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Kuba: Land veralteter Ideologien Teil 2 – Heute

Ab 1995 wurde es möglich, Bed & Breakfast ähnliche Unterkünfte (Casas Particulares) an Touristen zu vermieten. Zwar waren noch immer hohe Abgaben an den Staat zu entrichten, doch konnten Lebensmittel,  für sich selbst, zu subventionierten Preisen eingekauft werden. Von dieser Regelung profitierten vor allem die Mittelschicht und Parteiangehörige, die über renovierten, schönen Wohnraum verfügten, im Gegensatz zu den heruntergekommenen meisten Häusern.

Das Land wurde durch seine ungewöhnliche Geschichte und Distanz vom globalisierten Leben, immer mehr zu einer Touristendestination, die nun einen der wichtigsten Wirtschaftsfaktoren darstellt. Fidel Castro übertrug die Staatsgeschäfte 2008 auf seinen Bruder Raul Castro, was Reformen und gelockerte Beziehungen zum Ausland zur Folge hatte. Die Privatwirtschaft florierte wieder in kleinem Rahmen, die Stadt begann aufzuleben. Cafés, Restaurants, Fitnessstudios, Schönheitssalons, Bars und Geschäfte erleben einen Boom. In den Wohnungen im Erdgeschoss werden Küchenfenster aufgerissen, man beginnt Kaffee, Patisserie und Pizza durchzureichen. Kubaner dürfen nun ein Auto mieten, ein Mobiltelefon benutzen, sowie andere elektronische Geräte kaufen. Das Land weicht immer mehr vom sozialistischen Kurs ab und fokussiert sich zunehmend auf eine marktwirtschaftliche Ausrichtung. Schliesslich benötige es, gemäss dem für Wirtschaftsreformen zuständigen Vize-Präsidenten, ein jährliches Wachstum von bis zu sieben Prozent. Mit der Reform lädt Kuba ausländische Geldgeber ein, in praktisch alle Wirtschaftsbereiche zu investieren.

Allzu Westliches wird jedoch just noch nicht toleriert, so wurde ein 3-D Kino auf Anordnung der Regierung wieder geschlossen, genauso wie eine Handvoll Kleiderboutiquen, weil die Regierung kurzum beschloss doch keine Importware aus Aden USA zu akzeptieren.

Seit den Neuerungen wuchs die soziale Ungleichheit, was die Bevölkerung zunehmend entzweite. Zum einen erfreuen sich diejenigen, welche vom Tourismus profitieren können, an Verdienstmöglichkeiten. Ärzte und Militärs werden noch immer vom Staat gefördert. Anderen hingegen, denen weder Möglichkeiten dargeboten sind im Tourismus unterzukommen, noch sonst irgendwie vom Aufschwung zu profitieren, bleiben auf niedrigsten Einkommen sitzen. Schwarzmarktgeschäfte boomen somit. Verbreitet ist vor allem der Verkauf von gefälschten Zigarren.

Trotz Anpassungen in der Verfassung und einer Lockerung der Vorschriften, scheint die Zeit in fast allen Gassen stehengeblieben. Das grösste Problem stellen seit den 60er Jahren nicht in Stand gehaltene Gebäude, Wasser- und Abwassersysteme, die Stromversorgung und das Telekommunikationsnetz dar. Schulhäuser, Spielplätze, Krankenhäuser, Kraftfahrzeuge und Maschinen, alle aus den 50ern, sind noch immer in Gebrauch.

Manchmal flitzt ein moderner Bus durch die Gegend, dann wieder ein typischer Oldtimer. Wie faszinierend für Touristen, solange man selbst nicht drin sitzen muss. Der schwarze, in den Atemwegen beissende Smog der umweltverschmutzenden Autos gehört zu Havanna wie Che Guevarra. Die von weitem wunderschönen spanischen Kolonialstil-Häuser, in bunte Farben gehüllt, zeigen von Nahem ihr wahres Gesicht. Aus leeren Räumen steigt modriger Geruch empor, Fäulnis hat sich breit gemacht und lässt die Wände zusammenfallen, was an ein verlassenes Tschernobyl erinnert. Irgendwann sieht man, dass hinter der grausamen Kulisse, ein Mann auf einem Klappstuhl sitzt und auf dem LCD Fernseher eine spanische Soap schaut.

Zur Zeit profitieren die Kubaner noch von der Revolution, so reichen die vom Staat zur Verfügung gestellten Grundnahrungsmittel wie Eier, Reis, Fleisch, Milch, etc. für etwa 25 Tage, danach sind subventionierte Einkäufe möglich. Wenn man über die Qualität des Essen spricht, so wollen sie lieber aus Südamerika importierte, verarbeitete Esswaren und Getränke wie, Chips, Coca Cola, Speiseeis, Fertigprodukte und Süssigkeiten. Dass diese viel teuer sind ist ihnen bewusst, doch streben sie auch bei der Nahrungsaufnahme nach Fortschritt. Genauso anziehend sind andere kapitalistische Errungenschaften wie Markenkleidung, Kosmetika, Einrichtungsgegenstände und Sonstiges, im Fernsehen Vorbeigehuschtes, im World Wide Web Gesehenes. Internet wird gehandelt wie Gold. Ein Gut von unmessbarem Wert, das Tor zur Welt, erwerbbar für 10 CUC pro Stunde.  Zwar sind die Errungenschaften der Revolution, wie das Gesundheits- und Bildungssystem, nicht völlig zerfallen, doch gibt man ihnen keine lange Überlebensdauer.

Wenn man umhersieht, springen einem keine auf Smartphone-Bildschirmen starrenden Menschenansammlungen ins Auge. Anders als bei uns, muss man bewusst nach Handyzombies suchen. Ich frage mich wie lange es wohl dauert, bis auch diese Menschen nur noch über Soziale Medien kommunizieren.

Facebook, YouTube und andere amerikanische Seiten sind wie gewohnt aufrufbar. Wie paradox, wenn man bedenkt, dass Kuba bis noch immer eine Veramerikanisierung abzuwehren versucht. In den Kinos werden keine Hollywoodproduktionen gezeigt, nichts Amerikanisches darf ge- oder verkauft werden. Eine Abschottung, die nicht gelingt, denn illegale Fernsehstationen gibt es schon längst, I-Phones und weitere Errungenschaften der westlichen Hemisphäre sind schon lange auf der Insel gelandet. Man will wie die Reichen und Schönen imitieren, es ist unmöglich geworden, die Jugend mit einer Revolution, die sie nie miterlebt haben, bei der Stange zu halten. Sie verlangen nach MTV, Ultimate Fight, Nike und Rihanna. Sie wollen sich ins Leben stürzen.

Eine Prostituierte, die von Beruf Verkäuferin ist, erzählt mir, sie wolle nicht mehr wie ein gefangenes Tier leben. Sie möchte reisen, die Welt entdecken, erleben, was es heisst zu besitzen. Ihre jetzige Möglichkeit an das wertvolle Geld der Touristen zu kommen, sei der Verkauf ihres Körpers. Sie sagt, jeder Security, sogar Hotelangestellte verlange von den Freiern Geld, wenn sie Mädchen aufs Zimmer nehmen. Jeder schneidete sich ein Stück des Wohlstandskuchens ab.

Die eigens für Touristen erstellte Währung hat den 10fachen Wert der einheimischen Pesos Jeder touristische CUC bringt die Kubaner, dem Wunsch nach verbesserten Bedingungen näher. Ein durchschnittslohn beträgt ca. 20 Franken, weshalb viele auch hoch Gebildete, ihre Arbeitstätigkeit lieber auf Ausländer ausrichten. Es gelingt in Havanna nicht mit einem einzigen Menschen zu reden, der nicht auf mein Geld aus ist. Bemitleidenswerte Geschichten über Krankheit, Armut und hungernde Kinder zu Hause, machen trotz der offensichtlichen Lügerei, betrübt, denn die Wohnsituation ist gettoisiert genug, weshalb ich ständig Geld verteile. Als ausländisch aussehende Person läuft man mit Dollarzeichen auf der Stirn herum. Ständig wird man angesprochen, denkt endlich mit jemandem Kontakt knüpfen zu können und landet dann, bei der unmissverständlichen Frage nach Monetas. Es kommt öfter vor, dass man zu Touristen sagt: „Hey, sei nicht so stur, Kubaner mögen Kommunikation. Ich zeige dir in welchem Hotel (Ernest) Hemingway gewohnt hat. Ich liebe Ausländer, lass uns reden.“ Nachdem man im Hotel angekommen ist, verlangt der selbsternannte Touristenführer Geld. Gefälschte Zigarren, gefälschte Sightseeing-Tours, gefälschte Schicksale. Man kommt mindestens 15 Mal am Tag in den Genuss des kubanischen, betrügerischen Charmes. Freundschaften zu schliessen ist in diesem Land ein Ding der Unmöglichkeit. Sie lechzen nach CUCs und damit verbundenen, besseren Lebensumständen.

Ja, wir sind es, die ihnen den Kapitalismus bringen, doch sie rennen uns mit offenen Armen entgegen.

(Es folgt Teil 3)

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Autor: Jelena Keller

Jelena ist von Beruf Journalistin und Sprachlehrerin, Schweizerin serbischer Abstammung. Sie mag lange Texte und langes Grübeln. Sie hat sich daran gewöhnt zu viel zu denken und zu wenig zu schlafen. Wenn sie gar kein Auge zumachen konnte sieht sie die Welt nüchtern und in einem Grauton. Wenn sie ausgeschlafen hat, wandert sie mit ihrem Hund auf grüne Berge, durch bunte Blumenwiesen und rosa Weizenfelder. Schreibt auch mal Gedichte und Kurzgeschichten, reist am liebsten um die Welt und probiert Neues aus. Sie meint tatsächlich, dass sich alle Probleme lösen liessen, wenn man sich nur ab und zu in die Lage des Gegenübers versetzen könnte. Walk in my shoes und so. Trotzdem versteht sie manche Menschen nicht. Die, die sich vor dem Leben und dem Tod fürchten und andere verurteilen. Aber von den meisten anderen denkt sie, sie seien alle Freunde, die sie bloss noch nicht kennengelernt hat.

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