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mae kong delta blues

Mit klagender Stimme singt Nguyen sein Lied über die grosse Schlange Naga, die tief in den Fluten des Mae Kong wohnt, des mächtigen Flusses, der ihn und seine Familie umgibt, dessen Gezeiten ihr Schicksal sind. Dazu spielt er auf seiner uralten elektrischen Hagstrom-Gitarre, die er auf einen eigenartigen Akkord gestimmt und deren Bünde er ausgehöhlt hat – um noch mehr Obertöne aus dem Instrument rauszulocken.

An der Wand hinter ihm hängen eine Fender Strat aus den Sixties und mehrere traditionelle Saiteninstrumente. Die beiden elektrischen Gitarren stellen aber seine wertvollsten Besitztümer dar, an denen er seit Jahrzehnten herumbastelt und -schraubt, um sie für seine Musik zu optimieren. Beide Instrumente sind Überbleibsel aus dem amerikanischen Krieg, wie die Menschen hier in Vietnam jenen furchtbaren Konflikt nennen, der bei uns den Namen ihres Landes tragen muss. Sein Verstärker ist eine alte Stereoanlage aus den frühen 1980er Jahren, die er modifiziert und mit einem Hallgerät versehen hat, durch diese Anlage klingen seine Stimme und seine Gitarre leicht verfremdet, wie Botschaften aus einer anderen Welt. Der Welt der Naga.

Nguyen und die Seinen leben im kleinen Weiler My An Hung. Hier bestimmt der mächtige Fluss den Rhythmus des Seins. Schon die kleinsten Kinder befahren seine Fluten, sie setzen sich in Plastik-Waschzuber, trotzen den Wellen und der Strömung selbstbewusst – mit ihren kleinen selbstgebastelten Rudern. Die Häuser stehen auf Pfählen, schliesslich wird der Weiler jedes Jahr für zwei, drei Monate überschwemmt. „Wir lieben das Hochwasser,“ sagt Nguyen lachend, „es macht unsere Felder fruchtbar und bringt uns die Fische direkt ins Haus.“

Fische und Früchte liegen in rauen Mengen unter dem Vordach seines verwinkelten, geräumigen Hauses, in dem er mit seiner Frau und seinen fünf Kindern lebt. Duriam, Drachenfrucht, Mangostine, Rochen, Welse, Barben, frisch, getrocknet, eingeweckt, eingesalzen, – Nguyen und seine Frau kennen unzählige Methoden der Zubereitung. Und sie stellen selber Reisschnaps her, ein wärmendes, berauschendes, gefährliches Getränk, das sie lauwarm servieren. Der sechzigjährige Mann ist Fischer und Landwirt, sein ältester Sohn leitet eine Drachentanzgruppe, Nguyen ist eine wichtige Figur im kleinen Weiler am Wasser, einer mit reicher Lebenserfahrung, einer, der den anderen mit Rat und Tat zur Seite steht – doch sein Herz schlägt für die Musik. Schon seit seiner Jugend.

Angefangen hat es in der Kindheit. Mit einer traditionellen vietnamesischen Gitarre, die mit einer einzigen Saite bespannt ist, und über einen hölzernen Vibratohebel verfügt. Nguyen hat selbst schon Dutzende solcher Gitarren gebaut, denen er singende Obertöne und schimmernde Flagelot-Klänge entlockt, ihr Klang erinnert an Slide-Gitarren aus dem Mississippi-Delta. Später hat er dann die elektrischen Gitarren, die von den Amerikanern nach Vietnam gebracht wurden, für sich entdeckt, auf denen er Akkorde spielen kann, die sein musikalisches Spektrum deshalb beträchtlich erweitert haben.

Mit der Zeit ist Nguyens Wohnzimmer zu einer kleinen Konzerthalle geworden. Bis zu dreimal in der Woche versammeln sich die Nachbarn hier, um seinen Liedern zu lauschen. Die Songs handeln von Figuren aus der hinduistischen Mythologie, ranken sich um Themen aus der Mahabharata und der Ramayana, es seien eigentliche Epen, sagt der Musiker, die er aber mit neuen Botschaften und Wendungen anreichere.

Nun nimmt er seine Hagstrom auf den Schoss, spielt einen langsamen, melancholischen Lick, der beinahe von einer alten Howlin’ Wolf-Aufnahme stammen könnte, wenn er nicht mit jenen seltsamen asiatischen Erweiterungen der Pentatonik gespickt wäre – und dann setzt Nguyens Stimme ein, leicht nasal, durchdringend, klagend. Er singt das Lied von der alten Weltenschlange Naga in sein Mikrophon, das seine Frau für ihn hält. Der mächtigen Naga, die einst von den Göttern und den Riesen gemolken wurde, aus dieser Milch ist die Welt entstanden. Nguyen und die Seinen sind überzeugt davon, dass dieses urtümliche, unberechenbare Wesen heute noch im Mae Kong lebt. Er besingt die Schlange, wie einst John Lee Hooker seine Big Black Snake besungen hat.

Und für mich öffnet sich eine weitere Welt. Oft schon war ich im Mississippi-Delta unterwegs – auf den Spuren des Blues. Nun reise ich in den fernen Osten, befahre den Mae Kong. Aberhunderte von Kilometern auf dem Fluss, durch Kambodscha und Vietnam – und finde, ohne es darauf angelegt zu haben, diesen Mann, mitten im Mae Kong Delta. Und er spielt einen asiatischen Blues.

Es muss am Fluss liegen, denke ich noch, bevor mich der Sound und der Reisschnaps weit weg tragen – in jene zeitlose Präsenz der mächtigen Naga. Oder ist es the big black snake?

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Autor: Christian Platz

Lebt in Basel. Arbeitet überall. Reist recht viel. Vor allem nach Asien. Und in den Deep South der USA. Verdient sein Geld seit über einem Vierteljahrhundert mit Schreibarbeiten. Vorher hat er als Pfleger in einer Irrenanstalt gewirkt. Hat mehrere Bücher veröffentlicht. Spielt seit 40 Jahren fanatisch Gitarre, zwischendurch singt er auch noch dazu. Schreibt unter anderem für Kult. Ist manchmal gut aufgelegt. Manchmal schlecht. Meistens so mittel. Sammelt Bücher, CDs, Filme, Artefakte. In einem psychisch leicht auffälligen Ausmass. Verfügt, bezüglich der Dinge, die er sammelt, über ein lexikalisches Wissen. Platz ist einerseits ein Wanderer auf dem Pfad zur linken Hand. Andererseits Neofreudianer mit Waffenschein. Liebt Blues und Voodoo, Rock'n'Roll und die schwarze Göttin Kali. Trinkt gerne Single Malt Whisky aus Schottland. Raucht Kette. Ist bereits über 50 Jahre alt. Macht einstweilen weiter. Trotzdem wünscht er nichts sehnlicher herbei als die Apokalypse.

WARNHINWEIS:
Dieser Mann tritt manchmal als katholischer Geistlicher auf, stilecht, mit einem besonders steifen weissen Kragen am Collarhemd. Dies tut er in gänzlich irreführender Art und Weise und ohne jegliche kirchliche Legitimation. Schenken Sie ihm - um Gottes Willen - keinen Glauben. Lassen Sie sich nicht von ihm trauen, ölen oder beerdigen. Lassen Sie sich von ihm keinesfalls Ihre Beichte abnehmen. Geben Sie ihm lieber Ihr Geld.

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