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and I guess that I don`t know – and I guess that I just don’t know

Ich sitze hier in Saigon, Vietnam. Morgen werde ich ein Boot besteigen, das mich nach Siem Reap, Kambodscha, raufbringt. Innert 14 Tagen. Auf dem mächtigen Mekong. Vor genau zwanzig Jahren war ich das letzte Mal hier. Und Sie können mir glauben, ich habe einen totalen Kulturschock. Wie sich diese Stadt verändert hat. Unglaublich. Heute Morgen dann ein weiterer Schlag. Lou Reed ist gestorben. Ein Mann, der sich selbst unzählige Male überlebt hat. 1977 habe ich mir meine erste Velvet-Underground-LP gekauft. Ich war zwölf Jahre alt und wollte eine grosser, böser, wirrköpfiger Rock’n’Roller werden, mit Drogen und allem, was ich dann später auch geworden bin. Es war „The Velvet Underground Live at Max’s Kansas City“. Heute noch eine meiner Lieblingsplatten. Diese Stimmung, diese schiere Kaputtheit, diese bluttriefende Melancholie… Alles! Death Rock, wie es der grosse Robert Quine (1942 – 2004), der coole Gitarrist, der Lou Reed in den 1980er Jahren begleitete, einst so schön genannt hat. Ja. Ich liebe Lou Reed. Viele seiner Songs sind Teil meiner Biographie geworden.

Und eigentlich wollte ich diese Woche nichts für KULT schreiben. Aber jetzt tue ich es trotzdem. Am Ufer des mächtigen Mekong. In einem Café. Weil ich mich bemüssigt fühle, einen Kontrapunkt zu setzen. Denn: Ich hasse Pop Art, ich hasse Andy Warhol, ich hasse John Cale, ich hasse Bananen und Bananen-Platten. Lou Reed war nie Pop Art. Lou Reed war ein grosser jüdischer Künstler aus New York City. Einer Stadt, die viele grosse jüdische Künstler hervorgebracht hat. Lou Reed wusste, warum er sich von John Cale trennen musste, diesem Kunst-Rock-Nichts, einem Mann der weder richtige Lieder schreiben, noch ein Instrument spielen kann – und durch und durch uncool ist! Lou Reed war ein Gigant des US-amerikanischen Songwriting. Ein urbaner Vetter von Bob Dylan. Aber vor allem war er ein gottverdammter Rock’n’Roller! Ich kann sie kaum mehr zählen, die vielen Konzerte des Mannes, die ich gesehen habe, das erste war 1984 in Lausanne. Oder war es 1985? Ich weiss es nicht mehr so genau, ich habe damals zu viele böse Drogen konsumiert. Aber eins weiss ich: Es war grandios!!! Lou und Quine haben gemeine verzerrte Gitarren gespielt. Sie haben die Stücke von „The Blue Mask“ zum Besten gegeben, dem besten Solo-Studioalbum von Lou Reed, aber sie haben auch „White Light/White Heat“ gegeben, einen der besten Rock-Songs aller Zeiten – und andere Velvet Underground-Nummern.

Zum Glück gibt es von den guten Songs der Bananen-Platte, die allesamt von Lou Reed geschrieben wurden, viele hervorragende Live-Versionen, die weder von dieser Pop-Art-Sirene Nico, noch vom Zampano Warhol, noch von John Cale, diesem musikalischen Irrlicht, verhunzt werden konnten. Zum Glück hat Lou in John Cale seinen Feind erkannt – und ihn nach zwei Platten rausgeschmissen. Und kommen Sie mir bitte nicht mit „Songs for Drella“, ich verachte diesen Mist! Er hat dann mit Doug Yule einen richtigen Rockmusiker in die Band geholt – und grossartige Musik gemacht. Sterling Morrison (1942 – 1995) an der Lead Guitar, Doug Yule am Bass, Moe Tucker oder (noch lieber) Billy Yule an der Batterie: Das waren meine Velvet Underground. Die erste wahre Death Rock Band aller Zeiten. Ich bin sicher: Lou Reed hat Nico gehasst, er hat Warhol gehasst, er hat Cale gehasst, er hat sie alle nur benutzt, um eine Plattform für seine Songs zu erhalten, diese ganzen artsy fartsy fuckers. Recht hat er gehabt. Lou Reed hat vieles gehasst – und er hat gut gehasst. Das merkt man an seinen Texten. Und inmitten dieses todessehnsüchtigen Hasses hat manchmal eine zarte Mohnblüte der Liebe ihr Haupt erhoben. Immerhin. Mehr kann man auf dieser Welt auch nicht verlangen.

Lou Reed war der wirkliche Godfather of Punk Rock, noch vor Iggy und den Stooges. Er hat drei Jahre früher damit angefangen. Und nun sing ich das Lied auf seinen Tod. Auf den Tod eines grossen jüdischen, US-amerikanischen Künstlers. Denn Rock’n’Roll ist Kunst. An sich. Dafür braucht es keinen Warhol und keinen anderen derartigen Scheissdreck. Einer der grössten Songwriter des Rock ist gestorben, in New York City. Lasst uns eine Minute schweigen und an ihn denken. Möge seine Seele über den Hudson fliegen und über den East River – dem Ozean entgegen. Ich werde an ihn denken, in den nächsten Tagen, während meiner Reise auf dem mächtigen Mekong. Ich werde the image of the poet in the breeze auf meine Reise mitnehmen. Im Bewusstsein, dass seine Songs mich gelehrt haben, was es heisst, ein goddamned Rock’n’Roller zu sein! Das ist für mich eine ernste Sache. Todernst. Bis ich abkratze. Cause if you close the door – I’d never have to see the day again.

Goodbye Lou Reed, Rock’n’Roll deity, Rock’n’Roll animal, Rock’n’Roll ARTIST! Und allen Art-Rock-Fuzzys und Bananen sag ich nur eins: Up yours motherfuckers!!!

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Autor: Christian Platz

Lebt in Basel. Arbeitet überall. Reist recht viel. Vor allem nach Asien. Und in den Deep South der USA. Verdient sein Geld seit über einem Vierteljahrhundert mit Schreibarbeiten. Vorher hat er als Pfleger in einer Irrenanstalt gewirkt. Hat mehrere Bücher veröffentlicht. Spielt seit 40 Jahren fanatisch Gitarre, zwischendurch singt er auch noch dazu. Schreibt unter anderem für Kult. Ist manchmal gut aufgelegt. Manchmal schlecht. Meistens so mittel. Sammelt Bücher, CDs, Filme, Artefakte. In einem psychisch leicht auffälligen Ausmass. Verfügt, bezüglich der Dinge, die er sammelt, über ein lexikalisches Wissen. Platz ist einerseits ein Wanderer auf dem Pfad zur linken Hand. Andererseits Neofreudianer mit Waffenschein. Liebt Blues und Voodoo, Rock'n'Roll und die schwarze Göttin Kali. Trinkt gerne Single Malt Whisky aus Schottland. Raucht Kette. Ist bereits über 50 Jahre alt. Macht einstweilen weiter. Trotzdem wünscht er nichts sehnlicher herbei als die Apokalypse.

WARNHINWEIS:
Dieser Mann tritt manchmal als katholischer Geistlicher auf, stilecht, mit einem besonders steifen weissen Kragen am Collarhemd. Dies tut er in gänzlich irreführender Art und Weise und ohne jegliche kirchliche Legitimation. Schenken Sie ihm - um Gottes Willen - keinen Glauben. Lassen Sie sich nicht von ihm trauen, ölen oder beerdigen. Lassen Sie sich von ihm keinesfalls Ihre Beichte abnehmen. Geben Sie ihm lieber Ihr Geld.

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