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…KOMMT SIE WIE EIN FEUERSTURM

Mit dem Abend kamen der Nebel und Magdalena. Letztere unerwartet. Denn die Distanz – von ihrem Planeten zu meinem – ist beträchtlich. Alles andere als ein Katzensprung. Deshalb erscheint sie hier nicht gar so oft. Wenigstens rede ich mir gerne ein, dass die Distanz der Grund für ihre seltenen, allzu seltenen Besuche sei.

Doch wenn sie kommt, kommt sie wie ein Feuersturm, der noch den härtesten Stahl zum Schmelzen bringt. Und die Schokolade war sowieso schon vorher weg.

Sie ist wahrlich Madame 100’000 Volt. Das war sie bereits in der Schule. Das war sie schon in jener berüchtigten Umkleidekabine, wo es immer recht streng gerochen hat. Doch wenn sich die Schwellkörper bis zum Bersten füllen, wird der Geruchssinn bekanntlich schön betäubt. Verdankenswerterweise.

Und hinter verschlossenen Türen – mit viel Zeit und wenigen (aber genau den richtigen) Textilien im Handgepäck – ist sie es erst recht.

Sie löst dich auf. Wie einen Zuckerwürfel, der unter einem Strahl von Absinth zergeht. Da bleiben keinerlei Bakterien übrig.

Nicht einmal jene Mikroorganismen vom Stamm 121, die sich von Eisen ernähren, deren geliebte Heimat die schwarzen Raucher auf dem Meeresboden sind.

So legt sie sich neben mich, wenn ich am Boden liege. So geht sie mit mir, selbst wenn ich zur Schädelstätte hinan schreite. So fliegt sie mit mir. In die höchsten Höhen hinauf. Wo die Luft so dünn wird, dass die dümmsten Ideen aus meinem Hirnschlamm empor kriechen. Und auch sogleich in die Realität gezerrt werden. Ohne Rücksicht auf Verluste oder Verletzungen.

Um die kümmern wir uns erst nach der Landung. Falls es überhaupt zu einer Landung kommen sollte…

Doch ich sollte mir keinerlei falsche Hoffnungen machen. Bis anhin ist jedenfalls noch immer eine Landung erfolgt. Und die war jeweils hart.

Schmerzhaft genug für tagelanges Humpeln, Zittern, Bluthusten, Galle- und Schaumkotzen. Doch nicht hart genug, um tödlich zu sein. Wenn der Tod plötzlich kommen würde. Wenn er gleichsam wie eine dicke schwarze Decke über meine Welt fallen würde. Ich hätte wohl nichts dagegen.

Doch so wird es nicht. Er wird auf jeden Fall schmerzhaft sein. Der Tod. Schmerzen über Schmerzen. Vorher nie gekannte, nicht einmal geahnte Leiden. Und – jede Wette – gerade einer wie ich wird nach dem Ende dieses Lebens wohl nicht in der Dunkelheit zerfliessen dürfen.

Sondern vor irgendein despotisches göttliches Gericht geschleppt werden, dass mich zu ewigen Höllenqualen verdammt. Oder zu einer Wiedergeburt als Silberfischchen in einem öffentlichen Scheisshaus zu Kolkata, das vielleicht sogar direkt vor dem Kalighat-Tempel steht…

Wegen jenen Todsünden wahrscheinlich, die ich mit Magdalena begangen habe.

Und jener anderen rabenschwarzen Sünden meinerseits, die sich auch noch in das Kerbholz meiner Seele eingebrannt haben, wenn mich meine Erinnerung nicht täuscht…

Doch nun steht sie vor der Tür. Magdalena. Im Nebel. Unerwartet.

Und ich spüre, dass ich lebe, dass mein Blut pulsiert. Fühle mich wie ein glühender Tauchsieder, der alsbald in einem Melassetopf versinken wird, wie ein Perlentaucher auf dem tiefsten Grund. Sekunden nur, nach seinem wertvollsten Fund.

Und sie hat alles mitgebracht. Alles, was ich will und – vielleicht sogar – brauche.

Bereitwillig, überaus grosszügig beschenkt sie mich. Um danach wieder auf ihren Planenten zurückzufliegen, der so weit entfernt liegt von meinem. Doch ich darf sie niemals fragen, wann sie wiederkommt. Weil diese Frage unweigerlich dazu führen würde, dass ich sie nie mehr empfangen könnte, dass sie nie mehr meine Laterne sein könnte, in meinem dunklen Verliess.

Wenn mich auch nur die leiseste Ahnung beschleichen würde, dass sie mir gehören könnte, wäre sie für immer weg. Denn sie empfängt meine Gedanken wie Radiowellen….

Geben und empfangen. Nichts besitzen.

So lautet die Formel von Magdalena.

So lautet die Formel der Magie…

Und die Magie, verteidigt sich selbst.

Also brenne ich wieder. Wie ein Feuerrad, das auf jener endlosen Strasse der Träume rollt, dem Irgendwo, dem Nirgendwo entgegen.

In der Hoffnung, dass meine nächsten Verwandten bald die Nachricht von meiner finalen Explosion entgegennehmen dürfen.

Einer Explosion, die mich in derart kleine Stücke zerpulvert, diese über den ganzen Kosmos – und noch darüber hinaus – verstreut, dass mich auch die findigsten Geheimpolizisten nicht mehr aufspüren können. Egal, ob sie nun im Auftrag eines despotischen göttlichen Gerichts unterwegs sind…

…oder als Agenten der Reinkarnation.

93s

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Autor: Christian Platz

Lebt in Basel. Arbeitet überall. Reist recht viel. Vor allem nach Asien. Und in den Deep South der USA. Verdient sein Geld seit über einem Vierteljahrhundert mit Schreibarbeiten. Vorher hat er als Pfleger in einer Irrenanstalt gewirkt. Hat mehrere Bücher veröffentlicht. Spielt seit 40 Jahren fanatisch Gitarre, zwischendurch singt er auch noch dazu. Schreibt unter anderem für Kult. Ist manchmal gut aufgelegt. Manchmal schlecht. Meistens so mittel. Sammelt Bücher, CDs, Filme, Artefakte. In einem psychisch leicht auffälligen Ausmass. Verfügt, bezüglich der Dinge, die er sammelt, über ein lexikalisches Wissen. Platz ist einerseits ein Wanderer auf dem Pfad zur linken Hand. Andererseits Neofreudianer mit Waffenschein. Liebt Blues und Voodoo, Rock'n'Roll und die schwarze Göttin Kali. Trinkt gerne Single Malt Whisky aus Schottland. Raucht Kette. Ist bereits über 50 Jahre alt. Macht einstweilen weiter. Trotzdem wünscht er nichts sehnlicher herbei als die Apokalypse.

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Dieser Mann tritt manchmal als katholischer Geistlicher auf, stilecht, mit einem besonders steifen weissen Kragen am Collarhemd. Dies tut er in gänzlich irreführender Art und Weise und ohne jegliche kirchliche Legitimation. Schenken Sie ihm - um Gottes Willen - keinen Glauben. Lassen Sie sich nicht von ihm trauen, ölen oder beerdigen. Lassen Sie sich von ihm keinesfalls Ihre Beichte abnehmen. Geben Sie ihm lieber Ihr Geld.

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