Live at the Roxy

„Mist, ich muss mich im Datum geirrt haben, hier findet die Credit Suisse Senior Manager Veteranenversammlung statt“, dachte ich zunächst, als ich am 17. Mai beim Eingang zum Supermarket auf die wartende Crowd stiess und die Senioren im Anzug studierte. Doch dann sah ich Jean-Pierre durchs Tor hetzen und ich wusste, ich war am richtigen Ort: der Roxy-Revival-Party!

Der schwierigste Teil des Abends stand mir gleich zu Beginn bevor: ich musste die scharfe Prüfung von Türsteherin Suzy bestehen, um hineingelassen zu werden. Suzy ist für die Roxy-Gemeinde nicht nur eine Institution – sie ist auch absolut unkorrumpierbar. Mir erzählte sie oft genug, dass sie zu junge Frauen – also unter 30-jährige – gerne abweise, weil die hier nichts verloren hätten. Tatsächlich sichtete ich in der Warteschlange auch ein paar 20-jährige Mädchen, aber die waren schliesslich in Begleitung ihrer Grosseltern hier, die höchste wahrscheinlich keinen Babysitter gefunden hatten und so das junge Gemüse halt mitnehmen mussten. A propos junges Gemüse: genau so kam ich mir vor und zum ersten Mal verfluchte ich meine guten Gene. Warum musste ich auch ein paar Jährchen jünger aussehen, als ich und mein brillanter Geist tatsächlich waren? (Und an dieser Stelle nochmals an Midi und Marianne: Nein, ich habe mir nichts im Gesicht machen lassen!)

Aber wenn wir schon bei diesem Thema sind: für jeden plastischen Chirurgen ist ein Besuch der Roxy-Party ein MUSS: nämlich um mit der Hälfte des Publikums Kundenpflege zu betreiben und die andere Hälfte als Neukunden zu gewinnen.

Jedenfalls, als ein Rudel Ü40-Frauen in der Schlange zu selbstbewusst vor Suzy auftrat und gleich mal zurechtgestutzt wurde, war das meine Chance. Ausgestattet mit Charme und einer Rollator-Attrappe bestand ich die Selektion und war drin!

Natürlich tanzte der Bär… noch nicht. Die Musik entsprach eher der Setlist eines Thé dansants im Sprüngli. Das war auch gut, so konnte man sich wenigstens unterhalten. So sagte eine Besucherin: „Ich habe schon 10 Exfreunde gesehen.“ Und das eine halbe Stunde nach Türöffnung! Wo würde der Bodycount erst morgens um vier Uhr stehen? Bei 100?

Drei andere Frauen unterhielten sich: „Puh, ist mir warm!“
Ihre Kollegin: „Puh, mir auch!“
Die Dritte: „Ist es wirklich so warm hier oder sind wir alle schon in der Abänderung?“

Am DJ Pult gab uns Oli Stumm wieder mal die Ehre, er schaute gepflegt-kaputt aus wie immer und begann nach einer Weile, das Publikum mit fantastischen 80er Jahre Tracks zu unterhalten. „Sign of the Times“ von Prince ist Weltklasse, nur wie tanzt man dazu? Aber das schien keinen zu kümmern, die Laune stieg mit dem Alkoholpegel und richtig beeindrucken konnte an diesem Abend, wer die Leistungsfähigkeit seines Gehirns unter Beweis stellen und dich mit Namen begrüssen konnte.

Eine Frau kam mir mit ihrer Zigarette zu nahe und brannte mich am Arm. Ich erschrak und verschüttete ein wenig meines Drinks über mein Shirt. Sie: „Keine Bande, es sieht nur aus wie Sabber!“
Ah schön, dann fiel ich ja nicht weiter auf.

„Wenn schon Revival, dann richtig“, dachte ich und ging mal in Richtung Herren-WC. Dort würde sicher irgendjemand etwas für mich haben. Tatsächlich stand ein Typ mit flackerndem Blick vor einem Kloabteil, aus dem gerade ein anderer Typ heraus kam – sichtlich aufgetätscht.
„Hast Du was für mich?“ fragte ich Ersteren konspirativ.
„Ouh ja, Mann, besten Stoff! Liegt alles schon parat“, erwiderte er. Ich zwängte mich an ihm vorbei und suchte auf dem Spülkasten – nichts! Ich streckte meinen Kopf raus und raunte: „Hey, bin ich blind oder doof? Ich kann nichts finden?“ – „Doch, da!“ Er zeigte auf eine Gasflasche mit Schlauch und Mundstück. „Astreiner 1A Sauerstoff!“

Nein, so schnell wollte ich nicht aufgeben, irgendwo musste es doch einen richtigen Dealer geben. Ah, den da kannte ich doch von früher: „Du, vercheckst Du noch immer Pillen?“
„Klar! Willst Du welche? Die gehen weg wie warme Weggli, aber ich habe noch von beiden.“
„Von beiden?“
„Ja – grünen und blauen!“
„Hä?“
„Cialis und Viagra..!“

Es war sicher besser so, dann blieb ich halt beim Alkohol – wie die meisten anderen auch. Die Gespräche wurden nämlich immer interessanter.

So erzählte mir zum Beispiel Bea, dass sie mit ihrem Freund demnächst nach Ibiza auswandern würde – also ein echtes Revival-Gespräch, wie es 1976-1998 nicht besser hätte wiedergeben können. „Und was macht ihr dort?“ fragte ich.
„Wir haben eine super Geschäftsidee, aber die sagen wir keinem. Nicht dass sie uns noch jemand klaut.“ Nun, fünf Minuten später verplapperte sie sich doch und erzählte mir ihre Vision. Ich werde sie natürlich nicht verraten, aber sie ist in etwa so überraschend und unkonventionell wie wenn jemand nach Davos auswandert und dort eine Skivermietung aufmachen will.

Es gäbe noch einige witzige Anekdoten zu erzählen. Nur kann ich mich nicht mehr daran erinnern. Als ich dann früh am Morgen die Lokalität verliess, um nach Hause zu fahren, stiess ich fast mit einem Typen zusammen, mit zerzausten Haaren, etwas verwirrt dreinschauend und leicht müffelnd.
Ich: „Club Bellevue? Gonzo? Hive?“
Er: „Nein, senile Bettflucht.“

Roxy Never Dies!

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Autor: Henrik Petro

In den 90ern prägte Henrik als Moderator von Sputnik TV trotz seines Ostschweizer Dialektes die Erinnerungen der Partyjugend bis heute. Während mehrere Jahre war er Chefredaktor des gleichnamigen Magazins. Später schrieb er fürs Fernsehen (u.a. Chefautor von Dieter Moor und Rob Spence, eine Folge der SitCom "Fertig Luschtig") und produzierte auch (u.a. 150 Folgen von "Der Scharmör"). Er war die ersten Jahre von Radio Street Parade Musikchef und war dann später einige Jahre Autojournalist.

Arbeitet heute hauptberuflich als Frauenversteher, aber da er von seinen Freundinnen, BFFs, Kolleginnen und wem er sonst noch sein epiliertes Ohr leiht, kein Geld dafür verlangen kann, dass sie ihm ihre Männerprobleme in allen Details schildern, arbeitet er zusätzlich noch gegen Entgelt als Chefredaktor in einem Fachverlag. Damit sein Hirn unter dieser Belastung (und wegen Handy-Antennen) nicht explodiert oder eine Selbstlobotomie durchführt (was ihm zwar die Aufmerksamkeit von Gunter von Hagen garantieren und somit zur Unsterblichkeit verhelfen würde), schreibt er Kolumnen für kult. Am liebsten über menschliche Begegnungen. Oder überhaupt über Menschen. Oder darüber, was Menschen so tun. Oder getan haben. Oder tun könnten. Oder sagen. Oder gesagt haben. Oder sagen könnten.

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Neulich irgendwo in Amerika.

The legend of twats, pricks, slags and bollards