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Berauscht von der elektrischen Nacht

Aber ach, um sein rechtes Fussgelenk der Strick, geschlungen und fest geknüpft, das andere Ende an einem knorrigen Ast befestigt, so hängt der nackte Mann am Blutbaum, wartend, nicht aber ungeduldig.

Ist das nun schon der frühe Morgen? Oder handelt es sich um den allertiefsten Unterbauch einer Nacht? Gewiss, liebe Schwester, es ist eine elektrische Nacht der pumpenden Frequenzen, Kanonaden des Lichts, der Seufzer, Schreie, am Ende dann jenes leise Stöhnen, das nichts als Ausdruck eines verzweifelten Wunsches nach Ewigkeit ist. Einer Ewigkeit des zuckenden, sich windenden, in der Gluthitze der Vorhölle sich beinahe auflösenden Fleisches, eine Ursuppe, Urszene, Unszene.

Darf am Ende ein Vorhang fallen?

Oder haben wir es mit jenem ungemütlichen Theater zu tun, in dem das Saallicht gleich nach dem letzten Wort angezündet wird?

Begonnen hat es Stunden zuvor.

Oder waren es Lichtjahre?

Das Blut der Tomaten, die Moskitostiche des Tabasco, das von jener Creolen-Insel stammt, die da Avery heisst, die Hammerschläge von Mütterchen Wodka, dieser alten Baba Yaga, die unsere Seelen derart angenehm vergiftet haben, so war die Szene beschaffen, so leicht, so selbstvergessen – zudem weisse Blitze, weisse Hitze in synaptischen Spalten.

Später der Gewittersturm, der sich heftig entladen hat, über jenem alten Theater ohne Dach. Direkt vor der Bühne hat Dein Körper gezuckt. Unter Deinem komplett durchnässten T-Shirt haben Deine Titten getanzt. Wie Gazellenzwillinge unter Lilien hüpfen mögen. – Oder waren es Rehkitzen und Rosen? Ein König hat einmal ein Gedicht darüber geschrieben, vielleicht war er auch Kaiser oder lediglich Hirtenhäuptling.

Dein Leib hat sich gebogen, Weide im Wind. In einem weiteren Sturm. Jenem Wirbelsturm der Klänge, der Grooves, der Rhythmen nämlich – und wunderbar laut waren sie –, welche die Piraten und ihre geilen Flintenweiber auf der Bühne entfachten.

Auf der Bühne des Lebens, eines kurzen aber verkommenen Lebens, welches nur das Heute kennt. Nicht jenes Morgen, das diesmal gewiss und endlich von der Ewigkeit des Fleisches verschluckt wird, gierig geschluckt, so wie Du schlucken wirst, dann…

Da gibt es Momente, in denen Deine Augen aufblitzen, Suchscheinwerfer am dunklen Himmel. Prinzessin der Kelche, berauscht von der elektrischen Nacht.

Durch den Rückspiegel hat Dich der Taxifahrer beobachtet, lüstern, ein bisschen neidisch wahrscheinlich. Denn er hat wohl geahnt, was sich alsbald ereignen sollte, kurz nach dem Ende dieser Fahrt, im Neonschein…

…hinter den Mauern des Hotels Blue 93.

Doch die Tiefen konnte er nicht erahnen, der Taxifahrer, unser Charon, die Abgründe, die wir aufreissen, in denen wir danach versinken würden. Auf der Suche nach dem Namenlosen. Ekstase, Schmerz, Ekstase, Schmerz, bis in die tiefsten Zellstrukturen hinein, schwarze Messe an den Pforten des Wahnsinns.

Der harte Boden, die Stühle und Sessel, die kalkweisse Wand, die Matratze, weich wie eine Wolke, tief wie ein Sumpf…

…oder wie ein Pfuhl?

Und dann plötzlich die Levitation. Wir schweben. In der Mitte des Raume, den wir im Liebesrausch inzwischen restlos demoliert haben. Mein Blick streift noch für einen Sekundenbruchteil über die Fetzen des Vesper Teddies von Trashy, den ich Dir vor einigen Stunden – oder waren es Aeone, Ozeane aus Zeit? –vom Leib gerissen habe, die dort unten nun die Überbleibsel eines umgestossenes, zerbrochenes Salonmöbels schmücken, unter Deinem Gewicht ist es zerbrochen, weil Du auf der Tischplatte gekniet hast

«Vergängliche Memento», schnaubt IX, zündet seine Laterne an und setzt die einsame Suche nach der Kaiserin seines Herzens fort.

Also schweben wir, eng umschlungen, zum Fenster hinaus, einem neuen Himmel entgegen, im tiefsten Bauch der Nacht, unmittelbar bevor sie den Morgen gebiert, kurz bevor uns die Strahlen der Aurora, scharfen Messern gleich, die Herzen durchstechen – VI trifft XIX; «die Liebenden sind auf der Sonne gelandet und ordnungsgemäss geschmolzen», lautet die Durchsage.

Am Ende wird sich eine stille, eine tiefe Trauer über den Schlachtgrund legen, jenem Daunenkissen ähnlich, unter dem man die reiche Erbtante zu ersticken pflegt. Dann erst fällt er, der Vorhang.

Und jetzt bringt mir das Andere, ich bitte darum.

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Autor: Christian Platz

Lebt in Basel. Arbeitet überall. Reist recht viel. Vor allem nach Asien. Und in den Deep South der USA. Verdient sein Geld seit über einem Vierteljahrhundert mit Schreibarbeiten. Vorher hat er als Pfleger in einer Irrenanstalt gewirkt. Hat mehrere Bücher veröffentlicht. Spielt seit 40 Jahren fanatisch Gitarre, zwischendurch singt er auch noch dazu. Schreibt unter anderem für Kult. Ist manchmal gut aufgelegt. Manchmal schlecht. Meistens so mittel. Sammelt Bücher, CDs, Filme, Artefakte. In einem psychisch leicht auffälligen Ausmass. Verfügt, bezüglich der Dinge, die er sammelt, über ein lexikalisches Wissen. Platz ist einerseits ein Wanderer auf dem Pfad zur linken Hand. Andererseits Neofreudianer mit Waffenschein. Liebt Blues und Voodoo, Rock'n'Roll und die schwarze Göttin Kali. Trinkt gerne Single Malt Whisky aus Schottland. Raucht Kette. Ist bereits über 50 Jahre alt. Macht einstweilen weiter. Trotzdem wünscht er nichts sehnlicher herbei als die Apokalypse.

WARNHINWEIS:
Dieser Mann tritt manchmal als katholischer Geistlicher auf, stilecht, mit einem besonders steifen weissen Kragen am Collarhemd. Dies tut er in gänzlich irreführender Art und Weise und ohne jegliche kirchliche Legitimation. Schenken Sie ihm - um Gottes Willen - keinen Glauben. Lassen Sie sich nicht von ihm trauen, ölen oder beerdigen. Lassen Sie sich von ihm keinesfalls Ihre Beichte abnehmen. Geben Sie ihm lieber Ihr Geld.

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