Wir sassen, tranken, froren in der Kühle eines anbrechenden Tages. Wir starrten durch ein weit geöffnetes Fenster – nach draussen, wo der Regen fiel. Ein harter Regen, die Tropfen hämmerten auf Nachbars Blechdach, mal stärker, mal schwächer, jedoch immer mit Macht. Es klang, als würden Metallstifte vom Himmel fallen. Geschleudert von einem wütenden Gott, der den Laden bald schon endgültig dicht machen wird. Weil er die Geduld verloren hat. Vielleicht war es auch eine wütende Göttin.
Booze and cigarettes
Leise entwichen einige wehmütige Töne dem Radio, das auf einem Tischchen, einst von einem Kunstschreiner aus rarem Tropenholz gefertigt, im kaum beleuchteten hintersten Winkel der guten Stube steht. Eine Stimme wie aus einer anderen Welt. Eine Stimme, die vom Weinen in einer Kapelle singt. Eine Stimme, die einen Keil in den Lauf der Zeit treiben kann. Begleitet von einer schönen Geigenmelodie – wie mein alter Onkel Alfie solche Weisen gerne genannt hat. Gegen den hämmernden Regen konnte sie sich in der Dunkelheit dieses frühen Morgens akustisch nur bedingt durchsetzen. Und trotzdem ward ihr Klang unüberhörbar. Du sagtest: „Wir haben nicht einmal eine Arche gebaut.“ Ich sagte: „Ich habe ja auch keinen Traum gehabt, in dem es mir aufgetragen worden wäre.“ Der Regen trommelte weiter, ich zündete eine weitere Zigarette an. Du hast die Gläser nochmals aufgefüllt, randvoll mit starkem Schnaps. Wir hatten am frühen Abend mit dem Trinken angefangen. Neun Stunden zuvor. Du sagtest: „Möglicherweise hast Du den Traum einfach nur vergessen, manchmal vergisst man Träume…“
Sie haben ihn einfach abgeholt
Ich sagte: „Vor wenigen Stunden ist der 16. August angebrochen. Heute vor 42 Jahren ist ein König gestorben. In einem verwunschenen Land im Süden.“ Da fragtest Du: „Hat er die Götter beleidigt? Hat ihn der Blitz erschlagen? Wie einst den hochmütigen König Belsazar?“ Ich antwortete: „Nope. Die Götter haben festgestellt, dass er eigentlich zu ihnen gehört – und ihn einfach abgeholt.“ Lange Redepause – während es weiter regnete…
Poet und Lastwagenfahrer
Da sagtest Du plötzlich: „Heute vor 42 Jahren habe ich mich zum ersten Mal richtig vögeln lassen – vorher war nur Fummeln und so… Von einem Poeten, der als Lastwagenfahrer arbeitete. Er war an jenem Tag so traurig. Ich wusste nicht warum. Vielleicht war es wegen Deinem König. Ich war damals gerade in eine Anarcho-WG auf dem Land eingezogen. Wir hatten kein Radio und kein Fernsehen. Mein erster richtiger Sex war also Trost-Sex. Ist das nicht merkwürdig?“ Ich antwortete: „Wenn es Dir nicht das Herz gebrochen hat, kannst Du Dich nicht darüber beklagen… Freut mich übrigens, dass es nicht in einem Hotel passiert ist!»
Convair 880 im Traum
Später träumte ich von einem Convair 880 Jet, der von einem Lastwagen gezogen wurde. Auf einer breiten Strasse, von applaudierenden Menschen gesäumt. Polizeimotorräder vorne weg. Der Name der Maschine war in grossen Lettern angeschrieben, auf Cockpithöhe: „Lisa Marie“. Träumend dachte ich: Meine Kindergartenliebe hiess Lisa. Meine Pausenhofliebe Marie. Das ist zwar absoluter Quatsch – aber im Traum kam es mir so real vor. Plötzlich öffnen sich die Wolken und das Antlitz des toten Königs erscheint mächtig am Himmel. Mit tiefer, dröhnender Stimme sagt er zu mir: „Take care of your business boy!“ Als ich gegen Mittag aufwachte, rumorten die Worte immer noch in meinem Kopf, obwohl die Sonne schien. – Echos in einer Tropfsteinhöhle… Ich habe mir den Befehl also zu Herzen genommen, einen Kaffee gebraut, fünf Zigaretten in einem Zug geraucht und diese Zeilen geschrieben. – So I wuz takin’ care of my business, Folks – now it’s your fuckin’ turn!
Heute vor 42 Jahren ist ein König gestorben. In einem verwunschenen Land im Süden.
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