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Facebook in Real Life

Viele Menschen schimpfen ja regelmässig darüber, dass Facebook «imfall nicht das wahre Leben sei». ISCH NÖD WAHR? AHAAA!

Nun habe ich mir überlegt, wie es wäre, wenn Facebook tatsächlich die Realität darstellen würde. Was wäre, wenn wir im Facebook drin leben würden? Hier meine Vorstellung eines Tages im Facebook-Land.

Morgens, circa sieben Sekunden, nachdem der Wecker ausgeschaltet ist, wird einem als Erstes per Lautsprecher ins Gesicht gebrüllt, wie das Wetter gerade ist.  «ES RÄGNET DUSSE! OMG, RÄGE! WÄH, MINI HAAR, HE NEI! SO FESCHT HERBSCHT! ICH WOTT DE SUMMER ZRUGG, JETZT! OMG!»

Gefolgt wird die Wetterdurchsage durch die aktuelle globale VIP-Mortalitätsrate.  «Er isch eine vo ois gsi. En Brüeder. En Held. Läb wohl, Assistänt vom Yogatrainer vo de Sekretärin vo de Cameron Diaz. RIP. RIP. RIP.»

Beim Zähneputzen werden einem die momentanen Musikpräferenzen des Gspähnli aus der Parallelklasse in der Sek vorgespielt. Death Metal. Aha. Der Liebeskummer ist also vorbei! Good for him! Daneben läuft eine Diashow von Samanthas Thailandferien. Samantha am Meer. Samantha am Pool. Samanthas Curryreisblütenstroganow. Samantha und ein verlauster Affe oder Hund (wer weiss das schon so genau). Samantha am Meer …

Gleichzeitig laufen einem immer wieder Menschen in die Wohnung und sagen «Hey» oder «Ciao Bella», bleiben dann stehen und glotzen einen an. Nach zehn Minuten des Dastehens folgt ein «Hey du …» – und das geht so lange weiter, bis man sie entweder aus der Wohnung schiebt oder sie mittlerweile damit beschäftigt sind, jemand anderem in die Wohnung zu laufen und «Hey» oder «Ciao Bella» zu sagen und zu glotzen.

Wenn man nach draussen geht, begegnet man unterschiedlichen Bekannten, die sich mit irgendwelchen Leuten mitten auf der Strasse lauthals über Politik streiten. Dabei bedienen sich beide Seiten gerne der Ausdrücke «Nazi», «Kuscheljustiz» und «du lätzgfäderets Quadratarschloch». Da stehen sie und schreien und ganz viele Menschen sehen dabei zu, essen Popcorn und lachen oder rufen stupide «gefällt mir» dazwischen.

Nachdem man sich die letzten Popcornreste aus den Zähnen gepult hat, geht man weiter seines Weges. Ab und an kommt jemand von der Seite, stupst einen mit dem Finger an und rennt dann giggelnd davon. Einfach so.

Andere Zeitgenossen rennen mit einem Megafon in der Hand von Mensch zu Mensch und schreien Sachen wie «Ui, häsch zuegnoh?»«Rhythmus schriibt mer imfall mit zwei H!!» oder «Wäh, dini Frisur, hät die en Aff gschnitte?». Danach lachen sie laut und hämisch, setzen sich aber zwischendurch immer wieder wippend in eine Ecke und wimmern leise «Ich hasse mein Leben, warum mag mich niemand, wieso habe ich nie das grosse Guezli bekommen im Chindsgi?»

Immer wieder tauchen ferne Bekannte auf und drücken einem ihr Baby unter die Nase: «Lueg mis Baby, lueg. So gseht’s vo vorne uus. Und so vo de Siite. Nei jöö, lueg wie’s schlaft. Ahja, das isch na di ander Siite. Amigs hät’s chli Durchfall. Hihi.»

Wieder zuhause klingelt alle fünf Minuten jemand an der Tür. Komm an meinen Ethno-Flohmi. – Nein. (Tür zu) – Komm an die Eröffnung vom veganen Autoreifenladen/Bierbrauerei/Salsabar vom Sohn vom Stiefvater meines Freundes. – Nein. (Tür zu) – Sei einer von 3899 exklusiv geladenen Gästen bei unserer Gala zur Rettung des guatemaltekischen Regenbogenwildschweins. – NEIN. NEIN. NEIN.

Nachdem einem sieben verschiedene Freundinnen dann auch noch ihren Znachtteller in die Visage gedrückt und einem zudem gesagt haben, dass sie mit den Chicas beim Japaner ässen und, dass sie vor allem – ganz wichtig – «geliebt» oder gar «gesegnet» seien, verdrückt man sein Thunfischbrötli, um umgehend von einer Aktivistenfreundin gemahnt zu werden, dass der Thunfisch gefährdet und da bestimmt auch Delfinhirni drin sei und überhaupt, isch die Mayonnaise überhaupt fair trade?? HÄ??

Abends kann man sich dann aber entspannt in einen Fauteuil setzen und friedlich stalkend ein grosses, dickes Fotoalbum mit allen Bildern seines Schwarms anschauen. Schön.

Und den ganzen Tag hindurch, ohne dass man es merkt, sitzen in den Bäumen, unterm Dach oder auch in der eigenen Jackentasche knuffig aussehende Eichhörnchen mit grossen, runden Augen. Wenn man sie fragt, warum sie einen beobachten, quietschen sie lustig und sagen, sie seien von der Nager-Superspass-Agentur. Man denkt sich so «Jööö» und geht seines Weges.

Erst später merkt man, was die Abkürzung von Nager-Superspass-Agentur ist …

 

Bild: bloggerholiker.de

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Autor: Yonni Meyer

Yonni Meyer (*1982) wuchs dort auf, wo’s mehr Kühe als Menschen gibt. Und das war gut so. Kantonsschule in der Nordschweizer Provinz (Hopp Schafuuse). Studium im Welschland (Sprachen und Psychologie). Umzug an die Zürcher Langstrasse 2011. Seither konstant kulturgeschockt. Ende Juli 2013 Geburt des Facebook-Blogs „Pony M.“
September 2013 Einstieg bei KULT. Ab 2014 Aufbruch in die freelancerische Text-Landschaft der Schweiz. Meyer mag Blues. Meyer mag Kalifornien. Meyer mag Igel. Meyer mag Menschen. Manchmal.

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