Ich mag Politessen nicht. Und es interessiert mich nicht, dass man Politessen heutzutage nicht mehr Politessen nennt, sondern Mitarbeiterinnen des Kommissariats Kontrolle Ruhender Verkehr (KRV) – ebenfalls, dass eine Politesse auch männlichen Geschlechts sein könnte. Oder gewesen sein könnte. Oder noch werden könnte. Man kann ein Furunkel auch wohlwollend Eitergeschwür nennen, und es bleibt trotzdem immer noch ein und das Selbe: Eine tiefe, schmerzhafte Entzündung, die ursprünglich vom Haarfollikel ausgeht und sich dann auf das umgebende Gewebe ausbreitet.
Kann man Politessen mögen? Ich wage einen Selbstversuch. Nicht zuletzt deshalb, weil es meiner guten Kinderstube entspricht, dass man allen und allem mindestens eine zweite Chance gewährt. Zwar verabscheue ich Fenchel und Rosenkohl auch noch nach dem x-ten mal Probieren, aber vielleicht bin ich Politessen gegenüber ja wirklich ungerecht – bloss weil mir noch nie eine von ihnen Gutes getan hat. Im Gegenteil: Es kostet mich meist eine Stange Geld, wenn mir eine ihrer Gilde näher gekommen ist. Und wir haben da noch nicht mal einen netten Abend miteinander verbracht. Will ich aber auch gar nicht. Lieber fresse ich im Dschungel einen Eimer Kamelhoden, als mit einer solch missgünstigen Kreatur meine wertvolle Zeit zu vergeuden. Aber heute mache ich eine Ausnahme. Ich habe mich mit Erna B. zum Kaffee verabredet. Frau B. ist die letzte Politesse, welche mir vierzig Schweizer Franken abknöpfte, weil mein Wagen zehn Minuten länger auf einem Parkplatz stand, als ich dafür Miete bezahlt hatte. Keine ideale Voraussetzung für ein Date.
Von Date kann allerdings auch überhaupt nicht die Rede sein. Ein Kaffee mit einem fremden Menschen, zu dem man sich nicht hingezogen fühlt, ist kein Date – schon gar nicht dann, wenn man sich zu wissenschaftlichen Zwecken darauf einlässt. Ich habe Frau B. zum Kaffee eingeladen, nachdem ich sie dabei beobachtet hatte, wie sie mit geübtem Handgriff einen in Zelofan verpackten Einzahlungsschein unter meinen Scheibenwischer klemmte. Ich wünsche mir ja seit Jahrzehnten, dass mir mal eine Politesse einen Scheibenwischer abbricht. WAS WÜRDE ICH DIE AUF SCHADENERSATZ EINKLAGEN! Selbstverständlich ist das noch nie passert. Schliesslich wird während der Ausbildung zur Politesse während eines ganzen Monats das sorgsame Hochklappen von Scheibenwischern unterschiedlichster Autotypen trainiert. Auf dem Ausbildungsgelände befindet sich extra dafür ein stattlicher Wagenpark mit Fahrzeugen unterschiedlichster Preisklassen. Da trainieren dann die Politessennovizinnen tagein tagaus das sorgsame Hoch und wieder Herunterklappen von billigen und teuren Scheibenwischern, bei Sonne und Regen, Wind und Wetter. Das kommt die Staatsgewalt immer noch billiger, als sich irgendwann einmal einer horrenden Scheibenwischer-Schadenersatzklage gegenüber zu sehen.
Frau B. wollte erst nicht. Sie zielte zwar nicht gerade mit dem Pfefferspray auf mich, aber sie gab mir unmissverständlich zu verstehen, dass ich ihr nicht frech zu kommen brauche. Meine Einladung zu einer Tasse Kaffee wurde offenbar als zynische Provokation aufgefasst und nicht als eine freundliche Geste zwischen zwei zivilisierten Menschen (was es ja faktisch auch nicht war). Ich reagierte verständnisvoll, denn diese arme Frau wurde wahrscheinlich öfter mit dem Tod bedroht als manch ein exponierter Staatschef oder SVP Politiker. Im Schulungshandbuch werden die Aspirantinnen mit Sicherheit auch nicht auf solche Situationen vorbereitet, man trichtert ihnen stattdessen ein, dass energisch und bestimmt auf Annäherungs- oder Angriffsversuche jeglicher Art zu reagieren sei. Mir ging es aber tatsächlich bloss um einen Kaffee und nicht um romantische Gefühle. Und ein Gespräch unter vier Augen. Ein Gespräch, welchem ich die Chance geben wollte, mein tiefgefrorenes Automobilstenherz zumindest an der Oberfläche ein bisschen zum schmelzen zu bringen.
Ich versicherte Frau B., dass meine Einladung nicht als Bedrohungssituation einzuordnen sei, sondern ich im Rahmen einer journalistischen Recherche etwas aus ihrem Tätigkeitsgebiet und aus ihrem Alltag zu erfahren wünschte. Da willigte sie ein. Noch immer nicht froh, vorfreudegeschwängert oder sonstwie emotional berührt. Sie sagte einfach: „Na, gut.“ Was auch gut war.
Fortsetzung: Teil 2