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Die Sinnlosigkeit

Jelena Keller, Foto Pajo Craive

Irgendwann, etwa im Alter von 30, 40 oder 50 oder bei Krankheit oder Schicksalsschlag, wird einem bewusst, dass man dem Tod ein bisschen näher gerückt ist. Es ist nicht so, dass man ihn vermeiden oder ignorieren möchte. Man stellt sich derTatsache, dass der Tod unausweichlich kommt. Die Erkenntnis über die eigene Sterblichkeit führt, wenn positiv, dazu, das eigene Lebensmodell zu überdenken und zu ändern, im Negativen aber dazu, dass sich unendliche Sinnlosigkeit einstellt. Wozu weitermachen in dieser Einöde, wenn man sowieso stirbt?

Was ist der Sinn des Lebens?

Ist die Frage erst einmal gestellt, gibt es kein zurück aus der Gedankenspirale, die einen verzweifeln lässt, weil man als Mensch in der Regel dazu geboren wurde strukturiert zu denken. Reize fluten in unser Gehirn und verlangen danach verarbeitet, geordnet und konfiguriert zu werden. Zufällige Ereignisse, die wir nicht einordnen können, lassen uns hilflos fühlen, verzweifeln. Von Natur aus wollen wir uns und alles um uns herum erklären und somit beherrschen, weil wir uns auf diese Weise mächtig und handlungsfähig fühlen. Religiöse und spirituelle Menschen werden verschont vom Gefühl der Ohnmacht und Hilflosigkeit weil sie auf alle Fragen eine universelle Antwort haben: Gottes Wille, Gottes Wort. Es müssen also vor allem die logischen Denker sein, die mit ihren kreisenden Gedanken zu kämpfen haben, sich auf die Suche nach dem Sinn des Lebens begeben, nur um ständig feststellen zu müssen, dass es keine allgemeingültige, konkrete, einzig logische Antwort gibt auf die grösste Frage, die sich die Menschheit je gestellt hat.

Therapeuten empfehlen düster denkenden und verzweifelten Menschen damit aufzuhören Fragen zu stellen, auf die es keine Antworten gibt. Sie sagen, der Mensch müsse unbedingt, um frei von kreisenden Gedanken und glücklich zu sein, lernen die Ungewissheit zu ertragen.

Minder befriedigend ist wohl der Gedanke, dass alles dieser Welt eine Kehrseite hat. Dass Liebe nur durch Verlust, Erfolg nur durch Niederlage, Glück nur durch Unglück und dass Leben nur durch Tod existieren kann. Wie machen wir also die Ungewissheit über den Sinn des Lebens erträglicher?

Indem wir das tun, was wir meistens tun, wenn ein Gefühl unerträglich wird und man es überleben will: Bestmöglich ablenken. Dies geschieht im Falle der Frage zum Sinn des Lebens: indem wir so oft wie möglich sinngebenden Tätigkeiten nachgehen und somit die zermürbende Frage nach dem Lebenssinn vergessen. Was auch immer erfüllend für uns ist, ob wir nun kreativ sind, anderen helfen, einer Religion, einem Beruf oder einem Hobby nachgehen, Kinder gross ziehen, Leidenschaften entdecken: Solange wir aktiv daran beteiligt sind unsere kostbare Zeit trotz Verpflichtungen für uns individuell und sinnbringend zu gestalten – soviel ist sicher – werden wir uns die Frage nach dem Sinn des Lebens weniger stellen müssen. Weil wir abgelenkt sind damit, unserem Dasein Freude zu bereiten, uns gebraucht zu fühlen, uns zu verwirklichen mit Tätigkeiten, die uns einen Grund geben morgens aufzustehen. Bis wir irgendwann merken, dass unser Ablenkungsmanöver eigentlich zur langersehnten Antwort geführt hat: Wir haben den Sinn des Lebens in unserem sinnvollen Tun entdeckt.

Machen wir es uns einfacher, indem wir die Frage anders stellen. Nicht WAS IST DER SINN DES LEBENS, sondern WELCHE TÄTIGKEIT GIBT MEINEM LEBEN SINN.

 

 

 

 

Foto: Pajo Craive

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Autor: Jelena Keller

Jelena ist von Beruf Journalistin und Sprachlehrerin, Schweizerin serbischer Abstammung. Sie mag lange Texte und langes Grübeln. Sie hat sich daran gewöhnt zu viel zu denken und zu wenig zu schlafen. Wenn sie gar kein Auge zumachen konnte sieht sie die Welt nüchtern und in einem Grauton. Wenn sie ausgeschlafen hat, wandert sie mit ihrem Hund auf grüne Berge, durch bunte Blumenwiesen und rosa Weizenfelder. Schreibt auch mal Gedichte und Kurzgeschichten, reist am liebsten um die Welt und probiert Neues aus. Sie meint tatsächlich, dass sich alle Probleme lösen liessen, wenn man sich nur ab und zu in die Lage des Gegenübers versetzen könnte. Walk in my shoes und so. Trotzdem versteht sie manche Menschen nicht. Die, die sich vor dem Leben und dem Tod fürchten und andere verurteilen. Aber von den meisten anderen denkt sie, sie seien alle Freunde, die sie bloss noch nicht kennengelernt hat.

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