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Ein offener Brief an Dr. Brendan Nelson

Sehr geehrter Herr Dr. Brendan Nelson

Vielen Dank für Ihr Mail, das Sie mir freundlicherweise zwischen dem 8. Juli und dem 3. August 2014 mehrmals zukommen liessen. Während ich an der Seriosität Ihres Vorschlags keine Sekunde lang zweifelte, gibt es doch einige Details, die mich beunruhigen. Gerne nehme ich nun zu den einzelnen Passagen Ihrer Anfrage Stellung, die ich zur besseren Unterscheidung in Anführungs- und Schlusszeichen setze.

«Gruß»

Auch ich grüsse Sie höflichst und ich hoffe an dieser Stelle, Sie kommen in Frieden. Ihr doch knappes und fast schon joviales Grusswort allerdings lässt mich dazu tendieren, mit einem konspirierenden «Tschäse!» zu antworten.

«Ich hoffe, Sie tun heute sind große.»

Auch wenn es in unserem Kulturkreis etwas ungewöhnlich ist, sich gleich als erstes nach dem Befinden des Verdauungsapparates zu erkundigen, schätze ich Ihren Versuch, eine Brücke zu bauen und erwidere: Nein, heute habe ich noch nichts Grosses gemacht, aber es ist noch frühmorgens und normalerweise benötige ich dafür einen Kaffee. Oder zwei. Aber was nicht ist, kann ja bekanntlich noch werden.

«Dies ist das zweite Mal, ich sende Ihnen diesen Brief, ich habe Ihre E-Mail-Kontakt aus einer Schweizer Firmenverzeichnis im Internet und beschlossen, Sie zu kontaktieren zu diesem Geschäft Vorschlag.»

Tatsächlich sendeten Sie mir das Mail elf Mal, aber als hohes Tier in der Bank sind Sie es wohl gewohnt, dass Sie Assistenten haben, die sich um solche banalen Dinge wie Emails kümmern und Sie darum mit dieser fremden Tätigkeit wohl etwas überfordert sind. Aber keine Sorge, das muss Ihnen nicht peinlich sein, denn Sie sind in bester Gesellschaft: meiner Mutter «darf» ich auch immer wieder mit ihrem Laptop helfen – und sie ist auch ein hohes Tier in ihrem eigenen Ein-Frau-Unternehmen.

«Ich bin Dr. Brendan Nelson Vorsitzender des Prüfungsausschuss-Abteilung, eine Bank von London Piccadilly Circus, hier in England (Royal Bank of Scotland). Ich schreibe Ihnen als Referenz zu einem Business-Vorschlag, dass einer immensen Nutzen für beide von uns ist.»

Vielen Dank, dass Sie sich an mich wandten. Ich bin absolut die richtige Person für eine solche Partnerschaft: Zuverlässig, diskret, integer und kompetent in allen Belangen des Bankenwesens und bei der FINMA eine komplett unbekannte Nummer. Nun, womit kann ich Ihnen behilflich sein?

«In meiner Abteilung, entdeckte ich eine verlassene Summe von sechzehn Millionen fünfhunderttausend Britische Pfund Sterling (£ 16.500.000. 00) in einem Konto, das zu einem unserer ausländischen Kunden MRS Surti Dahlie, eine Geschäftsfrau aus den Niederlanden, die ein Opfer der war, gehört der Malaysia Airlines Flug 370 (MH370/MAS370), die im Süden des indischen Ozeans am 8. März 2014 auf dem Weg von Kuala Lumpur International Airport nach Beijing Capital international Airport tötet alle an Bord abgestürzt.»

Traurige Sache, das mit dem Flugzeug. Was mich aber mehr schockiert: das muss ja ein ziemlicher Sauhaufen sein, den Sie da führen! Ich meine, dass mal eine Lieferantenrechnung liegen bleibt oder Spesen zweimal abgerechnet werden, das kommt in den besten Familienunternehmen vor. Aber 16 Mio. Pfund, die Sie «entdeckten»? Lassen Sie das bloss keinen Ihrer Kunden erfahren. Wenn das meine Bank wäre, würde ich mein leeres Sparkonto sofort saldieren lassen. Ich unterstelle mal, dass es nicht Ihr Fehler war, sondern der eines Ihrer Mitarbeiter, okay? Und dass Sie besagter Flachpfeife 15 Minuten Zeit gaben, Ihre Habseligkeiten in einem Karton zu verstauen und die Royal Bank of Scotland für alle Zeiten zu verlassen. Zum Beispiel auf direktem Fussweg über die Themse. Mit einem italienischen Betonschuh.

«Sehen Sie den Link unten für den Flug manifestieren:
http://www.india.com/loudspeaker/missing-malaysia-airlines-flight-mh370-passenger-manifest-full-list-28120/
MRS Surti DAHLIA ist die Nummer 130 auf der Liste, Die Wahl der Kontaktaufnahme mit Ihnen geweckt von der geographischen Natur, wo Sie leben, vor allem aufgrund der Sensibilität der Transaktion und die Vertraulichkeit hier.»

Tatsächlich finde ich den Namen in der Liste – ich glaube Ihnen! Nun, als in London lebend (oder zumindest arbeitend) und als Abteilungsleiter einer Bank nehme ich mal an, dass Sie sich in europäischer Geografie ein klein wenig auskennen. Wenn Sie mit «geographischer Natur» meinen, dass wir Schweizer den Niederländern (wie Frau Dahlia) nahe stehen, so muss ich sie leider enttäuschen. Klar, sie sind etwas beliebter hier als die Deutschen, aber nur wenn sie mit dem eigenen Wohnwagen durchfahren und keine Wohnungen an begehrten Lagen belegen. Wenn Sie hingegen meinen, dass wir in der Schweiz ein besonders diskretes Bank- und Finanzwesen haben, so muss ich Sie leider erst recht enttäuschen. Inzwischen ist das Bankgeheimnis faktisch inexistent. Und nicht nur das: leitende Manager kaufen sich etwa von der US-Justiz frei, indem sie die Namen aller Bankmitarbeiter liefern, auch wenn diese gar nichts mit einem Steuerdelikt zu tun hatten. Sie erinnern sich an die gewaltige Busse, die der CS aufgebrummt wurde? Lesen Sie mal das hier: http://insideparadeplatz.ch/2014/07/10/cs-liefert-usa-namen-von-1000-kundenberatern/

Ganz ehrlich, ich möchte nicht durch die (äusserst verlockende) Transaktion mit Ihnen plötzlich ins Visier der Amerikaner geraten und eines Tages aus literally blauem Himmel unangemeldeten Besuch einer Drohne bekommen. Ohne Ihnen zu nahe treten zu wollen – ich glaube, Sie würden kaum zögern, meinen Namen den US-Ermittlungsbehörden zu nennen, wenn diese Ihre Eier in der Hand hätten (das ist natürlich als Metapher zu verstehen).
Jetzt sagen Sie sicher, dass Frau Dahlia Holländerin ist, was gehen uns also die Amis an? Ich aber sage: vielleicht ist sie auch US Doppelbürgerin? Oder besitzt dort Immobilien oder Firmenanteile? Das müsste ich als schon ganz genau wissen, weil wenn dem so wäre – good night uncle Sam!

«Ich suche Ihre Zustimmung an Sie als nächsten Angehörigen / Wird Zuschussempfänger auf den Verstorbenen, so dass die Erlöse aus diesem Konto bei Sechzehn Millionen fünfhunderttausend Britische Pfund Sterling (£ 16.500.000. 00) geschätzt kann Ihnen bezahlt werden können.»

Ach so, so läuft das also: ich soll mich als entfernter Verwandter ausgeben, um dann das Geld zu kassieren? Toller Plan. Für einen Zweitklässler. Ich meine, wie soll ich diese Verwandtschaft beweisen? Bei 16 Mio. Pfund wird sicher mehr verlangt als nur eine Unterschrift oder ein stümperhaft gefotoshoptes Foto, auf dem ich neben Frau Dahlia zu sehen bin..?

«Dies wird ausgezahlt oder in diese Prozentsätze, 50% für mich und 50% für Sie freigegeben werden. Ich habe in meinem Besitz alle notwendigen rechtlichen Dokumente, die verwendet werden können, um diese Behauptung wir mit der Bank machen. Ich brauche nur in Ihrem Namen auf den Dokumenten zu füllen und zu legalisieren es in den Hof hier, um Sie als berechtigten Empfänger nachweisen.»

Oh, jetzt verstehe ich, Sie deichseln da was und unterschreiben, dass ich der bin, als der ich mich ausgebe! Das ist ja wie bei der Ticketkontrolle fürs Partysanboot. Na jetzt fängt die Sache an mir zu gefallen!

«Ich brauche Ihre ehrliche Zusammenarbeit, Verschwiegenheit und Vertrauen, damit wir sehen diese Verhandlung durch. Ich garantiere Ihnen 100% Erfolg in diesem Geschäft, Sie sicher sein, dass diese Transaktion unter einer legitimen Anordnung, die Sie von einer Verletzung des Gesetzes schützt ausgeführt wird.»

Ich rekapituliere: Sie wollen, dass ich Ihnen vertraue und ehrlich zu Ihnen bin, zu einem, der sich mir gerade als skrupelloser Halsabschneider offenbart hat? Ich meine, vielleicht hatte Frau Dahlia zwar keine eigenen lebenden Verwandten, aber dafür ein oder gar zwei rumänische Waisenhäuser adoptiert? Diese müssten dann von heute auf morgen ohne einen Penny auskommen?! Ist das nicht etwas hart? Regt sich da nicht der Hauch eines Gewissens? Ach ich Dummkopf, was frage ich Sie so etwas – den Abteilungsleiter einer Bank – in London! Was habe ich mir nur dabei gedacht? Nein Sir, ich nehme Sie als Vorbild und konzentriere mich gleich wieder auf das bessere Gefühl: Gier!

«Ich entschied mich, kontaktieren Sie hoffen, dass Sie diesen Vorschlag interessant finden, Bitte auf Ihrer Bestätigung dieser Nachricht und geben Sie Ihr Interesse werde ich Ihnen weitere Informationen liefern. Dieser Deal hat, so schnell wie möglich durchgeführt werden.

Freundliche Grüße,
Dr. Brendan Nelson
Leiter der Revisionsabteilung
Royal Bank of Scotland, Großbritannien.»

Herr Nelson – den Doktortitel lasse ich jetzt mal weg, so unter Freunden, die wir inzwischen schon lange sind (inklusive den Lesern, die uns bis hierhin gefolgt sind). Obwohl ich keine Sekunde an der Seriosität Ihres Anliegens zweifelte, alle Ihre Ausführungen logisch, stringent und die dargelegten Beweise schlüssig und ausreichend sind und – wohl das Wichtigste – obschon die Hälfte von 16 Millionen 500 000 Pfund äusserst verlockend ist, so muss ich Ihnen nach langem und reiflichem Überlegen einen Korb geben. Oder um es anders auszudrücken: ich muss Ihnen leider absagen.

Der Grund ist die Macht der Sprache. Wenn Sie bei einem derart wichtigen Unterfangen, wo es um soviel Geld geht, sich so wenig Mühe geben, den Brief an mich in einigermassen korrektem Deutsch zu verfassen, Ihnen also nicht mal ein paar Pfund für einen Übersetzer wert sind, dann ist das am falschen Ort gespart. Nicht nur ist es ein Mangel an Wertschätzung und Respekt mir gegenüber – vielmehr beunruhigt mich: wenn Sie in diesem Detail schon schlampig vorgehen, wie ernst nehmen Sie dann erst andere Details, die über (m)ein Leben in Nassau oder in Pöschwies entscheiden?

Ich wünsche Ihnen viel Erfolg im weiteren Leben und bis zum nächsten Mal in hoffentlich korrektem Deutsch.

Sincerely, H. Petro (wird jetzt tun heute sind große.)

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Autor: Henrik Petro

In den 90ern prägte Henrik als Moderator von Sputnik TV trotz seines Ostschweizer Dialektes die Erinnerungen der Partyjugend bis heute. Während mehrere Jahre war er Chefredaktor des gleichnamigen Magazins. Später schrieb er fürs Fernsehen (u.a. Chefautor von Dieter Moor und Rob Spence, eine Folge der SitCom "Fertig Luschtig") und produzierte auch (u.a. 150 Folgen von "Der Scharmör"). Er war die ersten Jahre von Radio Street Parade Musikchef und war dann später einige Jahre Autojournalist.

Arbeitet heute hauptberuflich als Frauenversteher, aber da er von seinen Freundinnen, BFFs, Kolleginnen und wem er sonst noch sein epiliertes Ohr leiht, kein Geld dafür verlangen kann, dass sie ihm ihre Männerprobleme in allen Details schildern, arbeitet er zusätzlich noch gegen Entgelt als Chefredaktor in einem Fachverlag. Damit sein Hirn unter dieser Belastung (und wegen Handy-Antennen) nicht explodiert oder eine Selbstlobotomie durchführt (was ihm zwar die Aufmerksamkeit von Gunter von Hagen garantieren und somit zur Unsterblichkeit verhelfen würde), schreibt er Kolumnen für kult. Am liebsten über menschliche Begegnungen. Oder überhaupt über Menschen. Oder darüber, was Menschen so tun. Oder getan haben. Oder tun könnten. Oder sagen. Oder gesagt haben. Oder sagen könnten.

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