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Das verlorene Wortgefühl

Ich liebe Worte – geschriebene, gesagte, geflüsterte, sogar geträumte. Beispielsweise das Wort „mutterseelenallein“, eine eiserne, leere Einsamkeit beschreibend. Stammen tut‘s von „moi tout seul“, was es noch viel lieblicher macht. Nichts ist schöner, als wenn jemand mit diesem simplen Mittel umzugehen weiss und Emotionen wecken und Dinge zum Ausdruck bringen kann, die bei anderen diesen „GANZ GENAU“-Effekt auslösen.

Umso schmerzhafter wirkt im Vergleich der heutige Sprachgebrauch.

Mein Feind: dieses verdammte „lg“. Nicht einmal das G kann man noch gross schreiben, weil man dann bigoscht noch den kleinen Finger auf die Shift-Taste halten müsste.

Für die verfluchte Smiley-Volkskrankheit hat man dann aber doch noch Zeit. Was sagt es über eine Gesellschaft aus, wenn man bei jedem Satz mittels eines debilen Mondgesichts klarstellen muss, mit welcher Emotion er verbunden ist? Wenn mir jemand schreibt, dass sein Hund gerade gestorben ist, bin ich doch noch knapp dazu in der Lage, zu verstehen, dass jetzt nicht der Moment für Bilder von Katzen mit Hüten ist. Dasselbe gilt für Witze: Wieso mache ich eine ironische Bemerkung, wenn ich meinem Gegenüber nicht zutraue, sie als solche zu deuten und deshalb gelb-lachend signalisieren muss, dass „es imfall en Scherz gsi isch“? Wenn’s dann wenigstens bei einem einzelnen Smiley bleiben würde – mittlerweile bekommt man Nachrichten, die mehr Emoticons (ich weiss noch immer nicht, wie man dieses Wort korrekt ausspricht) als Text enthalten.

„Hallo *winkendeHand* *Lachsmiley*. Gehen wir heute *Sektglas*? *Lachsmiley* Ich komme mit dem *Fahrrad* *Lachsmiley* Treffen wir uns am *kleinerZugsollwohlBahnhofheissen*? *Lachsmiley* Was ziehst du an *Schuh* *Schuh* *Kleid* *Hut*? Sabine kann leider nicht kommen *Weinsmiley*, sie muss *kreischendesKleinkind*-Sitten. *NocheinWeinsmiley* Aber ich freue mich trotzdem sehr *KonfettiFasnachtsschlange* *Partyhut* *SmileySmileySmiley*“

Lg (FIIIIGG DIIIIII) *Zwinkersmiley*

Der absolute Gipfel an Wortverkrüppelung ist in meinen Augen jedoch folgendes: Wird das Ableben irgendeines Verwandten, Bekannten, Haustiers oder A- bis und mit Q-Promis auf Facebook kundgetan, tauchen innert Sekundenfrist diese idiotischen „Rest in Peace“, „R.I.P.“ und schlimmstenfalls „rip“ auf. Schreibt doch bitte lieber gar nichts, als das Andenken der/des Verstorbenen mit der schluddrig dahergeschriebenen Abkürzung eines englischen/lateinischen Ausdrucks zu beleidigen. Schreibt eine Nachricht, ein Kärtchen, zündet ein Kerzchen an. Wie auch immer. Aber „rip“? Ich weiss nicht…

Naja. Nicht jeder ist ein pingeliger Wortfetischist (damit meine ich mich) – Computerfreaks würden wohl ihren Kopf gegen die Wand schlagen, wenn sie mich mit dem PC umgehen sähen („Aso KONROOOOL, DELEEEEETE… Ah nei!!! Jetz ischs weg! Wiso isches weg? Chum zrugg, Textli!! Ischs jetzt im Datenirwana?! Hallo? Halloooooo?“).

Vielleicht sollte ich’s einfach mal chillen. Deshalb von ganzem Herzen:

YOLO! cu u. mfg, p. (lol) ;)))))

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Autor: Yonni Meyer

Yonni Meyer (*1982) wuchs dort auf, wo’s mehr Kühe als Menschen gibt. Und das war gut so. Kantonsschule in der Nordschweizer Provinz (Hopp Schafuuse). Studium im Welschland (Sprachen und Psychologie). Umzug an die Zürcher Langstrasse 2011. Seither konstant kulturgeschockt. Ende Juli 2013 Geburt des Facebook-Blogs „Pony M.“
September 2013 Einstieg bei KULT. Ab 2014 Aufbruch in die freelancerische Text-Landschaft der Schweiz. Meyer mag Blues. Meyer mag Kalifornien. Meyer mag Igel. Meyer mag Menschen. Manchmal.

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