lächerliche mentale Grenze zwischen Romandie und Deutschschweiz für immer zu. Über die Acts wie “Stress” oder “Sophie Hunger” fortan nur noch aufrecht hin und her gehen mussten – um sich gegenseitig zu umarmen. Ganz nebenbei setzte der Kopf von Sens Unik die helvetische Hip Hop Szene mit fettem Marker auf die europäische Landkarte.

 

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Lausannegeles

Als Carlos spürte, dass die Geschichte von Sens Unik erzählt war, siegte Realness über Kommerz. Alles, was die Band ausmachte, war kompromisslose Ehrlichkeit. 0,0 Prozent Bullshit. Also löste er sie auf. Um wieder bei null anzufangen. Seinem Instinkt zu vertrauen, der ihn von Lausanne nach Paris leitete, wo er Schauspieler werden sollte, um über Zürich, Berlin und Madrid in Los Angeles zu landen. Ein surrealer Roadmovie – unwirklich, spektakulär, herausfordernd.

Verlieren ist keine Option

Die Geschichte des getriebenen Idealisten, der niemals aufgibt. Den langwierigen Kampf gegen alle Widerstände vor allem deshalb gewinnt, weil er jede Chance erkannte, die sich ihm bot, geduldig blieb, sich allen Herausforderungen stellte, seine Dämonen mit dem Glauben an das Gute besiegte – und Verlieren nie als Option betrachtete. Wieso, erfahren Sie im folgenden einstündigen virtuellen Real Talk. Indem wir bewusst kein Wort über seine Rolle im Bond-Film “Casino Royale” verlieren.

Der Schuss, den Baldwyn nicht hörte – und ein Schlag, welcher Leal ausknockte

Holen Sie Popcorn, kaltes Bier, machen Sie für einmal Gebrauch der sonst völlig sinnbefreiten “Bitte nicht stören”-Funktion auf Ihrem Handy, und tauchen Sie ein, in die Welt eines der bedeutendsten Schweizer Künstler – aller Zeiten.

Hey Carlos, schön, dich wieder zu sehen. Time flies…

(Autor Sascha Plecic vermarktete Carlos Leals Hip Hop Act Sens Unik von 2004 – 2006, die beiden verbindet seitdem ein freundschaftliches Verhältnis)

 

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Wem sagst du das, Sascha. Ebenfalls. Das letzte Mal an der Berlinale-Aftershow-Party. Was für eine Überraschung!

Stimmt! Das war doch… Im Februar 2018?

Ja, genau!

Ich wohnte und betrieb meine Contentertainment-Agentur in Berlin. Aber du lebtest und arbeitetest schon längst in Los Angeles. Es war also eher unwahrscheinlich, dass du da sein würdest – als ich.

(Gelächter)

Bezeichnend ist ja, dass ich genau da zuvor all meine Agenten kennenlernte, mit denen ich heute noch im spanischen, deutschen und amerikanischen Markt arbeite. Für mich eine absolute, entscheidende Sternstunde.

Und dann tauche ich mit meiner Entourage auf…

(Gelächter)

Was grossartig war. Der Job war ja getan. Habe mich riesig gefreut, dich zu sehen.

Und ich erst, Mann! Wir kamen von einer 12-Stunden-Produktion und freuten uns nur noch auf die Party. Im Laden angekommen, unterhielt mich kurz mit Nina Burri, die im Eingangsbereich stand, nahm Getränkebestellungen auf und steuerte direkt an die Bar, lieferte ab. Schaute nach rechts: Da standst du. Wir schauten uns an, rasteten aus, umarmten uns – Plug & Play. Als hätten wir uns gestern das letzte Mal gesehen. Dementsprechend steil gingen wir. A night to remember.

Du sagst es.

(Gelächter)

Du bist gerade in Lausanne, richtig?

Ja, ich drehe hier eine TV-Serie für das Schweizer Fernsehen.

Und, wie läuft’s?

Ich geniesse es. Mit all den coolen Leuten. Ein durchmischter Cast aus Schweizern, Italienern und Franzosen.

Wann kriegen wir das Resultat zu sehen?

Ziemlich sicher 2022. Aber weisst du, das Problem als Schauspieler ist, dass du nie weisst, wann das “Network” auf Sendung geht.

Kein Plan?

Das ist nicht in deiner Hand. Was du beeinflussen kannst, ist, bestmöglich deinen Charakter darzustellen. Alles andere ist nicht unter deiner Kontrolle.

Hat das mit Covid zu tun? Oder lässt man euch Schauspieler schon immer im Ungewissen, wann etwas gesendet wird?

Schau, sie sagen dir immer, wenn sie dich engagieren: Es wird, zum Beispiel, im September 2022, ausgestrahlt. Aber dann – und glaub mir das – kann alles passieren. Mit Covid sowieso.Selbst HBO und Netflix werden dir ein Release Date nennen, das sie nicht im Ansatz einhalten werden können. Aus verschiedenen Gründen.

Das haben also Schweizer und Ami-Produktionen gemeinsam. Was ist der Unterschied, ausser vielleicht noch dem Budget?

Schau, in Sachen Qualität ist es hier bemerkenswert. Ich habe ja schon einige Schweizer Produktionen gemacht. “Der Bestatter”, dann…

Kinofilme auch, “Sennentuntschi”.

 

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Ja, aber Kino ist was anderes. Das, was hier an Budget für Fernsehproduktionen zur Verfügung steht, ist verschwindend gering. Im Vergleich zu Amerika – und wenn du siehst, was die Leute hier daraus machen: Unfassbar. Eine TV-Serie mit zehn Episoden hat in der Schweiz ein Budget von vielleicht vier oder fünf Millionen Franken zur Verfügung. Und damit werden richtig gute Resultate abgeliefert.

Wo bewegen wir uns in den Staaten?

Vergiss es, das kannst du nicht im Ansatz vergleichen. Netflix-Budgets? Come on…

(Gelächter)

In der Schweiz sind die Teams klein und kompakt. In Hollywood, Mann… Da gibt es so viele Menschen, die da in einer Produktion mitmachen, das glaubst du gar nicht. Ganze Dörfer von sogenannten Spezialisten.

Bremst das den Produktionsprozess?

Na klar. Manchmal frisst schon nur der Wechsel von einem Thema zum anderen endlos viel Zeit. In einem kleineren Team geht das fix.

Warum sind Hollywood-Produktionen soviel opulenter – für ähnliche Resultate?

Schau, Los Angeles ist für die Filmindustrie dasselbe wie zum Beispiel Genf für die Finanzwirtschaft. Lebst du in Genf, arbeitest du ziemlich sicher in einer Top-Bank oder -Versicherung. Und da eben, weil es das weltweite Zentrum dieser Branche ist, auf allerhöchstem Level – mit entsprechender Erwartungshaltung an deinem Output. In L.A. ist Film das grösste Business der Stadt. Deshalb ist es so gigantisch, allgegenwärtig und extrem professionell. Die ganze Struktur, Geschichte, Erwartung – und der weltweite Markt.

Klar.

Es gibt viel mehr Geld. Riesige Vertriebs-Power. Auch wenn du eine Serie in Frankreich oder Deutschland machst, hast du im Gegensatz zu unserer Heimat mehr Möglichkeiten, sie in anderen Ländern zu verkaufen. Die Schweiz ist nicht besonders gut darin, ihre wirklich guten Film- oder Musik-Produktionen im Ausland zu vermarkten.

In der Musik gibt es Ausnahmen.

Ja, aber Sascha – wir reden generell: Es passiert einfach nicht. So ist es.

Stimmt. Mittlerweile scheint auch in Hollywood die Kohle nicht mehr locker zu sitzen. Dieser selten absurde und tragische Unfall am Set vom Film “Rust”, den Alec Baldwyn produzierte und finanzierte, forderte ein Todesopfer. Er selbst erschoss die Kamerafrau und verletzte seinen Regisseur schwer. Mit einer scharf geladenen Waffe. Übergeben von einer Waffenmeisterin, mit unzureichender Erfahrung. Um – wie man munkelt – auch an dieser Position Geld zu sparen. Das Budget soll, für Hollywood- Verhältnisse, lächerliche sieben Millionen US Dollar betragen haben. Was sagst du dazu?

Lass mich ausholen.

Gerne.

In den letzten drei Jahren, so habe ich das Gefühl, ist die Qualität der Professionalität bedeutend schlechter geworden ist. Die auftraggebenden Streaming-Giganten verlangen nach immer mehr Produktivität. Amazon, Apple, Netflix – sie setzen die Produktionsunternehmen immer mehr unter Druck.

War das nicht auch ohne die schon immer so? Warner, Universal und all die anderen Companies – Showbusiness ist nicht seit gestern Akkordarbeit.

Glaub mir, das ist heute eine komplett andere Nummer. Viel weniger Zeit für viel mehr Erfolgsdruck. Die Teams sind überfordert, können den Erwartungen nicht mehr standhalten. Und dann machen Menschen Fehler.

Klar, verstehe ich. Und trotzdem: diese unfassbare Fehlerkette war doch zu verhindern. Auch, sorry, besoffen oder überarbeitet weiss man um die Verantwortung dieses Prozesses – der echt nicht “rocket science” ist.

Sascha, ich war schon oft an Sets, wo auch ich Waffen in der Hand hatte, weil es zur Szene gehörte. Da sind diese Patronen drin, wie heissen die nochmal?

Fake-Patronen.

Ja, die haben einen Namen. Diese, welche nur “flashen”, aber nicht…

Platzpatronen?

Genau, Platzpatronen! Und trotzdem darfst du nie nah an die Person ran gehen, die du “erschiessen” musst. Mindestentfernung ist drei Meter. Wenn die Ziele weit weg sind, kannst du ballern, wie du willst. Aber bei entsprechender Nähe musst du völlig leer feuern – mit null Munition. Die Post Production ergänzt im Nachhinein die Effekte, welche so aussehen, als hättest du geschossen – und wäre dein Ziel getroffen worden.

Simple as that. Warum war das für Schauspieler, Waffenmeisterin und Regisseur in diesem Fall so schwierig? Wie konnte das passieren?

Eine sehr sonderbare Story. Und doch könnte es eine Erklärung dafür geben. Was ich in meinem amerikanischen Umfeld gehört habe, ist, dass ein nicht unwesentlicher Teil des Teams so überarbeitet war, “that they got the fuck out of this set” – sie hielten es nicht mehr aus. Da muss eine sehr gereizte Atmosphäre geherrscht haben, die Leute waren komplett am Anschlag – und drüber.

Fair enough. Das Set zu verlassen und abzuhauen, ist das eine. Warum hat aber der offenbar kollektiv handlungsunfähige Rest weiter gemacht – ohne etwas zu sagen?

Das ist es doch: Unmittelbar davor gingen die Gewerkschaften auf die Barrikaden, demonstrierten auf den Strassen von Los Angeles. Das war eine sehr laute und intensive Veranstaltung. Wie eine Revolution. Ohne Scheiss. So machten sie auf die allgegenwärtigen Missstände aufmerksam. Mit einer klaren Botschaft: “Wir arbeiten unter diesen unsäglichen Arbeitsbedingungen nicht mehr weiter”. Die sagten schon etwas – und was sie sagten, richtete sich an ganz Hollywood. Niemand hört ihnen zu.

Alec Baldwyn postete kurz vor dem Vorfall ein Foto auf Instagram, wo er ziemlich abgekämpft, nein, erschöpft aussah.

 

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(Carlos winkt ab)

Come on, in meinen Augen war das Medienmanipulation. Erschöpft? Vielleicht auch besoffen. Ich weiss es nicht.

(Betretenes Lächeln auf beiden Seiten)

Versteh mich nicht falsch. Ich glaube nicht, dass er schuld ist. Weil da kommt wirklich immer jemand an’s Set, der Waffenmeister – oder eben die Waffenmeisterin. Die öffnen vor dir die Waffe, zeigen, dass alle Patronen fake sind, und dann wartest du mit der gegebenen Waffe bis zu deiner Szene. Dann ist das ganze Team, insbesondere der Cast, rund um die Szene dazu angehalten und informiert, sich auf Distanz zu halten.

Genau das meine ich.

Ja, es waren echte Patronen in einer dieser Waffen. Das ist sehr merkwürdig.

Da hat jemand in vollem Bewusstsein scharfe Munition auf’s Set genommen (die auch noch benutzt wurde). Wozu?

(Carlos wird zynisch)

Sascha, in einem Land, wo der private Besitz von Waffen soooo normal ist, erstaunt es nicht, wenn alle, oder zumindest einige des Teams, ihre privaten Waffen und Patronen am Set hatten. Und da etwas vertauscht wurde.

Lass uns diesen creepy Case verlassen – und weiter über dich reden. Den Filmstar Carlos Leal.

Ich bin kein Filmstar. Wenn ich das wäre, hätte ich nur Hauptrollen in Blockbuster.

Na gut, du bist Schauspieler mit Sitz in L.A – und spielst an der Seite von Daniel Craig, Mel Gibson, Willem Dafoe, Al…

(Unterbricht, peinlich berührt)

Ich bin viel mehr ein professioneller Schauspieler, jetzt seit 22 Jahren, der sein Geld mit Film verdient. Auf einem ziemlich normalen Niveau. Zeitweise auch mit sehr leeren Phasen. Wenn du aber in meiner Database nachschaust, siehst du, dass ich sehr viel gearbeitet habe.

Dafür muss ich nicht nachschauen, das weiss ich. Im Top Cast von “The Last Thing He Wanted” mit Willem Dafoe und Ben Affleck als Co-Star auf Augenhöhe zu sein, ist semi-normal.

Natürlich mache ich viele Sachen, die aussergewöhnlich sind. Und ich habe in meiner Heimat eine Vorgeschichte – mit Sens Unik. Stehe also sowieso schon im Fokus, wenn bekannt wird, dass ich in Hollywood drehe. Das ergibt in der Schweiz schnell Publicity, die danach aussieht, als wäre ich ein Filmstar. Bin ich aber, wie gesagt, nicht.

 

Wie fing es damals an – in Los Angeles?

Schau, als ich vor zehn Jahren nach L.A. kam, fing ich sofort an, intensiv zu arbeiten. War es Glück? Professionalität? Ich weiss es nicht.

Wirklich nicht?

Ich nehme meinen Job ernst, wie immer.

Das weiss ich.

Du und alle anderen Leute, die mit mir zusammenarbeiten, tun das gerne. Weil sie das merken. Natürlich passe ich nicht zu jeder Rolle – weil ich kein amerikanischer Schauspieler bin. Der erst noch einen Akzent hat. Glücklicherweise ist das nicht immer ein Nachteil. Ich kann verschiedene Akzente und Sprachen anbieten: Latino, also Spanisch, Französisch, Italienisch – und etwas Deutsch. Wenn solche Rollen verteilt werden, bin ich vielfach eine ernsthafte Option.

Es geht ja in der Filmbranche vor allem um Charisma. Schwarzenegger kann heute noch kein Englisch. Legendär auch, dass seine handvoll Sätze in “Conan, der Barbar” in der Post Production synchronisiert werden mussten.

 

(Gelächter)

Das war bei mir zum Glück nie der Fall. Natürlich sind Charisma und Acting Skills entscheidend. Da hast du schon recht. Den “klassischen” Durchbruch hatte ich noch nicht, aber mein Management in Amerika glaubt an mich. Vielleicht passiert das noch, vielleicht auch nicht.

Cool, dass du so geerdet bist. Als wir noch bei Sens Unik zusammenarbeiteten, warst du nie besonders geduldig – und maximal ambitiös.

 

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Jetzt erlebe ich dich tiefenentspannt, obwohl du gerade mit Al Pacino gedreht hast.

Es gibt eine dünne Linie zwischen ambitiös sein – und von Ambition besessen zu sein. Letzteres kann eine Menge Gift in sich haben. Das musste ich schmerzvoll erfahren – und lernen, diese Energie zu kontrollieren. Ich bin zweifacher Vater. Was für ein Signal und, vor allem, welche Energie sende ich meinen Kindern aus, wenn ich konstant am Limit laufe, dabei unglücklich bin und nur ein Lebensziel habe: Immer höher und weiter zu gehen – beruflich?

Die Frage ist auch – Was macht es mit dir? Mir kamst du früher immer vor, als wärst du auf der Flucht. Was hat dir dabei geholfen, die Prioritäten – auch für dich – zu verschieben?

Ich habe mich daran erinnert, wieso ich damals überhaupt mit Musik angefangen habe. Weil die Werke mich glücklich machten. Es ging immer um die Sache, pure Leidenschaft. Wir hatten das Glück, mit dem, was wir liebten, auch noch erfolgreich zu sein. Erfolg habe ich immer noch – aber ich ficke dafür nicht mehr mein Leben.

Warum hast du es damals getan?

Als Sohn von spanischen Einwanderern habe ich gesehen, wie sich meine Eltern den Arsch abgearbeitet haben – und nichts, also ein absolutes Minimum, verdienten. Da habe ich mir gesagt: Wenn ich schon sowenig verdiene, will ich wenigstens das tun, was ich liebe. Ich folgte also meinem Instinkt, ging all in. Volles Risiko.